Natürlich ist die Lancierung einer neuen Uhr in Zeiten von Lockdown und wirtschaftlichem Ausnahmezustand nur eine Randnotiz. Aber: Heute Donnerstag lässt die Swatch Group an ihrer Bilanz-Präsentation eine kleine Bombe platzen. Sie lanciert – endlich! – ihre längst versprochene Smartwatch. Und zwar mit der Marke Tissot. Das berichtet «Le Temps» (Artikel für Abonnenten). Die Informationen der Westschweizer Kollegen stammen dabei von Swatch-Group-Chef Nick Hayek persönlich.
Hayek sagt: «Alle werden unsere Bilanzmedienkonferenz verfolgen, um zu sehen, was wir über die (Corona-) Situation sagen. Mit der Präsentation neuer Produkte, wie bei Tissot, wollen wir auch die positive Botschaft vermitteln, dass die Welt nicht stehen bleibt.»
Ab Juni in der Schweiz erhältlich, wenn das Virus mitmacht
Noch ist nicht bis ins Detail klar, über welche Features die «T-Touch Connect Solar» – auf diesen Namen hört die neue Tissot-Smartwatch – genau verfügen wird. Klar aber ist bereits: Das billigste Modell wird knapp 1000 Franken kosten und damit rund doppelt so viel wie das Einsteiger-Modell von Smartwatch-Platzhirsch Apple. Geplant war, dass die Uhr ab Juni in den Läden sein wird, zunächst in der Schweiz. Dieser Zeitplan könnte durch die Corona-Krise durcheinander gebracht werden.
Für die Entwicklung der Tissot-Smartwatch hat die Swatch Group rund 35 Millionen Franken investiert, wie Hayek gegenüber «Le Temps» sagt. Die Uhr werde von 35 Patenten geschützt.
Hayek wäre nicht Hayek, hätte er mit seiner Smartwatch, von deren Erscheinen er seit bald fünf Jahren spricht, einfach die Konkurrenz kopiert. Jedenfalls geht er mit der «T-Touch Connected» klar einen eigenen Weg. Ob dieser so erfolgreich sein wird wie jener von Apple – der US-Konzern verkauft mittlerweile mehr Uhren als die ganze Schweizer Branche zusammen und könnte allein mit Uhren schon bald auch mehr Umsatz machen – wird sich weisen müssen.
Für Hayek jedenfalls ist das, was das Swatch-Group-Projektteam erreicht hat, schlicht «faszinierend». Geleitet wurde die Entwicklung von Sylvain Dolla, der gleichzeitig die Konzernmarke Hamilton leitet, und Nicolas Clerc, Vize-Präsident von Tissot.
Bei Lichte besehen verfügt die Hayek-Smartwatch über zwei veritable Killer-Features. Sie hat aber auch Mängel.
Die Swatch-Smartwatch muss nicht jeden Abend an die Steckdose
Das erste Killer-Feature ist, dass die Uhr nicht jeden Abend neuen Strom tanken muss. Im Zifferblatt integriert ist eine in der Schweiz hergestellte Solarzelle. Sie lädt die Uhr konstant auf. Dank der Sonne soll, verspricht Hayek, die Batterie bei voller Smart-Funktionalität rund ein halbes Jahr halten, bei reinem Betrieb als Uhr gar zehn Jahre.
Dass auf dem Zifferblatt eine Solarzelle integriert ist, hat aber – jedenfalls bezüglich der Gewohnheiten bisheriger Smartwatch-User – auch einen Nachteil. Die smarte «T-Touch» hat trotz einer stattlicher Grösse von 47 Millimetern – zum Vergleich: die fünfte Generation der Apple Watch kommt auf 40 Millimeter – einen bloss kleinen Bildschirm. Er füllt den unteren Drittel des Zifferblattes. Und zeigt Textnachrichten und andere Infos an.
Kompatibel mit iOS, Android und Harmony
Das zweite Killer-Feature der neuen Uhr ist, dass ihr Betriebssystem «SwAlps» (Swiss Autonomous Low Power System), eine Entwicklung der Swatch Group und der Schweizer Forschungsfirma CSEM, sowohl mit Apple-, Android- und selbst Harmony-Smartphones kompatibel ist. Harmony ist das brandneue Betriebssystem von Huawei.
Die Swatch Group sagt, dass die neue «T-Touch» damit die erste Smartwatch überhaupt sei, welche mit allen wichtigen Handy-Betriebssystemen zusammenarbeitet. Wobei natürlich fraglich ist, ob Apple-Jünger ihr iPhone tatsächlich mit einer Tissot verbinden wollen statt mit einer Apple Watch.
Begrüssenswert ist, dass sich die Swatch Group für ein offenes Betriebssystem entschieden hat. Allerdings wäre es angesichts des Rückstandes auf die Konkurrenz auch nicht clever gewesen, bezüglich Technik einen proprietären Sonderzug zu fahren.
Denn die smarte Tissot ist für Smartwatch-User ohnehin schon gewöhnungsbedürftig genug: kleiner Bildschirm, echte Zeiger, kein NFC-Chip (und damit wohl auch eine sehr eingeschränkte Bezahl-Funktionalität), keine eSIM (welche es der Uhr erlauben würde, sich selbst und ohne verbundenes Handy ins Mobilfunknetz einzuwählen). «Unsere Priorität war der ultraniedrige Verbrauch der Uhr. Mit einer eSim wäre das nicht denkbar», begründet Manager Dolla den Verzicht.
Und Hayek sagt zu «Le Temps»: «Wir hätten das Gleiche wie andere tun können: die Android-Wear-Software kaufen. Wir zogen es aber vor, die Dinge aus industrieller Sicht zu tun und auf diese Weise von den globalen Software-Riesen unabhängig zu bleiben.»
«Kein Wearable»
Auffällig ist, dass sich die Swatch Group nicht für das grosse Hype-Thema im Smartwatch-Markt, nämlich die Messung von Gesundheitsdaten aller Art, die insbesondere Apple nach Kräften forciert, zu interessieren scheint. Ausser einem Schrittzähler hat die neue «T-Touch» keine Gesundheits-Sensoren an Bord. «Wir sind nicht auf dem Gebiet der Wearables», begründet Manager Dolla. Eine Tissot sei und bleibe in erster Linie eine «Swiss made»-Uhr. Tatsächlich wird sie in den Swatch-Fertigungsstätten im Tessin gebaut.
Gegenüber der Macht von Marktführer Apple gibt sich Hayek ohnehin gelassen. «Die Apple Watch hilft uns sehr. Schauen Sie sich all die Amerikaner an, die dank ihr wieder Uhren tragen. Apple hat die Arbeit für uns erledigt und uns keine Marktanteile abgenommen. In den USA und anderswo hat Tissot überhaupt nicht unter der Apple Watch gelitten», so Hayek.
Allerdings hat Tissot im Vergleich zu 2017 Umsätze eingebüsst. Während die Marke 2017 noch 1,07 Milliarden Franken Umsatz machte, sanken die Verkäufe im vergangenen Jahr auf noch 1,02 Milliarden Franken. Das jedenfalls zeigen die neusten Schätzungen von Morgan Stanley und Luxeconsult (siehe Grafik unten). Tissot ist damit nur noch die Nummer sieben unter den grössten Schweizer Uhrenmarken. 2017 lag Tissot noch auf Platz sechs.