Es ist Donnerstag, der 9. Oktober 2003. Im Instituto Centroamericano de Administración de Empresas (INCAE) in San José, Costa Rica, ist die Stimmung feierlich und freundlich. Kein Wunder: Stephan Schmidheiny, der Schweizer Milliardär, der sein Vermögen in der Ersten Welt gemacht hat, schenkt an diesem Tag den Dritte-Welt-Ländern in Lateinamerika Unternehmens- und Finanzwerte von einer Milliarde Dollar. «Visiones y Valores» (Visionen und Werte) heisst die Stiftung (Kurzformel «Viva»), die Schmidheiny für diese karitative Tat geschaffen hat. «Nach drei Jahrzehnten Arbeit als Unternehmer ist dies für mich ein nahe liegender Schritt», erklärt er – strahlend und entspannt.

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Die Spende umfasst die Aktien seines in Lateinamerika tätigen Unternehmens Grupo Nueva im Wert von 800 Millionen Dollar und weitere Finanzwerte in der Höhe von 200 Millionen Dollar. Für dieses grosszügige Geschenk erhält der Industrielle Lob von allen Seiten. «Ein historisches Ereignis für den lateinamerikanischen Kontinent», kommentiert INCAE-Rektor Roberto Artavia; Weltbank-Präsident James Wolfensohn weist in seinem Referat darauf hin, dass die gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme der Zukunft nicht mehr von Regierungen allein gelöst werden können, sondern nur in einem gemeinsamen Kraftakt vieler Menschen, die sich untereinander organisieren und dabei die Armen der dritten Welt nicht ausschlössen.

Peter Fuchs, Präsident des Viva Trust
«Die besten Elemente aus Kapitalismus und Marxismus»


Peter Fuchs hat den Viva Trust mit Stephan Schmidheiny entwickelt. Er leitet und überwacht nun dieses Projekt. Fuchs lebt im bündnerischen Bondo und ist oft in Südamerika unterwegs. BILANZ sprach Fuchs in Zürich.


BILANZ: Wo haben Sie Stephan Schmidheiny kennen gelernt?


Peter Fuchs: In Zürich hielt ich 1995 bei einem Bankenanlass einen Vortrag über die Berührungsängste der Wirtschaft mit der Zivilgesellschaft. Schmidheiny nahm daran teil, er fand die Thematik interessant, und so kamen wir ins Gespräch. Daraus entwickelte sich die Partnerschaft.


Wie schätzen Sie ihn ein?


Stephan Schmidheiny hat immer wieder pionierhaft neue Wege beschritten und in Kauf genommen, dass man ihn kritisiert. Zweifeln und gestalten sind Charakteristiken seines Wesens. Er pflegt ein breites Netzwerk mit gleich denkenden und andern Menschen. Ich kenne niemanden, der mit so viel dialektischem Wagemut Projekte angeht.


Schmidheiny hat sich an der Rio-Konferenz 1992 für mehr Ökoeffizienz in der Wirtschaft engagiert. Ist der Viva Trust eine praktische Konsequenz dieses Engagements?


Erst in einer stabilen Gesellschaft ist Ökologie realisierbar; deshalb greift Ökologie allein zu kurz. Die alten Modelle, wo namentlich Politik und Wirtschaft die Welt gestaltet haben, taugen nicht mehr, seit es das neue Phänomen der organisierten Zivilgesellschaft gibt. Hier setzt Schmidheinys Engagement mit Viva ein und zeigt Wege zu einer stabileren, nachhaltigeren Gesellschaftsentwicklung. Ist eine Gesellschaft stabiler mit weniger Sozialspannungen, geht es auch den Unternehmen a priori besser, weil die Märkte stabiler sind.


Was charakterisiert Grupo Nueva?


Jeder Leiter der 40 Einzelunternehmen muss nicht nur rentabel wirtschaften, sondern die ökologischen und sozialen Wertvorstellungen des Besitzers – bisher Stephan Schmidheiny, jetzt Viva Trust – umsetzen. Diese Wertorientiertheit fördert die Motivation der Führungskräfte und bringt überdurchschnittliche Leistungen. Nueva produziert vom Holz über Spanplatten bis zur Wasserleitung für Dörfer und Städte unentbehrliche Produkte. Wohl kein Konzern in Südamerika verfügt über einen so hohen Anteil an ISO-zertifizierten Firmen und wurde mit so vielen Preisen ausgezeichnet.


