Rolf Dörig wählte schöne Worte. Er sprach von einer «Partnerschaft», von «internationalen Wachstumsstrategien» und einer «breiten Best-Select-Palette». Der VR-Präsident der Swiss Life, gelernter Anwalt, ehemaliger CS-Banker und Fussballfunktionär, wurde sogar kitschig: «Gemeinsam werden wir stärker.»
Das war im Dezember 2007. Bis August 2008 sollte die bahnbrechende Allianz mit dem deutschen Geldjongleur Carsten Maschmeyer umgesetzt sein, dessen Finanzvermittlerkonzern AWD der Swiss Life einverleibt würde. Dörig zahlte dafür 1,9 Milliarden Franken. «Die Transaktion wird sich spätestens ab 2009 positiv auf den Gewinn je Swiss-Life-Aktie auswirken», versprach er.
Heute fehlen den Swiss-Life-Oberen die Worte. Den Namen Maschmeyer würden sie gerne aus der Firmengeschichte streichen und auch die Buchstaben AWD. Am liebsten möchten sie, so wird neuerdings kolportiert, die Marke AWD abschaffen. Im März 2011 dementierte Swiss Life gegenüber der BILANZ erste Gerüchte über eine geplante Namensänderung: «AWD ist eine starke Marke.» Heute bleibt die Frage unkommentiert.
Der Name Maschmeyer lässt sich im Versicherungskonzern nicht so einfach abschütteln. Er steht für ein Drama. Der Wert des Swiss-Life-Konzerns ist nach dem Höhepunkt im Januar 2006 auf ein Viertel hinuntergerauscht, der Aktienkurs von damals rund 300 auf heute 90 Franken gefallen.
Wer hat es vermasselt? «Die Krise!», rufen die leitenden Angestellten aus, wenn sie nach Fehlerquellen suchen. Das Argument ist überprüfbar, ein Vergleich mit den Mitbewerbern hilft: Die Aktie der Zürich-Versicherung fiel von ihrem Höhepunkt im Januar 2007 von 330 auf etwa 215 Franken – also nicht einmal halb so tief. Selbst die Generali-Aktie fiel nur auf die Hälfte. Swiss Life ist ein Sonderfall.
Im Nachhinein sind alle klüger, heisst es. Aber konnten Dörig und Bruno Pfister, der am Deal beteiligt war und im Mai 2008 Konzernchef wurde, nicht schon vorher wissen, worauf sie sich einliessen? Pfister zumindest, ein gelernter McKinsey-Mann und stromlinienförmiger Karrieremanager, demonstrierte bis anhin Unbekümmertheit. Als er Ende Februar die Ergebnisse für 2011 präsentierte, fehlten die Charts über den Aktienkurs. Es fehlten auch die Benchmark-Vergleiche mit den Konkurrenten.
Klar, der Gesamtkonzern hat 2011 acht Prozent mehr verdient. Aber das AWD-Problem haben Dörig und Pfister nicht im Griff. Der AWD-Betriebsgewinn lag 2011 nur noch bei sieben Millionen Franken. Allein 56 Millionen Franken mussten sie für Rechtsfälle zurückstellen, sogenannte «Altfälle» der AWD.
Blauäugig ins Abenteuer. Altfälle? Ja, die Fälle sind so alt, dass die Swiss-Life-Manager vor dem Entscheid Ende 2007 grosse Rechtsprobleme erkennen konnten, bevor sie sich entschieden, das Konzernvermögen in Maschmeyers AWD zu stecken. Eine gründliche Due-Diligence-Prüfung der AWD, die diesen Namen wirklich verdient, hätte damals schon Erstaunliches über «Finanzprodukte» der AWD offenbart.
