Gleich morgens um sieben hatte Swiss Re die wichtigsten Eckpunkte der andauernden Gespräche mit Softbank kommuniziert. Es geht um eine Beteiligung des grossen japanischen Technologieinvestors im Umfang von 10 Prozent des Aktienkapitals (deutlich weniger als gedacht). Aus Sicht der Swiss Re qualifiziert das auch nicht zwingend für den (privilegierten strategischen) Status eines Ankerinvestors (wodurch der mögliche Link zu den grossen asiatischen digitalen Plattformen weitaus weniger vielversprechend aussieht). Die Gespräche seien (weiterhin) in einem «sehr frühen Stadium» und der Ausgang sei ungewiss, wie Swiss Re-CEO Christian Mumenthaler sagte.
Damit war die Vorlage für den Analystentag gelegt – und an den Märkten reagierte man umgehend: Die Aktie verlor gleich zu Handelsbeginn mehr als 3 Prozent und weitete den Verlust in einem schwachen Marktumfeld auf mehr als 5 Prozent aus, obwohl Swiss Re bei einem allfälligen Einstieg von Softbank laut dem neuen Finanzchef John Dacey gar keine eigenen Aktien ausgeben und der Gewinn für die weiteren Aktionäre damit nicht verwässert würde.
Technologie im Mittelpunkt
Mumenthaler liess sich beim Thema Softbank-Einstiegs-Szenarien auch nicht vor den Analysten aus der Reserve locken: Er machte keine weiteren Angaben zu möglichen Zeitplänen bei den Gesprächen ausser zum seit Januar kommunizierten vagen «frühen» Stadium. Und auch zu den möglichen Berührungsflächen und gemeinsamen Punkten sprach er nicht konkreter als zuvor. Kooperationen hätten aber aus Sicht der Rückversicherung grosse Vorteile. «Softbank ist einer der weltweit grössten Technologie-Investoren und für Swiss Re würden sich dadurch im Rahmen einer Partnerschaft bestimmt Opportunitäten ergeben», führte Mumenthaler weiter aus. Zu diesen Opportunitäten gehören der Zugang zu den Kunden der Beteiligungen von Softbank. Weltweit haben die Japaner via AliBaba, dem grossen chinesischen E-Commerce-Unternehmen, und mit den Beteiligungen im Telecom-Sektor den Zugang zu 800 Millionen Menschen. Umgekehrt könnte sich Softbank für die grossen Datenbestände bei Swiss Re interessieren.
Offenbar hat Swiss Re erst durch die Anfrage von Softbank den Stellenwert der eigenen Daten angemessen erfasst: Bis heute gab es in der Branche laut Mumenthaler dazu zwar höheres Interesse und viel Hype. Sichtbar ist bisher wenig. Aber zukünftig würden Daten die Wertschöpfungskette bei Rückversicherungen aufbrechen und die Grenzen der Industrie sowie die der versicherten Risiken verschieben. Die Digitalisierung verändert das Design und das Pricing von bisherigen und neuen Versicherungsprodukten. «Daten sind das neue Gold», heisst es denn auch bei Swiss Re.
Neue Daten-Einsatzgebiete
Mumenthaler und seine Kollegen haben sich in diesem Zusammenhang vier grosse Felder für die Weiterentwicklung des datenbasierten Rückversicherungsgeschäfts vorgenommen:
• Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Kunden: Die eigene automatische Underwriting-Plattform «Magnum» lässt sich auch in die mobilen Apps von Kunden und Agenten einbauen. Damit lässt sich die Customer Journey optimieren, ein konsistentes Risk Management über alle Kanäle gewährleisten und vorhersagbares Underwriting, entsprechend den Regeln des Kunden bzw. Partnerunternehmens, vornehmen.
• Über Technologie-Plattformen sollen zudem intern die Abläufe und Prozesse verbessert werden: Zwischen 2018 und 2023 wird die neue Hauptbuchhaltung «Atlas» schrittweise in Betrieb genommen. Quartalsergebnisse lassen sich dann innert fünf Tagen vornehmen, 90 Prozent der Prozesse werden standardisiert. Beim Claims Management soll die Effizienz um 80 Prozent gesteigert werden, indem Dokumente grösstenteils digitalisiert und automatisch verarbeitet werden. 80 Prozent der Dokumente über und von den Kunden sollen bis 2020 digitalisiert sein (gegenüber 43 Prozent heute). Und mehr als 15 Millionen Dokumente sowie 60 Millionen Vertragstextseiten sollen von «intelligenten» Plattformen verwaltet und besser bewirtschaftet werden.
• Mit der IptiIQ-Plattform hat Swiss Re ein B2B2C-Werkzeug gebaut, mit dem Partnerfirmen Lebens- und Krankenversicherungen White-Labelled oder Co-Branded digital verkaufen und verwalten können: Dabei handelt es sich de facto um eine komplette Auslagerung von (digitalen) Sales-, Marketing, Channelmanagement-, Reporting-, Underwriting- und Self-Services für die Retail-Kunden der eigenen Geschäftskunden auf eine einzige von Swiss Re gebaute und betriebene hoch digitale und automatische Plattform. Die Lösung ist bereits mit einem Dutzend Partnerfirmen in fünf Märkten am Markt. Gemäss Mumenthaler können neue Anbieter so innert 100 Tagen live gehen, wenn sie das wünschen (normalerweise muss man zwei bis drei Jahre für die Vorbereitungen inklusive Lizenzen und Kapital veranschlagen).
