Treffen sich zwei Piloten in der Fliegerlounge. Sagt der eine: «Weisst du schon, dass wir in Zukunft nicht mehr zu zweit im Cockpit sitzen sollen?»
Sagt der andere: «Nein, das höre ich zum ersten Mal. Wie soll das denn gehen?»
«In den neuen Flugzeugen sieht es im Cockpit ganz anders aus. Da sitzt vorne nur noch ein Pilot. Und ein Hund.»
«Ein Pilot und ein Hund? Und was machen die?»
«Angeblich soll der Pilot aufpassen, dass der Hund nicht einschläft – und der Hund passt auf, dass der Pilot nichts anfasst.»
Walter Staub lacht los, als er den Witz hört. Dabei ist Staub selber Pilot – und was für einer! Gross und stämmig, freundlich, mit offenem Blick und festem Händedruck. So einen möchte man im Cockpit wissen, wenn Scherwinde das Flugzeug schütteln. 14'000 Flugstunden hat der 47-Jährige schon hinter sich, er ist Airbus-Kapitän auf den Europastrecken.
Staub hat als Ingenieur bei der SR Technics angefangen. Dort infizierte ihn das Aviatikfieber, die Faszination, 60 Tonnen Metall abheben zu sehen. Am 1. Oktober 1994 flog er zum ersten Mal als Pilot, «für die Swissair nach Manchester», erinnert er sich, in einer MD-80, «eine wunderschöne Maschine». Vom zwischenzeitlichen Durchhänger im Oktober 2001, dem Grounding, hat Walter Staub sich nicht herunterziehen lassen – obwohl es auch für ihn persönlich einen Rückschlag in der Laufbahn bedeutete.
Der erste Offizier
Mario Breitler (29) ist bisher 1700 Stunden geflogen. Schon mit 16 Jahren hatte er militärische Vorschulungskurse im Fliegen besucht, mit 18 machte er seine Privatpilotenlizenz. Und schaute zum Himmel, wann immer «ein Grosser» vorbeiflog. Zunächst arbeitete er zwei Jahre als Bauingenieur, nachdem er das Studium sowie eine Ausbildung zum Sanitätsmonteur abgeschlossen hatte. Doch der Traum vom Fliegen war stärker:
Am 1. Juli 2012 sass er erstmals in einem Swiss-Cockpit, von Zürich über Genf nach Nizza. Breitler ist ein fröhlicher, aufgestellter Typ, der auf Partys schon mal sagt, er arbeite als «Busfahrer», damit seine Freundin nicht den ganzen Abend auf ihn verzichten muss – denn genau wie Staub hat auch Breitler erfahren: Mit Piloten unterhält sich jeder gern. Nur auf Nachfrage gibt Breitler dann zu, dass er einen «Air-Bus» steuert.
Gefragte Piloten
Walter Staub behauptete einmal bei einer Party, er sei Tankwart. Sein Gesprächspartner sagte: «Ich auch.» Also fachsimpelten sie eine Viertelstunde über Zapfanlagen – bis sich herausstellte, dass beide geflunkert hatten. Der andere, ein Elektroingenieur, war es leid, dass er ständig bei Computerproblemen Hilfe leisten sollte. Es wurde dann ein ziemlich lustiger Abend.
Die Berufsgruppe der Piloten erlebt eine Zeit des Umbruchs. Einerseits ist das Sozialprestige nach wie vor hoch, die Strahlkraft der Uniform ungebrochen; die habe «schon noch Sex-Appeal», das merke man am Flughafen, lächelt Staub – der längst glücklich verheiratet ist und drei Kinder hat. Und die Branche ist, global gesehen, ein Wachstumsmarkt: Allein für Europa braucht es in den kommenden 20 Jahren 100'000 neue Piloten, weltweit fast eine halbe Million. Da Airbusse überall fliegen und in der Luftfahrt stets englisch gesprochen wird, sind die Jobaussichten bestens.
