Die Börse war sichtlich nicht zufrieden mit den Jahreszahlen 2004 oder, was wohl eher zutrifft, sie hatte andere Erwartungen. Am Tag, an dem der Schweizer Rückversicherungskonzern Swiss Re das zweitbeste Resultat seiner Geschichte bekannt gab und die Gewinnerwartungen der Analysten an sich übertroffen hatte, gaben die Aktien um 3,2% nach und gehörten zu den Tagesverlierern.
Ein Teil der Finanzgemeinde zeigte sich enttäuscht darüber, dass Swiss Re trotz des Rekordgewinns von 2,48 Mrd Fr. (2003: 1,7 Mrd Fr.) lediglich die Dividenden um 45% auf 1.60 Fr. pro Aktie erhöhte und kein Aktienrückkaufprogramm bekannt gab. Somit wurde der Anteil der Ausschüttung an die Aktionäre mit 20% allgemein als niedrig empfunden. Das ist kein Wunder in Zeiten des Schielens auf Dividende, Aktienrückkauf und Nennwertreduktion.
Zudem bemängelt beispielsweise Brian Shea, Analyst bei Merrill Lynch, dass das vorliegende Resultat bei genauerer Betrachtung primär durch die Auflösung von Schwankungsreserven und hohe Investitionsgewinne zu Stande gekommen sei. So verkündete Finanzchefin Ann Godbehere eine beachtliche Rendite von 5,8% (2003: 5,1%) auf einem Anlagevermögen von 98,5 Mrd Fr.
Überdies peilte Swiss Re eine Combined Ratio (den Kosten- und Schadensatz in Relation zu den verdienten Prämien) von 96% an, verpasste den Wert jedoch um 2%. Zu guter Letzt musste der Rückversicherer nachträglich die Schadenrückstellungen für das US-Haftpflichtgeschäft um 748 Mio Fr. erhöhen ein zusätzlicher Dämpfer.
Eigenkapitalrendite steigt
Die Investoren sollten sich von diesen kurzfristigen Impressionen an der Börse allerdings nicht zu stark beeindrucken lassen, sondern das Ergebnis von Swiss Re vielmehr im Hinblick auf die Zukunft lesen. Und diese sieht gut aus und veranlasst die Banken, die Swiss-Re-Wertpapiere mit «Kaufen» und «Outperformer» einzustufen; einzig Merrill Lynch hält an ihrer Bewertung «Neutral» fest.
Ein erster Vergleich drängt sich mit der Nummer eins im Rückversicherungsgeschäft, mit der Münchener Rück, auf, die drei Tage zuvor ihre Jahreszahlen vorgelegt hatte. Nach einem Verlust im Vorjahr resultierte 2004 ein Rekordgewinn von 1,8 Mrd Euro, dem höchsten der 125-jährigen Unternehmensgeschichte. Obwohl es schwierig ist, die beiden Gesellschaften mitei-nander zu vergleichen, weil die Münchener Rück mit dem Erstversicherer Ergo und den verlustreichen Bankbeteiligungen Probleme hat, lässt sich etwas über die Eigenkapitalrendite sagen. Swiss Re verbesserte sich diesbezüglich um gut drei Punkte auf 13,6% - ein Wert, den die Münchener Rück bei weitem verfehlte. Vielmehr will der deutsche Rückversicherer für 2005 erst eine Eigenkapitalrendite von 12% erreichen.
Was bei beiden Gesellschaften bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass sie trotz einem von zahlreichen Naturkatastrophen überschatteten Jahr Topresultate erzielten. Die Hurrikane und Taifune in den USA und in Japan sowie der Tsunami in Asien kosteten Swiss Re 1,1 Mrd Fr., rund das Dreifache der Schäden von 2003. Das Schweizer Unternehmen entnahm 241 Mio Fr. der Katastrophenreserve, was die Finanzgemeinde mit Nasenrümpfen zur Kenntnis nahm.
Aufhorchen lässt ferner, dass die grossen Player in der Versicherungsbranche nach den negativen Erfahrungen im US-Haftpflichtgeschäft vermehrt auf Qualität setzen. Nicht mehr das Prämienwachstum à tout prix steht im Fokus. So profitierte Swiss Re speziell auch im vergangenen Jahr von einer vorsichtigeren Zeichnungspolitik. Im Nicht-Leben-Geschäft (Property & Casualty) gingen die verdienten Nettoprämien um 8% auf 15 Mrd Fr. zurück; allerdings erhöhte sich der Betriebsgewinn um 29% auf 2,4 Mrd Fr.
Nicht minder Aufsehen erregend ist das Finanzergebnis. Zum «exzellenten Ergebnis» beigetragen hat laut Finanzchefin Godbehere, die augenfällig gut mit CEO John Coomber harmoniert, der betriebliche Cashflow von 6,6 Mrd Fr. der sich gegenüber dem Vorjahr um 36% verbesserte.
Die selbstbewusste Finanzchefin wies darauf hin, dass Swiss Re ohne die Entwertung des Dollar um 8%, die das Eigenkapital um 1,2 Mrd Fr. schmälerte, sogar den höchsten Unternehmensgewinn ihrer Geschichte erzielt hätte.
Zyklus schwächt sich ab
Längerfristig orientierte Investoren dürfte der strategische Ausblick von John Coomber interessieren. Er gab bekannt, dass Swiss Re über einen Zyklus hinweg den Gewinn um durchschnittlich 10% pro Jahr steigern möchte obwohl sich laut Coomber der Rückversicherungszyklus abschwächt und die Preise ihren Höhepunkt erreicht hätten. Doch rechnet der Konzernleiter nicht mit einem raschen Abschwung. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherungsindust-rie bis 2015 6% schneller wachsen wird als die Gesamtwirtschaft.
Viel verspricht sich Swiss Re von den Schwellenländern, wo das Prämienvolumen von 12 auf 17% gesteigert wurde. Einmal mehr steht Asien, wo das Unternehmen bereits gut verankert ist, im Mittelpunkt: Der Schweizer Rückversicherer expandiert dort 15% pro Jahr. Das Management hat in jüngster Vergangenheit bewiesen, dass es die Wachstumsstrategie geschickt umzusetzen weiss.
Die Investoren haben dies erkannt, denn seit Mitte August 2004 ist der Aktienkurs um etwa 20% gestiegen, allen Unwettern und Naturkatastrophen zum Trotz.
Swiss Re (in Mio Dollar):
2004 2005E 2006E 2007E
Verdiente Prämien 29430 30034 31856 33591
- davon Nichtleben 15987 16075 16717 17521
- davon Leben 10205 10677 11694 12512
Reingewinn 2475 2547 2439 2316
Gewinn pro Aktie (in Fr.) 8.00 8.21 7.86 7.31
KGV 11 11 11 12
Dividendenrendite (in %) 1.8 2.0 2.3 2.3
E = geschätzt; KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis
Quelle: Merrill Lynch
Tipp: Swiss Re hat für 2004 beeindruckende Zahlen vorgelegt, die den Aktienkurs mittel- und langfristig stützen werden. Der Aufwärtstrend, der im vergangenen Sommer an den Märkten eingesetzt hatte, dürfte für den Rückversicherer anhalten. Das Management hat klare Vorstellungen für die nächsten zehn Jahre, will weiter wachsen, namentlich in Asien, und setzt weiterhin auf Qualität.