Man hätte sich die Prüfung sogar einfach machen können – einmal googeln hätte gereicht. Zum Beispiel über die Zielinvestments in die Schweizer Immobilienfonds des deutschen Finanzjongleurs Jürgen Amann, der in Zug residierte. AWD-Vermittler hatten die Amann-Fonds jahrelang verkauft. Im Winter 2007, als die Swiss-Life-Oberen prüften, war das Amann-Finanzwesen der Internetgemeinde längst bekannt. Man musste in der Suchmaske nur den Namen Jürgen Amann und das Wörtchen «Betrug» eingeben. In der Schweizer Mediendatenbank waren damals bereits Berichte über Amann unter eindeutigen Headlines archiviert. Die Stichworte: «Razzia», «Hausdurchsuchung», «Staatsanwalt», «Millionenfiasko». Das Ende: Im Mai wurde Amann in Zug wegen gewerbsmässigen Betruges zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Noch schwerer wiegen die Finanzprodukte aus der Werkstatt des Stuttgarter Fonds-Gestalters Walter Fink, früher als «Mercedes unter den Anlagen» beworben. Sie waren nicht zu übersehen, begleiteten sie doch den Aufstieg Maschmeyers über Jahre hinweg. Aus Maschmeyers Verkaufsmaschine und den Fink-Fonds bildete sich eine gefährliche Symbiose. Walter Fink kam mit dem Auflegen immer neuer Fonds kaum noch nach. 2001 hatten mehr als 34 000 AWD-Kunden ihr Geld in die Fink-Investments gesteckt. Zeitweise war ein Drittel aller AWD-Verträge in Fink-Anlagen platziert.
Was dabei offensichtlich nicht interessierte: Seit Ende der neunziger Jahre war «Walter der Grosse» ein Thema in Pressebeiträgen über «falsche Versprechungen», Verluste, Kickbacks und merkwürdige Investmentmethoden. 2004 war er vom Landgericht Stuttgart wegen Untreue verwarnt worden.
Für die Kunden endeten die Investments in einem Desaster. Ihr Verlust mit den Fink-Fonds: im Schnitt 90 Prozent. Nach ersten Schadensersatzklagen gegen Fink obsiegten schliesslich Anwälte im Sommer 2007 – Monate vor dem Einstieg – vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf mit Klagen gegen die Anlageberater. Zu diesem Zeitpunkt lieferte das Internet in Blogs, Anwalts-Websites und Opfer-Foren seitenweise Hinweise auf Gerichtsurteile gegen die Vermittler. Die Rechtsrisiken waren nicht zu übersehen.
Sammelklage. Nun trifft die Swiss Life eine weitere Klagewelle. Opferanwälte gehen gegen AWD-Berater vor, werben mit ihren Erfolgen im Netz. Dadurch werden weitere Anwälte und Kunden ermutigt. Inzwischen gibt es eine Sammelklage von Tausenden AWD-Kunden in Österreich, die vom Wiener Verein für Konsumenteninformation begleitet wird. Der Verein wirft AWD «systematische Falschberatung» vor.
Der Streitwert allein dieser Klagen liegt bei 48 Millionen Franken und könnte Pfisters Rückstellungspolster schwer belasten. Nun ermittelt in Wien auch der Staatsanwalt wegen des Vorwurfs des schweren gewerbemässigen Betrugs. Hinzu kommt ein Prozess in Hannover, dem sich 800 Kläger anschlossen. Als «abstrus» kommentieren AWD-Sprecher die Vorwürfe.
Bekannt war auch, dass die Regulierer derartige Vermittlerdienste nicht länger dulden mochten. Im Mai 2007 trat die EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie in Kraft, im November folgte die strenge MiFID-Richtlinie, im Dezember ein neues Versicherungsvertragsgesetz in Deutschland, und in England verschärfte die Aufsicht die Anforderungen an die Beratungsqualität. Damit war schon 2007 klar: Das Geschäftsmodell des «Drückerkönigs» Maschmeyer war fragil.
Die Rechnung kam prompt. Schon 2008 musste die AWD Holding 265 Millionen Franken abschreiben und einen Verlust aus Gewinnabführungen mit den Vermittlerfirmen von 118 Millionen Franken verkraften. Inzwischen drohen gravierende Abschreibungen auf die AWD-Beteiligung. So viel ist nun klar: Das AWD-Investment war kein Best Select.
Es fragt sich auch, welche Juristen CEO Pfister beraten haben, als er Anfang 2011 an einer Road Show vor Analysten erklärte, dass der Konzern davon ausgehe, in 12 bis 18 Monaten die Rechtsstreitigkeiten beigelegt zu haben. Davon kann heute keine Rede sein. Der Konzern steckt mitten im Beklagten-Schlamassel – mit offenem Ausgang.