Mit wem kooperiert die Avina-Stiftung?


Avina arbeitet mit Leadern als Projektleiter zusammen, führenden Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, die wissen, was ihre Länder und Gesellschaften brauchen. Es geht also nicht darum, den Südamerikanern zu zeigen, wie man guten Käse macht, sondern deren eigene Initiativen zu unterstützen.


Wie viel Geld kann Viva jährlich für Projektspenden investieren?


Avina konnte in den letzten Jahren im Schnitt 50 Millionen Dollar ausgeben. Wenn Grupo Nueva und die weiteren Beteiligungen im Trust weiterhin gut arbeiten – und daran setzen wir alles – sind Beiträge in dieser Grössenordnung gesichert.


Wie geht man mit den Forderungen der Mapuche-Indianer um, die Ansprüche auf Land in den Holzplantagen der Nueva-Gruppe erheben?


Unsere Holzgesellschaften machten einen Wandel durch. Früher verdrängten sie den Konflikt oder gingen in die Konfrontation. Mit Hilfe der Avina-Stiftung haben die Firmen vor einigen Jahren den Dialog aufgenommen, beteiligen sich an Projekten, treten Waldgebiete ab oder spenden Holz und Baumsetzlinge. Ein von Nueva gebautes Kultur- und Ausbildungszentrum für die Urbevölkerung ist von der indianischen Schamanin unter den Schutz des Stammes gestellt worden. Das hat uns sehr berührt.


Welche Vision steckt hinter Viva?


Die grosse Schenkung ist ein weiterer Schritt zur Realisierung der Vision von Stephan Schmidheiny, neue Allianzen zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu schmieden, um eine nachhaltigere Entwicklung zu fördern.


Was ist am Viva-Konzept neu?


Neu ist die umfassende transversale Schau, und neu ist, dass ein Industrieller eine ganze Holding verschenkt, um mit den Erträgen die umfassenden Anliegen der Zivilgesellschaft zu unterstützen. Er handelt in einem am Gesamtwohl orientierten Selbstinteresse (enlightened self-interest).


Besteht kein Risiko, dass der Trust in falsche Hände gerät?


Viva ist nach angelsächsischem Recht errichtet und hat den Sitz in San José. Im Vertragswerk gibt es Checks and Balances in Form von Kontrollsystemen, die den Missbrauch praktisch ausschliessen.


Setzt Schmidheiny einen neuen Trend?


Die Verknüpfung von Grupo Nueva und Avina über den Viva Trust geht in Richtung einer neuen Allianz, die es in dieser Form noch nicht gibt. Es ist der Versuch, auf gleicher Ebene zwischen Wirtschaft und Gesellschaft einen besseren politischen Rahmen zu finden.


Wie kommt die Initiative in Lateinamerika an?


In Südamerika honoriert man ein Engagement dieser Art mit Freude und Bewunderung, wie die vielen Medienkommentare beweisen.


Hat Stephan Schmidheiny der Schweiz den Rücken gekehrt?


Wäre dem so, hätte er zum Beispiel nicht ausgerechnet den «Garten der Gewalt» in Murten an der Expo.02 voll und ganz gesponsert. Er fühlt sich aber in Lateinamerika wohl und will sich dort engagieren, wo man noch etwas in Gang setzen kann.


Warum macht Schmidheiny das gerade jetzt?


Stephan Schmidheiny wollte einen substanziellen Teil seines Vermögens aus «warmen Händen» in die «richtigen Hände» übergeben. Er wird beratend und als Ideengeber am Projekt teilhaben, jedoch nicht mehr als Besitzer entscheiden oder materiell profitieren können. Schmidheiny hätte alles verkaufen und aus dem Erlös eine Stiftung errichten können. Er hat diesen neuartigen Weg gewählt und die besten Elemente aus dem Kapitalismus und aus dem Marxismus in ein neues Modell verpackt, in dem Gesellschaft und Wirtschaft gewinnen können.

