Gestern Luxemburg, heute Zürich. Und am Sonntag New York. Der Mann im edlen Nadelstreifenanzug, den die Sekretärin am Telefon mit «tall» beschrieben hatte, brillentragend und dunkelhaarig zudem, ist vor allem eines: Ein Reisender. Nun macht er Zwischenhalt an der Bahnhofstrasse, gleich gegenüber dem Hauptbahnhof, um bei einer Tasse Kaffee, umsorgt von Kellnern, über die letzten Jahre zu reden. Jahre, während deren er unter anderem erfolgreich die Swissca aufgebaut hat, die Dienstleisterin der Kantonalbanken in Sachen Vermögensverwaltung.
Er redet in einem Tempo, dem zu folgen nicht immer ganz einfach ist. Und das Ping-Pong-Spiel von Fragen und Antworten kennt auch keine Auszeit. Fast scheint es, als ob der Herr mit dem breiten Berner Dialekt zum Voraus bereits wüsste, was als Nächstes von ihm erfragt werde. Dieser Herr mit der schnellen Reaktionszeit heisst Stefan Bichsel, geht auf die 50 zu und nimmt seit etwas über einem Jahr Einsitz im Direktorium einer der ältesten und grössten Kapitalanlagegesellschaften Europas, der in Rotterdam domizilierten Robeco.
Raus aus dem Idyll, rein indie Finanzwelt
Im beschaulichen Emmental aufgewachsen, genauer in Lützelflüh, wo einst Jeremias Gotthelf von der Kanzel gepredigt hat, war für Stefan Bichsel früh einmal klar, dass ihn nach der Schule kaum etwas im ländlichen Idyll halten würde. Daran vermochte auch seine familiäre Verbindung mit der elterlichen Mühle nichts zu ändern, die heute noch unter dem Logo «Kentaur» Müsliriegel und Frühstücksflocken herstellt. «Ich brauche Luft», sagt Bichsel heute, «das gilt eben oder gerade auch für das geografische Lebensumfeld, in dem ich mich tagtäglich bewege.»
Nach dem Gymnasium in Burgdorf verschaffte er sich diesen Freiraum, studierte Jura, im steten Bewusstsein darum, dass er wohl nie vor die Schranken des Gesetzes treten würde. Denn: «Als Anwalt ist man in gewissem Sinne ein Berater, ich aber wollte immer gestalten, führen, selber aufbauen.» Nach einem ersten Abstecher in die Finanzwelt, zur damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft, und einem Studienaufenthalt in den USA stieg Stefan Bichsel Ende der 80er Jahre bei den Genfer Privatbankiers Pictet ein und bekleidete dort verschiedene Funktionen in obersten Chargen. Bis ihn 1994 der Ruf der Kantonalbanken ereilte.
Bichsel, der Ökonom, sollte die Sparte Vermögensverwaltung unter einem Dach vereinen und dem «Swissca» betitelten Konstrukt zum erfolgreichen Start verhelfen. «Zahlreiche Freunde haben mir davon abgeraten und gemeint, ich sei verrückt, wenn ich den sicheren Job bei Pictet gegen eine ungewisse Zukunft eintauschen würde», schmunzelt Bichsel, kommt er auf die entscheidende Wegscheide in seiner Karriere zu sprechen.
Die Aussicht, etwas von null an aufzubauen, wog indes schwerer als die gut gemeinten Ratschläge aus dem Kollegenkreis. Bichsel sagte zu und gleiste die Swissca anfänglich im Stile eines Einmannunternehmens auf. «Das Schwierigste dabei war, die bisherigen Kunden der verschiedenen Kantonalbanken davon zu überzeugen, dass diese zentrale Stelle durchaus auch in der Lage sei, ihr Geld vernünftig zu verwalten», bemerkt der Finanzfachmann, der davon ausgeht, dass ihm gerade dieser Zug Leute zu überzeugen besonders liegt.
Freitag Nachmittag an der Bahnhofstrasse, ein kurzer Spaziergang entlang der Bankenmeile. Stefan Bichsel, der hochaufgeschossene Geschäftsmann, schwingt in der Linken eine Ledertasche. Akten. Kein Laptop, sagt er, den nämlich lasse er wann immer möglich im Büro. Zu gross, zu viel Gewicht, zu umständlich. Lieber vertiefe er sich auf den zahlreichen Flügen, die er jede Woche absolviert, in Papiere und Strategien. Obwohl: Wenn die Dinger noch kleiner würden, könne er es sich durchaus noch einmal überlegen.
Keine schlaflosen Nächte
Vor den Bildschirmen der UBS, auf denen die aktuellen Börsenkurse vermerkt sind (Minus), hat sich eine Menschentraube versammelt und debattiert heftig. Ein Alarmzeichen für den Anlageexperten? Bichsel, der Fondsverwalter, schüttelt sichtlich amüsiert den Kopf, um einen Werbespot in eigener Sache zu platzieren: «Hätten die Leute in breit abgestützte Fonds investiert statt in einzelne Aktien, könnten sie jetzt beruhigt ins Wochenende gehen.» Die Nervosität seitens der Anleger, so scheint es, kann ihm nichts anhaben.
