Drachen tanzten, Trommeln wurden geschlagen, der laue Frühlingswind fächelte dem Verwaltungsratspräsidenten und der Wirtschaftsministerin die Haare aus der Stirn, und am Flussufer gegenüber glitzerten die Leuchtreklamen der dynamischsten Metropole der Welt: Shanghai, seit Mai per Swiss-Direktflug mit Zürich verbunden. So eine Streckeneröffnung kann eine angenehme Sache sein.

In Shanghai warb Doris Leuthard, die zuvor eine solche Verbindung lautstark gefordert hatte, für den Freihandel, Swiss-Präsident Rolf Peter Jetzer nannte den neuen Flug die «Krönung unseres Turnarounds». CEO Christoph Franz gab sich optimistisch, dass der Flug in das Wirtschaftszentrum Südchinas in absehbarer Zeit die Gewinnzone erreichen werde.

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Das war Mitte Mai, und die heraufziehende Krise schien damals kaum mehr zu sein als ein kleines Unwetter. Inzwischen sieht es anders aus. Der Bankencrash ist zur globalen Wirtschaftskrise ausgewachsen, und wie immer erwischt es die Fluglinien als Erste. Nicht nur, weil Banker viel (und selten Holzklasse) fliegen – die UBS gilt als grösster Kunde der Swiss –, sondern weil die meisten Firmen in dunkleren Zeiten zügig das Reisebudget als Kostenfaktor ins Visier nehmen. Hier kann schnell bares Geld gespart werden.

Der Rückgang im Luftverkehr sei «alarmierend schnell und umfassend», stöhnte der Generaldirektor des Weltluftfahrtverbandes IATA, Giovanni Bisignani, kürzlich. Einen solchen Absturz der Passagierzahlen habe er «seit dem Sars-Virus 2003 nicht gesehen». IATA-Chefvolkswirt Brian Pearce prognostiziert für 2008 Branchenverluste von mehreren Milliarden Dollar, und das nachdem sich die Fluglinien erst 2007 wieder in die Gewinnzone hochgearbeitet haben, nach sechs rotgefärbten Jahren. Ein Zehntel ihrer Mitglieder hat die IATA in diesem Jahr bereits eingebüsst, weil diese Airlines ihren Flugbetrieb einstellen mussten. Schwerpunkte der Krise sind Asien, hier insbesondere Indien und die USA.

Lufthansa und Swiss kommen bisher glimpflich durch die Krise. Beide haben in den ersten neun Monaten solide Gewinne eingeflogen, nur leicht unter dem Niveau des Vorjahres, die Swiss hat sogar die Auslastung leicht gesteigert.

RIESIGE VERLUSTE. Aber die Einschläge kommen der Schweiz immer näher. Scandinavian Airlines findet keinen Käufer für ihre spanische Tochter Spanair und steht quasi selbst zum Verkauf. Alitalia kriecht einer Rettungsaktion entgegen, und die amerikanische Southwest, Mutter aller Billigflieger, hat 2008 erstmals einen Quartalsverlust gemeldet. Austrian Airlines-Chef Alfred Ötsch schliesslich erwartet einen Jahresverlust von mehr als 100 Millionen Euro und nähert sich einem Schuldenstand von einer Milliarde Euro – und während die österreichische Regierung immer noch glaubt, die Airline sei zu retten, bot ihr die Lufthansa als einziger Kaufinteressent gerade mal einen Cent pro Aktie.

Bei Alitalia und der genauso schwachen griechischen Olympic geben die alten «flag carriers» auf und machen einer neu gegründeten Gesellschaft Platz, die Teile übernimmt und dann versucht, sich am Markt zu behaupten – «faktisch ist das vergleichbar mit dem Fall der Swiss», sagt CEO Christoph Franz: «Die aktuelle Branchenkrise hat Europa also längst erreicht» (siehe auch das Interview auf Seite 46). 2008 wird aber nicht nur für die Branche ein härteres Jahr, wusste Rolf Peter Jetzer schon im Frühsommer: «Das gilt sicher auch für die Swiss.»

Für Franz kommt etwas Zweites hinzu: neue Schwestern im Lufthansa-Verbund. Der Mutterkonzern übernimmt die Mehrheit an British Midland, bietet für Austrian Airlines, streckt die Fühler immer mal wieder nach der Alitalia aus und wird auch nicht zurückzucken, dem Allianzpartner Scandinavian (SAS) Unterschlupf zu gewähren, sofern der Preis stimmt – SAS-Chef Mats Jansson hat sich an den 39 Gewerkschaften der Dreiländer-Airline schon mehrfach die Zähne ausgebissen. Weitere Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, wie die Lufthansa-Beteiligungen an der US-Billigfluglinie JetBlue und an Brussels Airlines gezeigt haben.

