Besuch bei Zahnarzt Markus Glocker in Zürich. Der erste Patient wartet bereits um 7.30 Uhr morgens auf seine Implantat-Operation. Das Prozedere kennt der Mann. Es ist sein zweiter Eingriff. Eine Titanschraube steckt bereits im Kiefer. Das Zahnimplantat ist ein simples Produkt, das aus einem Aussen- und einem Innengewinde und einer Deckschraube besteht. Obendrauf kommt später die Krone, die nach Zahn aussieht. Die Operation dauert keine 30 Minuten. 4500 Franken betragen die gesamten Behandlungskosten. Der Preis für das Implantat liegt im Schnitt bei 300 Franken.

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Fast 20 Jahre lang verdiente der Basler Zahnimplantatehersteller Straumann mit seinen Premiumprodukten gutes Geld. Seit einiger Zeit aber brechen die Margen ein. «Heute kosten die Implantate bis zu 15 Prozent weniger», sagt Glocker. Er verwendet Produkte von Thommen, einem Konkurrenten von Straumann, der ebenfalls in der Schweiz sitzt.

Es gibt mittlerweile viele Anbieter, die im Markt der hochpreisigen Zahnimplantate mitmischen. Als Folge davon schrumpfte der Umsatz bei Straumann von 738 auf 694 Millionen Franken, der Reingewinn brach um 25 Prozent ein. Konzernchef Beat Spalinger steht unter Druck. Er muss die strategischen Entscheidungen gegenüber zunehmend kritischen Investoren verteidigen. Auch jene, die in die Ära seines Vorgängers fielen. Die grösste Akquisition in der Firmengeschichte in der Höhe von 100 Millionen Euro vor fünf Jahren stellte sich als Pleite heraus. Die Ausgaben für das Fräs- und Scannerzentrum Etkon in Deutschland wurden bereits nach einem Jahr komplett abgeschrieben.

Marktkenner wundern sich, warum Straumann damals so viel Geld in Fräszentren steckte, denn der Branchentrend ging schon damals Richtung Digitalisierung. Mittels neuer Technologien kann sich der Arzt den Zahnersatz bald selber basteln und braucht keine ausgelagerten Fräsanlagen mehr. Das Ergebnis war ein Preisverfall bei der alten Technologie. Für Straumann ist die Sache heute erledigt: Etkon heisst jetzt Straumann CADCAM – und konzentriert sich auf den digitalen Bereich. «Unser Kerngeschäft bleiben Implantate», sagt Spalinger.

Die verschlechterten Geschäftszahlen erklärt man bei Straumann mit der allgemeinen Wirtschaftslage. Wenn die Menschen sparen, dann würden sie das auch beim Zahnersatz tun. Der Zürcher Zahnspezialist Magnus Momkvist kann das nicht ganz ernst nehmen. «Genauso könnte man sagen, dass ein Mixer für die Herstellung von Flüssignahrung billiger ist als ein Satz neuer Zähne, um ein Schnitzel zu kauen. So denkt aber kein Patient in den Premiummärkten Europas.»

Im Zahnarztzentrum, das Momkvist leitet, werden jährlich Hunderte Kieferoperationen durchgeführt. Verwendet werden keine Straumann-Produkte, sondern Implantate der deutschen Konkurrentin Dentsply. Was macht Straumann falsch?

Bis jetzt kann sich das Unternehmen auf Studien verlassen, die das International Team for Implantology, eine Straumann-Gründung, liefert. Die Studien grenzen die Premiumprodukte von den Kopien ab. Für Zahnarzt Momkvist ist das International Team for Implantology eine gut geölte Marketingmaschine. «Wer die Studie in Auftrag gibt, kann diese auch auf sein Produkt zuschneiden.»

Diesen Vorwurf bekommt der Präsident des International Team for Implantology, Daniel Buser, gelegentlich zu hören. Schlechtreden lassen will er sich seine Gemeinschaft deshalb nicht. «Wir sind in unseren Entscheiden unabhängig und haben heute mehr als 13000 Mitglieder weltweit. Das schwächste Glied bei der Implantatbehandlung ist heute nicht das Biomaterial, sondern der Zahnarzt, der oft nicht die nötige Qualität bietet. Aus diesem Grund ist heute die Ausbildung so wichtig.» Schulungen ergänzen das Kerngeschäft von Straumann.

Es gibt nur wenige Zahnärzte, die mehrere Marken verwenden. «Das ist vergleichbar mit Apple und Microsoft», sagt ein Branchenkenner. Der eine schwört auf Nobel Biocare, der andere auf Straumann. «Das Problem ist, dass in der Regel jene Kunden, die keine Ausbildungskurse beim Unternehmen gemacht haben, auch nicht mit den Produkten beliefert werden.» Die Vertrautheit des Zahnarztes mit seinen Produkten und dessen Tücken sei entscheidend, so wird argumentiert.

Schwierige Märkte

Die günstigeren Anbieter setzen Straumann zu. Premium alleine reicht heutzutage nicht mehr. Mit der Übernahme von 49 Prozent am brasilianischen Dentalunternehmen Neodent im Mai dieses Jahres verliess Straumann erstmals die reine Premiumschiene. Das Unternehmen aus Curitiba stellt günstigere Implantate her. Für die Beteiligung bezahlte Straumann je nach Interpretation der Finanzfachleute das 13- bis 17-Fache des Betriebsgewinns (Ebitda) – rund 260 Millionen Franken. Für Finanzierungen verlangen die Banken in Brasilien bis zu 18 Prozent Zinsen, und die Exportaufschläge liegen bei 60 Prozent. Die Firmen wollen sich vor Eindringlingen schützen. «85 Prozent des Marktes werden von lokalen Gesellschaften abgedeckt», sagt Spalinger.