Es sei die Zivilgesellschaft, ist Wolfensohn überzeugt, ein nach dem Ende des Kalten Krieges zunehmend bestimmender globaler Faktor, der zum Taktgeber dieser Bewegung avanciere. Sie ist nicht den Regierungen, nicht staatlichen Institutionen und auch nicht der Privatwirtschaft zuzuordnen. Die Zivilgesellschaft wird gebildet durch engagierte Bürgerinnen und Bürger, durch regierungsunabhängige Organisationen (NGOs), Initiativen Betroffener jeder Couleur. Globalisierung und Internet verleihen diesen heterogenen Kräften Auftrieb, vernetzen Interessierte und Engagierte und machen Projekte in indischen Dörfern genauso möglich wie Grossdemonstrationen in Davos oder Cancún. Die Zivilgesellschaft kann Mauern einreissen und, wie jüngst in Georgien, auf friedlichem Weg Regierungen stürzen.

Die wachsende kollektive Überzeugung, dass weder Politiker noch Wirtschaftsführer allein der globalisierten Welt taugliche Lösungen für die gewaltigen Probleme bringen können, stärkt die Zivilgesellschaft und fördert die Einsicht, dass es nicht mehr angeht, dass multinationale Konzerne prosperieren, während staatliche Budgets unter den Soziallasten zusammenberechen.

Und hier hakt – für manche ein Paradox – Stephan Schmidheiny mit seinem Viva Trust ein. Der Schweizer, der Costa Rica als zweite Heimat bezeichnet, verfügt über ein geschätztes Vermögen von rund fünf Milliarden Franken, wovon er rund 1,5 Milliarden Franken dem Trust unwiderruflich verschenkt. Seine Familie unterstützt diese bemerkenswerte Geste: Die beiden Kinder engagieren sich nicht in Schmidheinys Geschäften und sind wie seine Frau mit der Gründung des Trusts einverstanden.

Die lateinamerikanische Presse kommentiert die ungewöhnliche Tat des Schweizers verblüfft bis enthusiastisch und ausnahmslos anerkennend. «Schweizer Philanthrop schafft Stiftung von 1000 Millionen Dollar», titelte etwa auf der Frontseite «La Nación», die bedeutendste Zeitung von Costa Rica – in der Schweiz jedoch schlug die Gründung des Trusts keine grossen publizistischen Wellen.

Was aber treibt diesen Mann dazu, über fast ein Drittel seines geschätzten Vermögens einfach so zu verschenken, als wäre dies nicht mehr als eine gut gefüllte Portokasse? Seine Antwort beim Festakt in San José: «Ich habe mein Kapital mit Risiko investiert, und der Erfolg kam in Form von persönlichem Reichtum», sagte Schmidheiny in seinem Referat. «Sobald man Reichtum erlangt hat, kann er sich gegen einen wenden, weil dann bohrende Fragen auftauchen wie ‹Für was ist Reichtum gedacht?›. Ich versuche, Reichtum für einen guten Zweck noch zu meinen Lebzeiten einzusetzen.»

Der Grund für diese ungewöhnliche Schenkung, so lässt sich aus diesen Worten herauslesen, liegt tief verwurzelt in der persönlichen Biografie von Stephan Schmidheiny, dem Spross der bedeutendsten Industriellendynastie der Schweiz. Stephan Schmidheiny, am 29. Oktober 1947 geboren, wuchs gemeinsam mit zwei Brüdern und einer Schwester im Familiensitz im sankt-gallischen Heerbrugg auf. Er habe keine besonders harmonische Jugend erlebt, offenbarte er anno 1985 dem Autor des Sachbuchs «Eternit Report» und meinte damals: «Ich trug viele Probleme mit mir herum, Fragen über den Sinn des Daseins beschäftigten mich. Ich dachte über die Bedrohung der Umwelt nach, aber auch über den Reichtum der Familie. Ich war sicher weniger Kind als die gleichaltrigen Knaben.»