VOM JÄGER ZUM GEJAGTEN. Wer und wie viele auch hinzukommen: Die Rolle der Swiss im Konzernverbund wird sich verschieben. Von der gefeierten Tochter, die konzernintern als Benchmark in Sachen Profitabilität gilt, und das bei hohem Qualitätsanspruch, wird die Swiss zum Angriffsziel. Neue Schwestern, die unter Lufthansa-Fittichen zur alten Schlagkraft zurückfinden oder sogar noch besser werden, werden Ansprüche anmelden: auf bessere Flugverbindungen, auf Geld für neue Langstrecken und neue Flugzeuge, auf Ressourcen also, die im Konzern nur begrenzt zur Verfügung stehen. Für Franz heisst das: Er wird vom Jäger zum Gejagten.
Das ist ganz nach dem Geschmack Wolfgang Mayrhubers. Der Lufthansa-Boss liebt es, den internen Wettbewerb zu forcieren: In Deutschland fliegen Lowcost-Tochter Germanwings und Mutter Lufthansa gegeneinander an, und selbst die beiden Drehkreuze Frankfurt und München stehen im Konkurrenzkampf. Mayrhuber hat jeweils einen Hub-Manager installiert, der sein eigenes Flugpersonal und die Betriebskosten wie etwa Bodenabfertigung verantwortet, eigene Wartungsmannschaften führt und eine ihm zugeteilte Flotte an Flugzeugen steuert; sogar die Planung des Streckennetzes, ein Kernstück beim Führen jeder Fluglinie, könnte künftig teilweise auf die Hub-Chefs übergehen.

Zürich gilt in diesem Modell lediglich als einer von mehreren Hubs im Lufthansa-Verbund, der «zusätzliche Umsteigemöglichkeiten» schafft. Hinzu kommen weitere Flughäfen, die ebenfalls einzelne Direktverbindungen per Langstrecke anbieten, wie Düsseldorf – das «möglichst freie Spiel der Kräfte», nennt ein Lufthansa-Berater dieses Konzept. Franz, der sich mit Mayrhuber im Übrigen bestens versteht, ist diese Konkurrenzsituation bewusst, die sei «durchaus gewollt». Franz begrüsst das sogar – denn «das schafft spannende Dynamik in einem Multi-Hub-Verbund».

Mit weiteren Flugtöchtern wird das «Spiel der Kräfte» allerdings zunehmend komplex. «Da bräuchte es stärkere Leitplanken, also interne Richtlinien», sagt der Berater: Wer bekommt welche Langstreckenflüge, wo sind die meisten Business-Class-Kunden abzuholen? Die Swiss hat mit Zürich zwar einen starken Trumpf in der Hand: Die sogenannte «Catchment Area», das Einzugsgebiet des Airports, wird auf gut 6 Millionen Menschen geschätzt und ist damit deutlich grösser als Wien mit 4 oder Kopenhagen mit nur 2,4 Millionen, zudem sorgen Grossbanken, Anwaltskanzleien und die nahen Multis Roche, Novartis und ABB für viel Businesskundschaft.

GEFAHR FÜR ZÜRICH. Dennoch droht Gefahr: Der neue Konzernstandort Brüssel, der mit dem Einstieg bei Brussels Airlines hinzukam, ist für mehr als zehn Millionen Menschen in akzeptabler Zeit erreichbar und lockt mit der zahlungskräftigen Klientel der EU-Bürokratie. In der Wirtschaftsmetropole Mailand, die ebenfalls an der Zehn-Millionen-Grenze kratzt, stationiert Lufthansa ab Februar 2009 sechs Airbusse, um von dort aus Europaflüge anzubieten – spätere Langstrecken nicht ausgeschlossen. Und Europas wichtigster Hub, London, fällt Mayrhuber mit der Übernahme der British Midland (BMI) in die Hände. Deren Gründer, Sir Michael Bishop, hat eine seit neun Jahren gegenüber Lufthansa existente Verkaufsoption ausgeübt. BMI ist, nach British Airways, die zweitstärkste Airline am Londoner Drehkreuz Heathrow. Der Flughafen ist komplett ausgebucht, Landerechte, sogenannte Slots, sind so gut wie nie zu bekommen, weil keine dort vertretene Airline sich zurückziehen will. Deshalb sind die Slots, die BMI mitbringt, mit Geld kaum aufzuwiegen. Und wenn, wären sie Branchenschätzungen zufolge eine Milliarde Euro wert.

Insofern dürfte das Breitmachen der Lufthansa in Heathrow vor allem Willie Walsh ärgern. Der CEO der British Airways setzt bisher fast ausschliesslich auf seinen bärenstarken Heimatmarkt und hat Übernahmen gescheut. Dass er nun nach der Iberia greift, interpretieren Branchenkenner als von aussen erzwungenen Schritt: Schlägt Walsh nicht zu, dann steht unweigerlich Mayrhuber bei Iberia vor der Tür. Das Gegenmodell zu Walsh ist Air-France-Präsident Jean-Cyril Spinetta, der seine Airline vor vier Jahren mit der holländischen KLM verheiratet hat und damit der ganzen Branche den Weg wies. Seitdem wagte Spinetta aber keine weiteren Schritte.

