Zauneidechsen sind possierliche Reptilien. Wenn sie nicht gerade die grösste Baustelle Europas bevölkern. Da die Echsen unter Naturschutz stehen und unter grösstem Aufwand umgesiedelt werden müssen, verzögert sich das deutsche Bahnprojekt Stuttgart–Ulm um mehrere Monate.
Die Minisaurier sorgen auch bei Schweizer Firmen für Ärger. Denn an dem Deutsche-Bahn-(DB-)Projekt Stuttgart–Ulm, das aus den Teilprojekten Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm besteht, sind Implenia, Marti, Walo Bertschinger und Agir beteiligt. Sonderfälle wie die Echsenplage, eine problematische Geologie und defekte Tunnelbohrer bremsen das Projekt, verteuern es und bescheren den Baufirmen Kostenrisiken. Projektstart war schon 1995, doch erst ab 2021 sollten die ersten Züge durch die Tunnel rasen. Jetzt ist das Projekt um zwei weitere Jahre verzögert.
Viel Geld steht auf dem Spiel
Für die Baufirmen aus der Schweiz geht es um viel. Der Auftragswert für sie beträgt eine halbe Milliarde Euro. Der Gesamtwert des Megaprojekts: bis zu 10 Milliarden Euro. Vor gut zwanzig Jahren waren es noch 2,5 Milliarden Euro. Das Projekt läuft zeitlich und monetär aus dem Ruder. Deutsche Steuerzahler demonstrieren, Stuttgarter Politiker streiten sich über das Milliardengrab – und mittendrin die Schweizer Baufirmen.
Implenia gräbt auf der Neubaustrecke den gut 8 Kilometer langen Albvorlandtunnel für insgesamt 380 Millionen Euro. Der Baufortschritt ist «aufgrund einer Umverlegung einer Stromleitung leicht hinter den Erwartungen», sagt ein Implenia-Sprecher. Er gibt sich entspannt: «Auf die gesamte Projektdauer wird dies keinen Einfluss haben.» Marti ist gleich an mehreren Tunnelaufträgen in Konsortien beteiligt, allen voran am Tunnel Imberg.
Auch Agir ist mit an Bord
Walo Bertschinger macht ebenfalls in einem Konsortium beim Tunnelbau mit, der im Zuge von Stuttgart 21 den Hauptbahnhof mit Feuerbach verbindet. Vierte im Bunde ist die Firma Agir. Sie transportiert das Ausbruchmaterial ab. Agir-Gruppenleiter Andreas Meyer sagt: «Wir sind wenige Monate hintennach.» Der Grund: Maschinendefekte an der Tunnelvortriebsmaschine und geologische Probleme.
Dabei klang das milliardenschwere Mammutprojekt für die Schweizer Auftragnehmer vielverspechend. Mit Kampfpreisen konnten sie trotz Frankenstärke in den vergangenen Jahren mit in Euro kalkulierenden deutschen Baufirmen konkurrenzieren und Aufträge gewinnen. Jetzt kämpfen sie um jeden Cent. Denn: «Gewinnbringend und über den Selbstkosten werden im Tunnelbau heute kaum noch Aufträge gewonnen», sagt Meyer. Deshalb seien die Baufirmen auf Nachbesserungsaufträge angewiesen. Um kompetitiv zu bleiben, nehmen Tunnelbauer Risiken immer weniger in ihre Kostenrechnung auf. «Die Hoffnung, dass alles gut geht, ist meist grösser als das Ergebnis», sagt Meyer.
Das Risiko wird abgewälzt
Wenn die Bohrmaschine im Berg stecken bleibt, Wasser im Tunnel tropft oder Eidechsen den Weg versperren, hängt der Erfolg letztlich davon ab, wie die Verträge mit der DB ausgestaltet sind: Trägt der Auftraggeber das Risiko und kommt für Schäden und Verzögerungen auf? Oder muss der Auftragnehmer bluten? Darüber streiten sich in der Regel Baufirmen und Projektführer. Stuttgart–Ulm ist für Meyer das Paradebeispiel, womit Tunnelbauer kämpfen: «Früher hat der Bauherr das Risiko anerkannt und nicht einfach auf die Baufirma überwälzt. Jetzt streitet man sogar über Nachträge, die berechtigt sind.»
Der Unmut über die DB ist mittlerweile gross. Diese sei in den Verhandlungen zu hart und unnachgiebig, heisst es. Besonders kleinere Firmen haben meist das Nachsehen. Sie haben nicht die Verhandlungsmacht wie eine Implenia. Marti und Walo sind kleiner als Implenia und hängen mehr vom Projekterfolg bei Stuttgart–Ulm ab. Implenia macht gute Miene zum bösen Spiel und verweist auf die Vertragsregelungen bei allfälligen Mehrkosten. «Mit der Deutschen Bahn sind wir in gutem Einvernehmen.»