Es war Stephans Urgrossvater Jakob Schmidheiny, der den Grundstein zum Familienimperium mit einer Ziegelei in Heerbrugg legte; seine Söhne erweiterten die Aktivitäten auf Zement und Eternit (Asbestzement), dem modernsten Baustoff jener Zeit, und engagierten sich in der Optik- und Elektroindustrie. Stephans Vater Max aus der dritten Generation gebot bereits über ein weit verzweigtes internationales Industriekonglomerat. Die Schmidheinys mit drei aktiven Industriellen in jener Zeit waren die einflussreichste Unternehmerfamilie der Schweiz. Sie bauten ihr Imperium planvoll auf und fühlten sich als Patrons in ihren Unternehmen immer auch dem Gemeinwohl verpflichtet. Der Bundesrat berief Max Schmidheiny während des Zweiten Weltkriegs in das nationale Gremium für Vorratshaltung, ein Dienst an der Öffentlichkeit, wie ihn auch dessen Vater im Ersten Weltkrieg geleistet hatte. Die internationalen Kontakte der Industriellenfamilie sollten für das Land fruchtbar gemacht werden. Max Schmidheiny war der respektierte, zuweilen gefürchtete und weltweit operierende Unternehmer, der, wie er sagte, die Nazis hasste und dennoch punktuell mit ihnen geschäftlich kooperierte. Max Schmidheiny engagierte sich in seinem Heimatdorf im St.-Galler Rheintal als Schulratspräsident, wirkte in sozialen Gremien und vertrat den Kanton St. Gallen im Nationalrat als Abgeordneter der freisinnigen Partei. Globales Business, nationale Politik und lokales Engagement, alles hatte in diesem Lebensentwurf seinen Platz. Derweil sorgte Stephans Musik liebende Mutter Adda für Hauswärme und wirkte im Hintergrund. Geschäftliche Weitläufigkeit und familiäre Bescheidenheit verband sich bei den Schmidheinys, und Stephan musste sein Sackgeld, wie andere Kinder im Dorf auch, durch persönlichen Einsatz selbst verdienen.

Reichtum bedeute Verantwortung; diese Maxime hätten seine Vorfahren ihm mitgegeben, sagt Stephan Schmidheiny. «Ich glaube, dass viel von dem, was ich bin, schon Teil meiner Persönlichkeit war in den frühen Jahren meines Lebens, meiner Kindheit und Jugendzeit», schreibt Stephan Schmidheiny in der kürzlich verfassten Schrift «Mein Weg – meine Perspektive». Pfarrer oder auch Missionar hätte er sich als Berufsziel vorstellen können, ebenso Schriftsteller, erinnert er sich, wäre er nicht in eine Industriellenfamilie hineingeboren worden. Der dominierende Vater sah für den Sohn ein ETH-Studium zum Ingenieur vor, doch dieser setzte sich innerlich ab und studierte Jura.

Und dennoch blieb Stephan Schmidheiny ein Kind seiner Familie: Als 22-Jähriger absolvierte er in der väterlichen Eternitfabrik in São Paulo ein Ausbildungsprogramm als Schichtmeister, schleppte Asbestsäcke und war den heimtückischen Fasern ausgesetzt; im Konzern wollte in den Sechzigerjahren niemand deren Gefährlichkeit wahrhaben. 1975 übernahm Stephan Schmidheiny von seinem Vater die Leitung der Eternit Schweiz, später der Eternit Holding.

Er ist und bleibt ein Schmidheiny, und dennoch sucht er in jenen Jahren nach eigenen Wegen. Ein eskalierender Vater-Sohn-Konflikt erzeugte wachsende Spannungen, denn Stephan entschloss sich, gegen den Willen des Vaters und einer Phalanx traditioneller Eternit-Manager die Asbestfasern aus der Eternitproduktion zu verbannen. In der «Asbest Cement Revue» vom Januar 1975 gab Stephan Schmidheiny einer überraschten Branche in einem Essay unter dem Titel «Marketing & Ethik» sein persönliches Wertesystem bekannt. Er schrieb über die von Thomas von Aquin in Anlehnung an Plato formulierten Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Mässigung: «Es liegt von vornherein im Wesen des sittlich Guten, dass der einzelne Mensch sein Glücksstreben nicht auf seine Person allein beschränkt, sondern auch seine weitere gesellschaftliche Umwelt mit einbezieht.»

