BILANZ: Kurt Haerri, im Schweizer Tourismus hofft man auf mehr Wertschöpfung, wenn Chinesen statt in Gruppen als Individualtouristen anreisen. Ist damit in absehbarer Zeit zu rechnen?
Kurt Haerri: Das wird ganz sicher passieren, ja. Aber es dürfte noch einige Zeit dauern. Heute reisen vornehmlich ältere Leute in die Schweiz, die sich eine Europareise leisten können. Aber das sind keine Individualtouristen. Interessant wird es, wenn die Jungen zu reisen beginnen. Die zunehmende Kaufkraft der selbständigen, englischsprechenden Chinesen wird diesen Strukturwandel herbeiführen.
Warum reisen die jüngeren Chinesen nicht schon heute?
Viele junge Chinesen investieren zunächst in eine Wohnung oder ein Auto. Das sind im Moment noch dringlichere Bedürfnisse.
Inwiefern behindern die bestehenden Strukturen diese Entwicklung? Die Veranstalter profitieren ja heute von der Unselbständigkeit ihrer Gäste.
Die Reiseanbieter haben sicherlich kein grosses Interesse an einem Strukturwandel, aber aufhalten können sie ihn nicht. Hinzu kommt, dass es auch in Zukunft immer Gruppenreisende geben wird. China wird sich noch jahrzehntelang in diesem Transformationsprozess befinden, aus dem heraus die neue Mittelklasse entsteht. Und es wird noch lange reiseunerfahrene Chinesen geben, die lieber mit einer Gruppe ins Ausland fahren.
Und dafür so wenig wie möglich ausgeben. Ist die Kritik an den knauserigen Pauschaltouristen berechtigt?
Das ist der typisch chinesische Pragmatismus. Ein Chinese sagte mir einmal: «Wenn ich abends das Licht auslösche, ist es dunkel. Egal wie das Bett aussieht, in dem ich liege.» Beim Übernachten wird gespart, dafür wird beim Shopping umso mehr Geld ausgegeben.
Liegen bald keine Chinesen mehr in Schweizer Betten? Dem angestrebten Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China sehen Touristiker mit Skepsis entgegen.
Das ist verständlich. Man fürchtet sich davor, dass Schweizer Uhren in China deutlich billiger werden. Aber die Schweiz hätte dann immer noch den Vorteil, als fälschungsfreies Land zu gelten. Die Chinesen reisen nicht nur zum Uhrenshopping in die Schweiz. Es wäre falsch, in der Nutzenanalyse eines Freihandelsabkommens nur den Tourismus zu betrachten.
Wie schätzen Sie die Gefahr politischer Umwälzungen ein?
Damit muss man immer rechnen, das ist ja die Eigenart des China-Geschäfts. Die Vorzeichen können sich völlig überraschend ändern. Und neue Bestimmungen werden schnell und rigoros durchgesetzt. Unterschwellig besteht die Gefahr von Veränderungen immer, ganz egal in welcher Branche.
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