Seine ersten Erfahrungen im Umgang mit Börsenkursen hat Stefan Bichsel während des Gymnasiums gemacht. Ein Kollege, der damals eine Banklehre absolvierte, habe ihm zum Kauf von Oerlikon-Bührle geraten. «Nur um ein bisschen zu börselen», sei er eingestiegen mit Glück: Innert kürzester Zeit habe das Paket um 100% zugelegt. «Damals war ich der Meinung, dass Börsengeschäfte immerfort so funktionieren würden» eine Ansicht, die vom Finanzmarkt in der Zwischenzeit zur Genüge widerlegt worden sei. «Meiner Faszination für die Branche hat dies aber keinen Abbruch getan», betont Stefan Bichsel, der den Entscheid pro Finanzen und contra Recht nie bereut haben will.
Seit 2003 nimmt er nun Einsitz im Direktorium der Rabobank-Tochter Robeco, die als Fondsverwalterin weit über 100 Mrd Euro an Kundengeldern betreut. Bichsels Zuständigkeitsbereich: Anlageverwaltung und Grosskundenvertrieb.
Angesichts solch horrender Summen, welche Bedeutung hat das Wort «Geld» für ihn, der er Tag für Tag mitverantwortlich ist für Haben und Nichthaben? Bichsel muss nicht lange überlegen, macht eine persönlich ganz gesunde Einstellung zum «Werkstoff» Geld geltend und betont, dass schlaflose Nächte sich bei ihm ob hoher Beträge nicht einzustellen vermöchten.
Internationalisierung von Robeco
Spitzkehre am Paradeplatz. Rush und Happy Hour. Die Zeit drängt, in einer halben Stunde steht die nächste Sitzung an. Aus der Ruhe bringen lässt sich Stefan Bichsel darob nicht, seine Schrittfolge ist bedächtig und dennoch äusserst bestimmt. Geerdet sei er, sagt er, der zwischen seinen zwei Wohnsitzen in Rotterdam und am Murtensee wo auch die Ehefrau lebt wechselnde Emmentaler. Ein Zug, der wohl in direkter Verbindung zu seiner Herkunft stehe. Und sollte er einmal auf 180 sein, nimmt er den Hund an die Leine und dreht joggend eine Runde.
Denn um Erfolg im Job zu haben, müsse der Kopf frei sein, predigt er immer wieder auch seinen Mitarbeitern. «Wenn Sie Angst vor Aufgaben haben, Angst davor, einen Fehler zu machen, dann kommen Sie überhaupt nie ans Ziel», ist sich Bichsel sicher. «Arbeit, die effizient und konzentriert erledigt wird, führt automatisch zu Lösungen und Erfolg», so die Formel des eisernen Verfechters eines direkten Führungsstils («zu viel Diplomatie führt oft zu Unverbindlichkeiten»).
«Robeco als niederländisches Finanzinstitut muss internationaler werden», fordert Stefan Bichsel, «nur so kann der Erfolg langfristig gesichert werden.» Eine ökonomische Stossrichtung, die ihm eine Vielzahl an Reisen beschert. Zur Erinnerung: Gestern Luxemburg, heute Zürich, dann schnell an den Murtensee. Das Wochenende in der «Homebase», vielleicht ein paar Freunde treffen. Und am Sonntag New York, anschliessend wieder Rotterdam, ins Büro. «Für mich macht es inzwischen keinen Unterschied mehr, ob ich ins Flugzeug steige oder ins Tram», sagt er und beantwortet die Frage nach den nächsten (Flug-)Destinationen mit einem Achselzucken. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag gerät Bichsel ins Stocken: «Ou», winkt er ab, «da müsste ich jetzt erst einmal nachschauen.»
Profil: Steckbrief
Name: Stefan Bichsel
Funktion: Mitglied Generaldirektion Robeco Investmentgesellschaft
Alter: 49
Wohnort: Rotterdam sowie am Murtensee
Familie: Verheiratet
Karriere:
1982-1985 SBG, Assistent des Generaldirektors
1985-1986 USA, Georgetown University, Washington, Anwaltspatent
1987-1993 Pictet Privatbank
1994-2002 Swissca Holding AG, Vorsitzender Unternehmensleitung
Firma:
Robeco, der niederländische Vermögensverwalter, seit vier Jahren 100-prozent Tochtergesellschaft von Rabobank, wurde 1929 von Rotterdamer Geschäftsleuten im Anschluss an den Börsencrash gegründet (Robeco steht als Abkürzung für Rotterdamsch Beleggings Consortium). Die Kapitalanlagegesellschaft, die weltweit 1750 Personen beschäftigt, verwaltet rund 115 Mrd Euro an Kundengeldern. Die Geschäftsbereiche sind in die zwei Hauptsparten Anlageverwaltung/Grosskundenvertrieb sowie Privatkundenvertrieb aufgeteilt. In der Schweiz ist Robeco seit gut 30 Jahren vertreten.