Stephan Schmidheiny ist ein Suchender, der seinen Platz im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Familientradition und dem Koordinatensystem persönlicher Werte in jungen Jahren noch nicht gefunden hat. Jahrzehnte später ist wohl dies die Motivation, die Stephan Schmidheiny veranlasst, eine Milliarde Dollar in den Wandel der Zivilgesellschaft zu investieren.

Bis es so weit war, kämpfte der Erbe mit dem Mut der Verzweiflung gegen den Schatten seines Übervaters.

1976 legte er das Programm «Neue Technologie» (NT) auf Kiel, um mit Hochdruck Ersatzfasern für Asbest zu suchen. Schmidheiny im Rückblick: «Wenn ich mich aus den Problemen herausgeschlichen hätte, wäre ich eine gescheiterte Existenz gewesen.»

Als das industrielle Imperium Max Schmidheinys Mitte der Achtzigerjahre unter den Söhnen Thomas, Stefan und Alex aufgeteilt wurde (die Schwester Marietta wurde finanziell abgefunden), fiel Stefan neben anderen industriellen Aktivitäten und Beteiligungen als Kernstück die Eternit-Gruppe zu, in der sich das Programm «Neue Technologie» dem Abschluss näherte. Der Abschied vom Asbest, der ihm die Feindschaft der weltweiten Eternit-Branche eintrug und für viele Kritiker dennoch zu langsam ging, hat Stephan Schmidheiny an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Die Umstellung erwies sich als teuer, und die Eternit-Umsätze brachen ein, denn der komplett veränderte Baustoff verunsicherte den Markt.
Stephan verkaufte 1989 die Eternit AG an seinen Bruder Thomas asbestfrei, doch das fatale Material verfolgt den einstigen Eternit-Erben bis heute, weil Erkrankungen der Mitarbeiter erst Jahrzehnte nach der Exposition auftreten. Der Ausstieg aus dem Asbest, die damit verbundenen Kämpfe, Anfeindungen und auch die Erfolgserlebnisse haben Stephan Schmidheiny nach eigenen Aussagen tief geprägt und liefern einen Schlüssel zu seinem Engagement und seiner persönlichen Interpretation industrieller Verantwortung.

Seine Milliarden hat Stephan Schmidheiny indes nicht mit Eternit verdient. Als Hauptaktionär der BBC förderte er die Fusion mit der schwedischen Asea zur ABB und verkaufte seine Aktien Ende der Neunzigerjahre mit einem Gewinn von mehreren Hundert Millionen Franken. Die Krise der Schweizer Uhrenindustrie verwandelte er mit Hayek und einer kleinen Gruppe weiterer privater Investoren durch die Gründung der Swatch Group in eine Erfolgsstory. Schmidheiny verabschiedete sich später auch hier aus der inzwischen florierenden Uhrenbranche und verkaufte seine Aktien mit sattem Gewinn.

Als inzwischen mehrfacher Milliardär engagierte und exponierte sich Schmidheiny folgerichtig, entsprechend dem roten Faden in seiner Biografie, als Leiter des Rates der Unternehmer am Erdgipfel 1992 in Rio und brachte den Begriff Ökoeffizienz ins internationale Bewusstsein. Bei seinen weit gespannten wirtschaftlichen Interessen blieben jedoch Widersprüche und durch die Medien geröntgte schwarze Flecken im Reinheft nicht aus. Der dünnhäutige und zunehmend pressescheue Unternehmer und Querdenker zog sich zurück und verschob seine geschäftlichen Aktivitäten immer stärker nach Südamerika. Dort gründete er die Grupo Nueva, eine heute 15 000 Mitarbeiter zählende Holdinggesellschaft, die 40 Unternehmen und 30 Fabriken in 17 lateinamerikanischen Ländern umfasst und Trinkwasser- und Abwasserleitungen, sanitäre Einrichtungen und Baumaterialien für Häuser produziert, Wälder anpflanzt und Holzprodukte herstellt. Deklariertes Ziel des Unternehmers ist die nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika.

