Ende letzten Jahres geriet das Management in Küssnacht am Rigi in Alarmstimmung. Bereits der erste Semesterabschluss fiel unbefriedigend aus. Damals war Stephan Baer noch überzeugt, die Situation in den Griff zu bekommen. «Doch leider mussten wir feststellen, dass der Wurm tiefer drin war. Eigentlich haben wir ein paar Monate zu spät reagiert», sagt er im Rückblick.

Was ist passiert in der seit Jahrzehnten erfolgreichen Baer AG? Mit der Produkte-Offensive im letzten Jahr hat sich das Familienunternehmen übernommen. «Innert kurzer Zeit haben wir die Zahl der Rezepturen um fast ein Drittel erhöht. Wir haben schlicht und einfach zu viel auf einmal in diese Fabrik hineingelassen», sagt Baer selbstkritisch.

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Die Implementierung der Produkte-Innovationen von der Entwicklung in die Produktion ein ohnehin heikler Prozess lief aus dem Ruder. Die Marktakzeptanz und daraus resultierende Mengen wurden teilweise überschätzt. Es resultierten viel Ausschuss, Dispositionsverlust und hohe Personalkosten, weil Mitarbeiter zu früh angestellt worden waren. Hinzu kamen massiv höhere Energie- und Reinigungsausgaben. «Wir haben 2003 auch bezüglich Ökologie schlecht abgeschnitten», sagt Baer, dem dieses Thema am Herzen liegt.

Verbindlichere Führungwar gefragt

Es war sofort klar, dass alle ihren Teil zur Gesundung beizutragen hatten. Das Management sollte weniger verdienen, den Aktionären wurde die Dividende gekürzt, die Lieferanten wurden mit einem Sonderabzug belastet, und auch die Mitarbeiter hatten Einbussen zu verkraften: In Absprache mit der Betriebskommission wurden etwa bislang zusätzlich bezahlte Feiertage gestrichen und den Einkommen über 5000 Fr. die zuvor freiwillig ausbezahlte zusätzliche Kinderzulage gekürzt. Doch damit nicht genug: «Drei Mitarbeiter mussten wir entlassen zum ersten Mal in der Firmengeschichte aus wirtschaftlichen Gründen», sagt Baer.

«Am intensivsten aber mussten meine Kollegen in der Geschäftsleitung und ich an uns selbst arbeiten», betont der Ökonom. Das Führungsverhalten musste angepasst werden. Baer thematisierte genau das in Führungsseminarien mit dem Resultat, dass das Management heute härtere Vorgaben macht, verbindlicher führt und auch enger kontrolliert als vor der Krise. «Solange es gut geht, führt man stark über die globalen Kennzahlen und geht in vielen Bereichen nicht so ins Detail. Wenn man die Prozesse nicht mehr im Griff hat, zählt aber jedes noch so kleine Detail», zieht Baer die Lehren aus dieser Erfahrung.

Dass das in Küssnacht, wo die Mitarbeitenden sich ans stark gelebte Delegationsprinzip gewöhnt hatten, nicht ohne Auseinandersetzungen vonstatten ging, versucht er nicht schönzureden. «Es ging um die Grundsatzfrage: Besteht die Gefahr, dass wir unsere alten Firmengrundsätze plötzlich über Bord werfen?» Durch intensive Diskussionen mit den Mitarbeitern auf allen Stufen konnten die Massnahmen durchgezogen werden, und Baer ist überzeugt davon, dass die sehr offene Gesprächskultur im Unternehmen entscheidend war, dass die Leute mitzogen. «Sie haben festgestellt, dass wir auch nach diesen Einschnitten eine fortschrittliche Firma bleiben.» Die striktere Kontrolle und die verbindlichere Führung stellen für ihn heute auch keinen Widerspruch zur gross geschriebenen Eigenverantwortlichkeit dar.

Ruhiger Stellenantritt

Was für ein Gegensatz waren diese letzten Monate für Stephan Baer im Vergleich zu seiner Anfangszeit als Geschäftsführer bei der Baer AG. Als er 1983 im Alter von gerade 30 Jahren nach langem Ringen mit sich selbst von seinem Vater die operative Führung der Weichkäserei übernahm, hatte er sich noch gefragt, was er überhaupt hier soll. Die Firma lief blendend, die Zahlen waren konstant gut, und die Bereichsverantwortlichen hatten ihre Ressorts im Griff.