Brasilien soll für Straumann das Sprungbrett für ganz Südamerika werden. Ohne die aufstrebenden Märkte würde es für den Dentalkonzern schwierig, im Implantatemarkt Terrain zu gewinnen. «Wir rechnen mit Wachstumsraten zwischen 10 und 20 Prozent in Brasilien», sagt Spalinger. Das Unternehmen will mit eigenen Niederlassungen in die Zielmärkte vorstossen. Dies dürfte in China nicht so reibungslos funktionieren wie in Brasilien. «Der chinesische Markt ist derzeit nur unwesentlich grösser als die Schweiz.»

Die Schwierigkeit ist, dass an einem lokalen Distributor kein Weg vorbeiführt. Straumanns Kontakt ist die Firma Beijing Focus Instrument. Die Basler arbeiten seit 2002 mit ihr zusammen, um ihre Implantate zu verkaufen. Parallel dazu betreibt Straumann auch eine eigene Tochterfirma in Peking. Für Spalinger ist klar: «Wir werden diese Zusammenarbeit fortsetzen.» Für den lokalen Vertriebspartner ist das ein wichtiges Signal. Denn mit einer Straumann-Tochter vor der Nase könnte er über kurz oder lang am Kooperationswillen zweifeln. Dabei geht es um viel Geld. Die Marge für einen Distributor in China beträgt nicht selten mehr als 50 Prozent. Um viel Geld geht es auch für Straumann. Die Geschäftsaussichten basieren zum grossen Teil auf potenziell zweistelligen Wachstumsraten.

Weitere Zukäufe geplant

Damit nicht auch in den entwickelteren Märkten der Konkurrenzdruck überhandnimmt, stehen kleinere Zukäufe bevor. Einer davon ist laut gut informierten Kreisen die US-Implantatfirma Bio Horizons. Straumann dazu: «Wir geben keine Informationen darüber, welche Akquisitionsziele wir prüfen.»

Dem Patienten von Zahnarzt Glocker ist das egal. Etwas benommen von der Lokalnarkose freut er sich nur, dass die Operation gut lief. Letztlich ist es ihm gleichgültig, ob das Implantat von Straumann oder von Thommen stammt.

 

Implantate und ihre Kosten: Günstigere Kopien verdrängen das teure Original

Profitables Geschäft
Im Schnitt muss ein Patient für ein Zahnimplantat eines Premiumherstellers rund 300 Franken bezahlen. Bei einer Bruttomarge von 80 Prozent ist das für Straumann ein höchst einträgliches Geschäft. Die Herstellkosten betragen nur 20 Prozent des Verkaufspreises. Bei einem Endpreis von 300 Franken summieren sich die Herstellkosten somit auf 60 Franken, 240 Franken gehen an das Unternehmen. Die gesamte Behandlung inklusive Implantat kostet den Patienten in der Schweiz rund 4500 Franken. Davon entfallen 1300 Franken auf das Labor, das die Implantate anpasst. Hilfsteile und Verbrauchsmaterialien betragen rund 300 Franken. Der Chirurg bekommt für seine Arbeit rund 1500 Franken. Ein Zahnarztzentrum mit insgesamt 30 Mitarbeitern verpflanzt in der Regel mehr als 300 Implantate pro Jahr. Günstigere Implantatprodukte ausserhalb der Premiumliga, wo Straumann sein Geschäft macht, gibt es mittlerweile zuhauf. Gemäss den Erfahrungen der Zahnärzteschaft sind die Nachahmerprodukte günstigerer Anbieter auch nicht zwingend schlechter als das Original. Die Situation ist mit jener im Medikamentenmarkt vergleichbar. Das Generikum hat dieselbe Wirkung wie das Original, kostet aber weniger.

Gut kopiert
Zudem können die Implantatkopien mit den Originalwerkzeugen der Permiumhersteller bei der Operation verwendet werden. Das ermöglicht es dem Zahnarzt, auch beim Instrumentarium zu sparen. Immerhin kostet beispielsweise ein Bohrerset bereits 300 Franken und kann in der Regel nur fünf Mal verwendet werden. Wenn der Arzt bei den Originalwerkzeugen für Implantate Geld sparen kann, weil er keine eigens angefertigten Utensilien für die Kopien anschaffen muss, macht das den Zahnarzt ein Stück weit unabhängiger von exklusiven Anbietern wie Straumann, die auf dem Implantatemarkt mächtig sind.

Studien entscheiden
Einziger Wermutstropfen für die Produktnachahmer sind die teuren klinischen Studien. Ohne diese ist es nach wie vor schwer, am Dentalmarkt Erfolg zu haben. Mit einer gross angelegten klinischen Studie im Rücken hat der Premiumhersteller meist das bessere Verkaufsargument als der günstigere Anbieter. Für den Zahnarzt zählt die Verlässlichkeit des Produkts. Und für den Patienten ist das Vertrauen wichtiger als die Kosten.