Mega-Stiftungen
Die grösste Stiftung der Welt ist die 1999 gegründete Bill & Melinda Gates Foundation, die 22 Milliarden Dollar enthält und innert knapp vier Jahren 6,2 Milliarden Dollar spendete, namentlich für Gesundheitsprojekte wie Aids-Behandlung und -Prävention in Drittweltländern, aber auch für bessere Kinderernährung und Computerausbildung.


In den USA haben grosse Donationen von Industriellen Tradition. Noch im 19. Jahrhundert spendete der Industrielle Andrew Carnegie rund 350 Millionen Dollar, in heutigem Geldwert wären das fünf Milliarden. Das Uno-Hauptquartier in New York verdankt sein Grundstück Amerikas erstem Milliardär, John D. Rockefeller, der allein bis 1921 rund 500 Millionen Dollar stiftete. Die Rockefeller Foundation ist bis heute aktiv.


Der amerikanische Medienmogul Ted Turner vermachte der Uno vor sechs Jahren eine Milliarde Dollar. Die ebenfalls milliardenschwere Soros-Stiftung des aus Ungarn stammenden amerikanischen Industriellen und Mäzens George Soros engagiert sich namentlich im Bildungsbereich, zum Beispiel mit gesponserten Computer- und Internetzentren in russischen Universitäten. Soros will ein Beispiel für andere Reiche sein, denn er ist überzeugt, dass die offene Gesellschaft durch ungezügelten, gewissenlosen Kapitalismus bedroht wird.

Wald habe ihn immer fasziniert, sagt Stephan Schmidheiny und betont, der Begriff der Nachhaltigkeit komme aus der Forstwirtschaft. Vor rund zwanzig Jahren beteiligte er sich in der Region Concepción an einem Familienbetrieb mit 4000 Hektar Wald und Wiesland und einer kleinen Sägerei. Wo das Unternehmen Bäume pflanzt, wuchs früher Wald, den die Farmer rodeten, um Weideland zu gewinnen. Im Laufe der Jahrzehnte gab der Boden für die Landwirtschaft immer weniger her.

Die neu angepflanzten Wälder der Nueva-Tochter Terranova sind inzwischen auf 260 000 Hektar angewachsen, eine Fläche so gross wie die Kantone Zürich und Thurgau zusammen. Die von Terranova angepflanzte Pina radiata wächst rasch und wird nach 25 Jahren gefällt. Die Stämme eignen sich als Bauholz, für die Produktion von Spanplatten und Papier und werden mehrheitlich in Nueva-Betrieben verarbeitet. Auch 90 000 Hektar Naturwald hat Schmidheiny erworben und unter Schutz gestellt; dies entspricht fünfmal der Fläche des Schweizer Nationalparks.

Ist das ökologisch-ökonomisch-soziale Dreieck im Gleichgewicht, stimmt die Ökoeffizienz, doziert Stephan Schmidheiny, und seine Manager versuchen, es in die Tat umzusetzen. Ein Teil der jetzt vollumfänglich dem Viva Trust gehörenden Aufforstungen und Naturwälder liegt im Stammesgebiet der Mapuche-Indios, was Schmidheiny Kritik einbrachte. «Die meisten Investoren sind auf kurzfristigen Cashflow eingeschworen», sagte Schmidheiny vor einigen Jahren, «solange das so ist, sind Wälder in den Finanzmärkten unterbewertet. Der eigentliche Wert der Terranova-Wälder wächst nicht über die Gewinn-Verlust-Rechnung, er wächst in der Bilanz.»

Nueva mehrte Schmidheinys Besitz weiter. Einen Teil der Erträge in den gesellschaftlichen Wandel zu investieren, lag für ihn nahe. Parallel zum Aufbau seines südamerikanischen Wirtschaftsimperiums gründete Schmidheiny denn auch Stiftungen. Bischof Marcos McGrath von Panama schilderte dem (protestantischen) Schweizer Unternehmer Mitte der Achtzigerjahre die prekäre Lage der Kleinbetriebe in seinem Land und klagte, dass die Banken in einer Zeit der ökonomischen Liberalisierung nur den grossen Unternehmen Geld
ausliehen.