London, Brüssel, Mailand, Wien – die künftigen Konkurrenten Zürichs um Langstreckenflüge im Lufthansa-Reich. Franz aber macht sich «keine Sorgen». Denn konkurrierende würden damit zu befreundeten Hubs, die keinen Kampf mehr liefern. Franz «setzt sogar darauf, dass uns das zusätzliche Vorteile bringt» – Swiss und Lufthansa hätten schliesslich auch voneinander profitiert.

SCHLANKE STRUKTUREN. Die Synergien der beiden Airlines werden zwar nicht mehr ausgewiesen, seit Lufthansa die Swiss voll konsolidiert. Schätzungen zufolge dürften sie aber in der zuletzt erreichten Höhe von jährlich 230 Millionen Euro fortgeschrieben werden können. In der Tat kann Kooperation Kosten eliminieren: Abgestimmte Flugpläne zum Beispiel takten das Angebot an Verbindungen, statt im Abstand von wenigen Minuten gegeneinander anzufliegen.

Beim Kampf um Langstreckenflüge sieht es aber anders aus. Lässt man eine neue Peking-Verbindung von Wien, Mailand oder Zürich aus starten? Da wird sich die Frage stellen, in welchem Markt es am meisten Sinn macht: Wo lässt sich der Flieger am profitabelsten füllen? «Das aufzuzeigen, liegt dann an uns», sagt Franz. Innerhalb der Lufthansa-Familie muss sich die Swiss dann gegen die zahlreicher werdenden Schwestern durchsetzen.

Da hilft es, dass die Swiss ihre Sanierung hinter sich hat – und gar keine Chance besass, in den wenigen guten Jahren Wohlstandsspeck anzusetzen. Grössere chirurgische Eingriffe brauchen Franz und sein Netzwerkchef Harry Hohmeister nicht einzuleiten. Lediglich Risikomanagement ist angesagt. «Wir agieren derzeit nach dem Vorsichtsprinzip.»

Soll heissen: Es wird kein zusätzlicher Overhead in der Verwaltung aufgebaut, nur die Lücken beim fliegenden Personal werden geschlossen. Ohnehin muss bei Swiss jede Neueinstellung, sogar jede Umwandlung einer Teilzeit- in eine Vollzeitstelle, von der Geschäftsleitung bewilligt werden. Investitionen wie das Auffrischen der Lounges an ausländischen Flughäfen werden etwas verzögert. Und natürlich werden die Lieferanten aufgefordert, einen Teil der Belastungen zu übernehmen. Wo Wettbewerb herrscht, wie bei Hotels oder Handling-Anbietern an Flughäfen, hat Franz bereits Preisnachlässe durchsetzen können, teilweise laufen noch Verhandlungen. Monopolisten wie der Flughafen Zürich sind widerstandsfähiger; Unique hat die Gebühren bisher nicht gesenkt. Auf der Umsatzseite befeuert Swiss den Verkauf mit Angebotsaktionen für günstige Tickets. Deshalb kommt das derzeitige Wachstum der Swiss vor allem aus der Economyklasse. Immerhin, Swiss hat noch Wachstum. «Mit Kassandrarufen eine dramatische Krise herbeireden» – das brauche es nicht, betont Franz. «Die ist bei uns noch nicht erkennbar.»

Franz ist allerdings, wie Mayrhuber, ein vorausschauender Stratege. Und so warnt er das Personal vor: Wenn es schwierig werde, «müssen wir auch gewisse variable Kosten herausnehmen können, etwa die Gewinnbeteiligung». Franzens Finger zeigt zudem Richtung Flughafen: In Zürich sind pro Stunde nur rund 55 Flugbewegungen möglich – zu wenig, um während der übervollen Stosszeiten neue Langstrecken mit den notwendigen Zubringerflügen zu verzahnen. Das könnte sich rächen: Auch der Ausbau von München wurde bei der Lufthansa erst zum Thema, als der überquellende Heimatflughafen Frankfurt zur Wachstumsbremse wurde. Zürich dürfe dieses Schicksal nicht erleiden, fordert Franz – da ist er wieder, der konzerninterne Wettbewerb.

NACHFOLGE-KANDIDATEN. Auch punkto Mayrhubers Nachfolge dürfte der Beauty Contest in Gang sein. Als Topkandidaten gehandelt werden Christoph Franz und der junge Chef des Frachtgeschäfts, Carsten Spohr, der als Vertrauter Mayrhubers gilt. Zudem im Gespräch sind der Chefstratege des Passagiergeschäfts, Holger Hätty, und Karl Ulrich Garnadt, der den Wettbewerb der Hubs überwacht.

Wenn Franz die Swiss ohne grössere Schrammen durch die Krise steuert, dürften seine Chancen nicht schlecht stehen – für ihn spricht die umfangreichste operative Erfahrung. Mayrhuber, der Ende 2010 ausscheidet, kann sich allerdings mit der Nachfolgeplanung noch Zeit lassen. Und vor der Kandidatenkür in bewährter Weise den Konkurrenzkampf orchestrieren.