Von wegen «Tanker»: Nestlé brilliert in der Disziplin Sprint. Nur sechs Monate nach Abschluss des zweitgrössten Deals in der Unternehmensgeschichte geht der Konzern mit einer Serie von Starbucks-Produkten an den Start. Firmenchef Mark Schneider soll sich persönlich regelmässig bei den Produktentwicklern nach dem Stand der Dinge erkundigt haben, ebenso wie Kevin Johnson, Nachfolger des legendären Howard Schultz an der Spitze von Starbucks.
Das am Mittwoch in Vevey präsentierte Sortiment kann sich sehen lassen: Es zählt 24 Produkte von Kaffeebohnen bis zu Starbucks-Kapseln auf der Basis von Nestlé-Systemen. Der Rollout erfolgt in einem ersten Schritt in 14 Ländern in Europa, Lateinamerika und Asien. Doch auch die USA, wo Nestlé nebst den globalen Vermarktungsrechten ein 2 Milliarden Dollar schweres bestehende Nicht-Shop-Geschäft von Starbucks übernahm, sollen noch in diesem Jahr dazu kommen. Die USA sind der mit Abstand wichtigste Kaffeemarkt der Welt und wächst jährlich rund 5 Prozent.
Nestlé konkurriert das eigene Geschäft
Spannend wird es nun bei den Distributionskanälen. Schliesslich geht es darum, das bestehende Geschäft vor allem von Nespresso nicht zu gefährden. Die neu entwickelten Starbucks-Kapseln werden deshalb zwar in Nespresso-Maschinen passen, verkauft werden sie aber nicht über den entsprechenden Online-Shop, sondern im Handel, zum Beispiel in den Supermärkten in den USA.
Klar ist, Nestlé möchte hier gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn bisher schwächelt Nestlé im US-Markt. Der Konzern kommt dort auf einen Marktanteil von 5 Prozent. Umso bedenklicher, da Konkurrentin JAB Holding ihr Kaffee-Portfolio mit Nachdruck erweitert hat. Durch zahlreiche Übernahmen – Keurig Green Mountain, Krispy Creme, Peet’s Coffee – haben die deutschen Besitzer, die Milliardärsfamilie Reimann, ein regelrechtes Imperium aufgebaut.
Chancen für Starbucks und Nestlé gleichermassen
Für Nestlé entsteht jetzt eine grosse Chance: Über den Umweg der Starbucks-Kapseln könnte es gelingen, endlich auch die Amerikaner ins Nespresso-System einzuloggen – und das in einem Moment, in dem das Patent ausläuft. Gleichzeitig möchte Chef Mark Schneider die Schwäche von Nestlé bei Bohnenkaffee und gemahlenem Kaffee beheben.
Für Starbucks wiederum könnte die Allianz mit Nestlé zum Türöffner für Märkte werden, in denen die Amerikaner noch keinen Fuss drin haben. Nestlé ist in 190 Ländern tätig, Starbucks in 40. Die Aktionäre von Nestlé finden an der Entwicklung des Unternehmens offenbar Gefallen: Der Titel stieg am Donnerstagmorgen auf ein Allzeithoch.
Wenn es rund läuft, dann führt das Zusammengehen der beiden Riesen dazu, das beide wachsen. Doch dafür muss das gemeinsame Baby, das im vergangenen August mit dem Abschluss des Deals zur Welt kam, erst noch gross und stark werden.