Der Industrielle wollte ein Zeichen setzen und gründete die Stiftung Fundes mit drei Millionen Dollar Startkapital; ebenso viel steuerten einheimische Geschäftsleute bei. Damit war das Konzept umrissen: Nur durch Beteiligung aus dem betreffenden Land konnte eine Fundes-Gesellschaft entstehen, die Garantien für Bankkredite an Kleinunternehmer leistet und sich an deren Ausbildung engagiert. «Fördert man die Kleinen und Kleinsten nicht, fehlt die gesunde Sozialstruktur, die auch den grösseren Unternehmen Prosperität ermöglicht», sagt Schmidheiny.

Die Avina-Stiftung mit dem utopisch klingenden Ziel einer nachhaltigen Entwicklung und des Aufbaus einer offenen und transparenten Bürgergesellschaft (Civil Society) in Lateinamerika gründete Schmidheiny 1994. Avina arbeitet mit Leadern zusammen, integren Persönlichkeiten mit Pioniergeist. In den letzten Jahren unterstützte Avina den Wandel in der zivilen Gesellschaft Lateinamerikas jeweils mit durchschnittlich 50 Millionen Dollar. Avina funktioniert als Impuls, als Katalysator und Motor der Veränderung in einem Kontinent mit 450 Millionen Einwohnern, einem Erdteil, der die Kolonisierung durch die Europäer gerade erst verarbeitet, wo Land um Land sich von korrupten Diktatoren befreit und sich mit vielen Rückschlägen in Richtung Demokratie entwickelt.

«Unternehmen müssen der Gesellschaft dienen, nicht umgekehrt», sagt Stephan Schmidheiny. Die Wirtschaft werde eine vitale Rolle in der künftigen Gesundheit dieses Planeten spielen, steht bereits im seinem Buch «Kurswechsel» zum Rio-Gipfel. Zitat: «Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Regierung, Wirtschaft und der Gesellschaft sind nötig, um dieses Ziel zu erreichen.»

Präsident des Viva Trust ist der Schweizer Peter Fuchs (siehe «Die besten Elemente aus Kapitalismus und Marxismus» auf Seite 75); er ist während Jahren in vielen bewaffneten Konflikten als Generaldirektor des IKRK im Einsatz gestanden und setzt sich mit Nachdruck für Konfliktprävention ein.

Echte wirtschaftliche Entwicklung ist nur möglich, wenn auch die Gesellschaft eines Landes davon profitiert, sind Schmidheiny und Fuchs überzeugt. Sie entwickelten im Dialog mit weiteren Denkern und Führungskräften das Konzept des Viva Trust, der eine neuartige Brücke zwischen Business und Gesellschaft schlägt und den Wandel in der Zivilgesellschaft unterstützt.

Erstmals überhaupt geht ein ganzer Konzern vollumfänglich in das Eigentum einer Treuhandgesellschaft über, die sich nach den Direktiven des Donators und seiner Vertrauensleute in der zivilen Gesellschaft nützlich macht. Mit den Erträgen aus dem Viva Trust wird die Stiftung Avina alimentiert, in der in einem wachsenden Netzwerk der Zivilgesellschaft – mit Leadern als Garanten – unterschiedlichste Projekte unterstützt werden.

Stefan Schmidheiny, der heute nach eigener Aussage als moderner Nomade lebt, sagte in San José: «Ich habe meine Nachfolge seit Jahren sorgfältig vorbereitet, in die bestmöglichen Hände gelegt und mit dem Viva Trust eine langfristige Lösung für Gruppe Nueva und die Stiftung Avina angestrebt. Die Schenkung meiner privaten Holdings an den Trust ist als persönliches Geschenk zu verstehen. Die Schenkung ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, den ich seit vielen Jahren gehe.»

Vater Max, 1991 gestorben, hätte da wohl seine Vorbehalte gehabt. Aber der Sohn konnte wohl nicht anders: Er hat mit diesem Entscheid einen Weg gefunden, sich mit dem Erbe und seiner Familie zu versöhnen.

Werner Catrina ist freier Journalist und Autor zahlreicher Bücher, darunter «Der Eternit-Report» und «ABB – die verratene Vision» (beide Verlag Orell Füssli).