Ein jahrelanger Rechtsstreit nähert sich dem Höhepunkt: Heute Nachmittag fällt das Urteil im Steuerprozess gegen die UBS in Frankreich. Für die Grossbank steht viel auf dem Spiel: Bei einer Verurteilung droht ihr eine Busse von bis zu 3,7 Milliarden Euro. Inklusive einer Schadenersatzforderung könnte sie ein Schuldspruch über 5 Milliarden Euro kosten. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt das Institut im Wesentlichen, systematisch Franzosen bei Steuerdelikten unterstützt zu haben. Die UBS verlangt einen Freispruch und weist alle Vorwürfe zurück.

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Der Berner Wirtschafsrechtsprofessor Peter V. Kunz erklärt im Interview, wieso der Rechtsstreit die UBS noch jahrelang beschäftigen dürfte. Und sagt, wieso dieser Prozess Signalwirkung für andere Schweizer Banken haben könnte: Als Zeichen, dass hiesige Institute Forderungen aus dem Ausland nicht mehr kampflos nachgeben müssen.

Was erwarten Sie morgen für einen Entscheid?
Peter V. Kunz*: Das Verfahren wird mit dem Urteil nicht zu Ende sein, das ist das einzige, was ich sagen kann. Der Entscheid wird sicher an die nächste Instanz weitergezogen, entweder von der UBS oder von der Anklage. Ich kann keine Prognose machen, ob es zu einem Schuldspruch für die Bank kommt.

Peter V. Kunz ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern.

*Peter V. Kunz ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern.

Quelle: Manu Friederich

Sie halten auch einen Freispruch für möglich?
Absolut. Für einen Schuldspruch gilt es sehr hohe Hürden zu überwinden. Fehlverhalten von UBS-Angestellten müssen auch der UBS selber angelastet werden können. Vor diesem Hintergrund wäre ich nicht überrascht, wenn einzelne Personen verurteilt werden würden, die UBS aber freigesprochen würde.
 
Sie rechnen mit einem Weiterzug. Was heisst das für die Grossbank?
Wenn die UBS verurteilt würde, wäre das ganz schlecht. Das wäre ein Problem für ihr Image, aber auch aus finanzieller Sicht. Sogar wenn die Bank dafür Rückstellungen gemacht hat. Aber selbst wenn die UBS freigesprochen würde, und die Staatsanwaltschaft das Urteil weiterzieht, hat sie ein Problem. Sie wird sich vermutlich noch Jahre mit dem Verfahren beschäftigten müssen. Nichts ist schlimmer für eine Grossbank, als wenn sie jahrelang prominent unter Anklage steht. Insofern wird es morgen in jedem Fall zu einem schlechten Ergebnis für die UBS kommen.

Wäre ein Freispruch kein Triumph für die UBS – die Bestätigung, dass ihre Strategie richtig war?
Es wäre nur dann ein Triumph, wenn die Staatsanwaltschaft auf einen Weiterzug verzichten würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft einen Freispruch akzeptieren würde. Für die UBS ist es erst dann ein Sieg, wenn sie rechtskräftig freigesprochen wird. Es gibt noch zwei Instanzen, an die das Urteil weitergezogen werden kann. Das Schlimmste für die Grossbank ist die negative Berichterstattung, selbst wenn sie am Schluss freigesprochen würde.

Der letzte grosse Steuerstreit

 

Was wird der UBS vorgeworfen?

Die Anklage lautet auf illegale Kundenanwerbung, der Beihilfe zu Steuerdelikten und der Geldwäscherei. Die Bank soll zwischen 2004 und 2011 in Frankreich systematisch um Schwarzgeld geworben haben.

 

Wer genau ist angeklagt?

Nebst der UBS müssen sich die UBS France sowie sechs ehemalige und aktuelle UBS-Mitarbeiter in Paris verantworten. Mit Raoul Weil, Ex-Chef der globalen Vermögensverwaltung, sitzt auch eine prominente Persönlichkeit auf der Anklagebank.

 

Was droht der UBS?

Die Staatsanwaltschaft pocht auf eine Busse von bis zu 3,7 Milliarden Euro. Zusätzlich droht der Bank eine hohe Schadenersatzforderung des französischen Staats. 2014 musste die Bank bereits eine Kaution von 1,1 Milliarden Euro hinterlegen.

 

Wie geht es nach dem Urteil weiter?

Ficht einer der beiden Parteien das Urteil an, kommt es zum Verfahren vor dem Appellationsgericht. Dieses Urteil könnte wiederum vor das Kassationsgericht für einen abschliessenden Entscheid weitergezogen werden. Geht das Verfahren über alle drei Instanzen, dürfte der Rechtsstreit noch Jahre dauern.