Das Engagement in Sachen Nachhaltigkeit kam erst einige Jahre später, «obwohl mir als Öko-Aktivist klar war, dass dieses Thema auch in der Firma eine Fortsetzung finden musste», erinnert sich Baer, der ein paar Jahre vorher in Kaiseraugst noch selbst gegen den Bau des AKW demonstriert hatte. Es brauchte die äusseren Anlässe: Schweizerhalle, Tschernobyl und die damalige Diskussion ums Waldsterben liessen Baer handeln. In einer Klausurtagung zur Strategieüberprüfung spielte er seinem Kader die legendäre Rede von Häuptling Seattle vor und lancierte so eine emotionale Debatte zum Thema Umweltschutz.

«Das Ökologische und das Soziale zu kommunizieren, machte mir nie Mühe. Uns als Familienunternehmen aber auch wirtschaftlich zu outen und zu sagen, wie hoch der Gewinn ist, war nicht einfach. Und doch war klar: Wenn wir es ganzheitlich angehen wollten, gehört das dazu.» Intern hätten die Mitarbeiter immer gewusst, wie es steht. «Wenn man von den Leuten ein Engagement verlangt, muss man sie ernst nehmen. Dazu gehört, ihnen zu sagen, wo es gut läuft und wo weniger. Man muss sie von Betroffenen zu Beteiligten machen», ist Baer überzeugt.

Sein Engagement für Nachhaltigkeit, anfänglich aus reiner Überzeugung entstanden, hat sich längst wirtschaftlich gelohnt. Auch imagemässig schneidet die Firma sehr gut ab. Das zeigt der IHA-GfK-Imagebarometer Jahr für Jahr. Und doch: Was Stephan Baer schon lange weiss, wurde ihm in letzter Zeit wieder stärker bewusst. «Nachhaltigkeit kann sich nur leisten, wer wirtschaftlich erfolgreich ist.» Beruhigend zu wissen für Baer, dass die Probleme mit einem Verlust von 1,9 Mio Fr. nichts mit seiner Firmenphilosophie zu tun hatten, sondern dass man sich mit dem jüngsten Innovationsschub selbst überforderte.

Stephan Baers Führungsprinzipien

1. Partnerschaftliche Kultur fordern und fördern nach innen und aussen.

2. Respekt und Anerkennung und gegenseitige Wertschätzung.

3. Ehrliche, offene und konfliktfähige Kommunikation.

4. Offenheit für Neues und aktives Dazulernen.

Zur Person

Stephan Baer (51) studierte in Zürich und schloss als lic. oec. publ. ab. Danach bildete er sich an der Akademie für Erwachsenenbildung in Luzern weiter und stieg in Zürich als Unternehmensberater ein. 1983 übernahm er die Geschäftsleitung der Baer AG und führt sie seither in dritter Generation. Seit 2000 besitzt die Emmi AG 35% der Aktien. Baer selbst verfügt über 55%, ein nicht in der Firma tätiger Bruder hält 10%. Baer ist verheiratet und Vater einer 18-jährigen Tochter und eines 20-jährigen Sohnes.

Emmi als Aktionärin: Reaktion auf Käsemarkt-Öffnung

Der Einstieg des heute grössten Schweizer Milchverarbeiters Emmi stellte für das Familienunternehmen Baer einen Quantensprung dar. Seit 2000 halten die Luzerner 35% der Aktien. Bereits Mitte der 90er Jahre führte Stephan Baer Gespräche mit fünf grossen europäischen Players. Emmi war damals noch kein Thema. «Uns war nach 1992 aber klar, dass wir in einem geöffneten Käsemarkt für den Export alleine zu klein waren», so Stephan Baer. Die Gespräche scheiterten, weil alle möglichen Partner die Mehrheit beanspruchten. Erst als der damalige Emmi-Chef und heutige VR-Präsident Fritz Wyss Baer seine geplante Export-Strategie aufzeigte, kamen sich die benachbarten Firmen näher. Mit dem Einstieg von Emmi übernahm diese die Mehrheit der Export-Firma Baer Interfromage. Detail am Rande: Walter Huber, der heutige Emmi-CEO, wurde damals von Baer als Geschäftsführer der Baer Interfromage (heute Emmi Interfrais) eingestellt. (miz)