Weniger Technikgläubigkeit
Andererseits brachten der Markteintritt der Billigflieger und der folgende Einbruch der Ticketpreise ein neues Arbeitsumfeld: Piloten befördern heute nicht mehr die Reichen, Schönen und Erfolgreichen, sondern bedienen einen Massenmarkt. Und neben den Lowcost-Airlines heizen staatlich unterstützte Fluggesellschaften wie Emirates, Etihad, Qatar oder Turkish den Preiswettbewerb an, dazu chinesische Airlines, die mehr Anteil am Verkehr zwischen Europa und China wollen.
Dieser Preiskampf sägt an Umsätzen und Gewinnen der Fluggesellschaften in Europa – und bei jedem Sparprogramm rücken die Saläre und Sozialleistungen der Piloten ins Blickfeld. Auch bei der Swiss, wo das erreichbare Endgehalt bei rund 205'000 Franken liegt (für Airbus-Piloten), viel mehr allerdings bei Konzernmutter Lufthansa, wo selbst Kapitäne, die keine Zusatzfunktionen im Konzern ausüben, bis 300'000 Franken verdienen können.
Die Sache mit dem Hund
Und dann war da noch die Sache mit dem Hund. Der Pilotenwitz mit dem Hund hat einen durchaus ernsthaften Hintergrund. Die Flugzeugbauer, insbesondere Airbus, arbeiteten über Jahrzehnte intensiv am «No-Man-Cockpit». Die Techniker hatten den Ehrgeiz, den Faktor Mensch auszuschalten. «Diese blinde Technikgläubigkeit ist heute verschwunden», sagt Rainer Hiltebrand (60), Chef des Flugbetriebs bei der Swiss. Dazu trugen Vorfälle bei wie jener, als in einem Airbus-Cockpit alle sechs Bildschirme zugleich ausfielen, obwohl die Ingenieure dies für technisch unmöglich erklärt hatten. Solche Probleme lösen dann die Piloten in der Luft – wovon die Öffentlichkeit praktisch nie erfährt. Gleiches gilt für die umfangreiche, unglamouröse, aber für die Flugsicherheit elementare Arbeit hinter den Kulissen.
Dafür machen Einzelfälle schlafender oder angetrunkener Piloten sofort die Runde und bringen eine ganze Berufsgruppe in Verruf. Die Piloten nehmen das notgedrungen in Kauf – und auch deshalb den beliebten Busfahrer-Vergleich nicht ernst. «Das trifft uns nicht», sagt Breitler. Denn bei Problemen anhalten und rechts ran fahren, das sei in der dritten Dimension nun mal nicht möglich. Kein Computer könne entscheiden, «ob man der Wolke vor einem trauen kann oder nicht».
Gestartet und gelandet wird von Hand
Gestartet und gelandet wird von Hand, vor allem bei Seitenwind kann kein Autopilot ein Flugzeug herunterbringen. Der technische Fortschritt in der Fliegerei, sagt Staub, sei wie beim Smartphone im Vergleich mit einem Uralt-Handy: «Die SMS tippt man immer noch selber.» Und Swiss-Manager Hiltebrand, der es selber als Flugzeugführer bis zum Chefpiloten der Swissair selig gebracht hat, bestätigt: Neben der Anforderung, komplizierte Systeme zu überblicken und zu beherrschen, «werden heute die grundlegenden fliegerischen Fähigkeiten wieder verstärkt trainiert».
Den Meinungsumschwung beschleunigt hat auch der Absturz der Air-France-Maschine AF447 im Frühsommer 2009 von Brasilien nach Paris: Vereiste Geschwindigkeitssonden verwirrten die Bordtechnik, und die überforderten Piloten hatten die grundlegenden Flugparameter Lage, Richtung und Geschwindigkeit nicht mehr unter Kontrolle. Heute will Airbus von Euphorie für das menschenleere Cockpit nichts mehr wissen – und weicht Anfragen dazu aus.
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