Machen wir ein Gedankenspiel: Es kommt zu einer Verurteilung gegen die UBS, aber die Busse fällt tief aus. Könnte die UBS in den sauren Apfel beissen und das Urteil akzeptieren?
Sie wird sich sicher nicht schuldig erklären. Die UBS hat sich mit diesem Prozess soweit hinausgelehnt und sich immer wieder als unschuldig erklärt, dass sie nicht nachgeben kann. Sie könnte aber auch nach dem Urteil reinen Tisch machen wollen. In Frankreich gibt es die Option, einen Vergleich zu schliessen, ohne dabei eine Schuld anzuerkennen. Sie würde in diesem Fall einen bestimmten Betrag bezahlen, um das Verfahren zu beenden. Ich kann mir vorstellen, dass die UBS dazu Hand bieten würde. Die Höhe eines Vergleichs wäre für die UBS dabei von sekundärer Bedeutung. Ob das nun ein paar hundert Millionen Euro sind oder eine Milliarde – dies ist nicht das Hauptproblem für die UBS.

Ist ein Vergleich auch noch möglich?
Dass sich die UBS mit der Staatsanwaltschaft vergleicht, schliesse ich aus. Man wird das Urteil des Gerichts abwarten. Beide Seiten werden es zuerst analysieren, um ihre Chancen bei einem Weiterzug auszurechnen. Sie können sich durchaus noch im Anschluss vergleichen.

Former CEO of Global Wealth Management and Business Banking at UBS AG Raoul Weil shares a laugh with his lawyer during a break of the Swiss bank's trial at the Paris courthouse in Paris, Wednesday, Nov. 14, 2018. Swiss bank UBS AG stand trial in France for allegedly helping wealthy French clients evade the country's tax authorities. (AP Photo/Francois Mori)

Raoul Weil: Auch der ehemalige Chef der UBS Vermögensverwaltung ist in Paris angeklagt.

Quelle: Copyright 2018 The Associated Press. All rights reserved.

Die UBS hält die Anschuldigungen für haltlos. Wie überzeugend war die Anklage in ihrer Argumentation gegen die UBS?
Die Anklageschrift ist nicht öffentlich, ich habe sie nicht gesehen. Die UBS hat sich aber immer dezidiert gewehrt und das Risiko einer Verurteilung in Kauf genommen. Das zeigt, dass die UBS sehr zuversichtlich war, dass sie freigesprochen werden würde.

«UBS-Chef Sergio Ermotti ist bekannt dafür, Widerstand zu liefern, wenn ihm etwas nicht passt.»

Vor Prozessbeginn glaubten Sie, dass es zu einem Vergleich kommen würde. Wieso ist es bis jetzt nicht dazu gekommen?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft für einen Vergleich zu hoch gepokert hat. Sie war vielleicht politisch unter Druck und hat mit ihren Forderungen übertrieben. Die UBS liess sich das vermutlich nicht gefallen. UBS-Chef Sergio Ermotti ist bekannt dafür, Widerstand zu liefern, wenn ihm etwas nicht passt. Beide Seiten spielen mit einem hohen Einsatz Poker. Heute werden wir erfahren, wie sich diese Pokerrunde in der ersten Instanz ausbezahlt hat.
 
Die UBS hat sich vehement verteidigt. War dies eine sinnvolle Strategie für die Grossbank?
Die Strategie der UBS war ab dem Zeitpunkt sinnvoll, als sie entschied, einen Vergleich auszuschlagen und zu prozessieren. Die UBS war von Anfang an sehr aggressiv, bereits mit dem Kautionsentscheid. Es ist wohl einmalig, dass eine Bank vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geht. Auch in diesem Fall hat sich das sehr aggressive Auftreten der UBS gezeigt. Wenn die UBS überzeugt ist, nichts falsch gemacht zu haben, ist es in Ordnung, sich aggressiv zu verteidigen. Schweizer Banken vergleichen sich zu schnell und machen sich damit erpressbar. Ich bin froh, hat nun einmal eine Bank gesagt: «Nein, wir zahlen jetzt nicht ein paar hundert Millionen Euro, sondern prozessieren». Das hat die Grossbank professionell gemacht.

Hat die UBS die Lehren aus dem Bankenstreit mit den USA gezogen?
Die UBS ist die erste Bank überhaupt, die gesagt hat: «genug ist genug». Seit zehn Jahren geben Schweizer Banken in den USA, in Deutschland und in Italien bei Vorwürfen nach, weil sie die Verfahren vom Tisch haben wollen. Da hat die UBS nun hoch gepokert. Wenn sie obsiegt, wird sie ein Zeichen auch für andere Banken setzen, nicht zu allem «Ja und Amen» zu sagen.