• Schliesslich soll zukünftig das volle Potenzial der Daten ausgeschöpft werden. Hierfür hat Swiss Re die interne Plattform Stargate aufgebaut, mit der Daten intern besser integriert werden sollen. Bis Ende 2019 hat man dafür mehr als 50 Initiativen lanciert, die interne mit externen Daten verknüpfen sollen, neue Tools für die Analyse erhalten, sich von Machine-Learning unterstützen lassen sollen und bei denen 2000 und nicht wie laut Mumenthaler bis heute lediglich eine Handvoll von Spezialisten, die Auswertungen mit verbesserten Werkzeugen vornehmen kann.
«Wir sind eine Wissens-Firma, die in Risiko-Pools investiert», sagte Mumenthaler am Analystentag weiter. Dabei spielten die eigenen, selber generierten Daten eine entscheidende Rolle. Nur bei den eigenen Daten hat Swiss Re lange Zeitreihen aufgebaut. Käufliche Daten seien sehr viel weniger wichtig. Jeder kann sie kaufen – und damit hätten solche Daten laut Mumenthaler auch kaum noch Potenzial für eine Ausdifferenzierung. «Nur die eigenen Daten sind wirklich wertvoll», so Mumenthaler. Die Kombination von internen Entwicklungen und externen strategischen Partnerschaften soll den Zugang zu neuen Risikopools ermöglichen. Zu den neuen, indes nicht nur von Swiss Re selber entdeckten Betätigungsfeldern gehören auch die Themen Cyber- und Gesundheitsrisiken.
Attraktive Aussichten
Christian Mumenthaler sieht am Rückversicherungsmarkt eine Aufhellung. «Die höheren Preise dürften sich vor allem bei Property & Casualty-Rückversicherungen und bei Corporate Solutions positiv bemerkbar machen», so der Swiss Re-Chef. Rückenwind gebe es auch von den steigenden Zinsen, die sich positiv auf die Kapitalanlagen auswirken und auch das langfristige Geschäft der Leben- und Haftpflicht-Rückversicherungen begünstigen. Mit der Kapitalquote von 269 Prozent gemäss den Kriterien des Swiss Solvency Tests (SST) habe Swiss Re laut CFO Dacey trotz der teuren Schäden im vergangenen Jahr weiterhin eine branchenweit führende Kapitalausstattung. Das Ziel liegt hier bei 220 Prozent. Wenn die Solvency-II-Kriterien angelegt würden, erhöht sich die Quote auf über 310 Prozent. Die Fähigkeit, Kapital zu erwirtschaften, ist laut Dacey ein guter langfristiger Anhaltspunkt für Investitionen und die Dividendenausschüttungsfähigkeit. «Wir wollen industrieweit führende und langfristig nachhaltige Erträge für die Aktionäre erwirtschaften», so der Finanzchef.
Life Capital, das Geschäft mit offenen Versicherungsbeständen, hat seine Zielvorgabe, zwischen 1,4 und 1,7 Milliarden Dollar Cash zwischen 2016 und 2018 zu generieren, bereits 2017 erreicht. Neu wurde das Ziel auf 2,3 bis 2,5 Milliarden heraufgesetzt. Die über den Versicherungszyklus festgelegten Gruppenziele für Swiss Re gelten weiterhin: Die Eigenkapitalrendite soll mindestens dem risikofreien Zinssatz zehnjähriger US-Staatsanleihen zuzüglich 7 Prozent entsprechen. Das entspricht derzeit rund 10 Prozent Eigenkapitalrendite.
Der Ausblick auf die Industrie bleibt höchst attraktiv, so Mumenthaler. Die Risikopools wachsen weltweit weiterhin. Getrieben werden sie von demografischen Trends sowie dem globalen Wachstum. Daraus ergibt sich ein weltweites Wachstum des Versicherungsmarktes von rund 5 Prozent. In Wachstumsländern liegt sogar ein Zuwachs in der Versicherungsbranche um bis zu 8 Prozent drin. In diesen Märkten helfen neue Technologien und günstigere Versicherungsangebote bei der Vergrösserung des Marktes und beim Schliessen der Deckungslücke.
Einen ebenfalls zunehmend grösseren Stellenwert erhält die interne Forschung und Entwicklung. Gegenwärtig forscht man schwerpunktmässig an den Folgen von erhöhten Oberflächentemperaturen der Weltmeere, Cyber-Risiko-Szenarien, an gefährlichen Krankheiten sowie an den neuen Risiken, die entstehen, wenn Menschen eher zu viele statt zu wenige medizinische Diagnosen erhalten. Swiss Re verschiebt aktiv das Kapital in die profitablen Risikopools sowie in eine dynamische Auswahl von Risiken in attraktiven Volkswirtschaften. Konkret: In Märkte und Pools, wo die Risiken (noch) nicht angemessen bewertet werden, weil am Markt die Teilnehmer die Risiken und/oder die Prämienkalkulationen (noch) nicht angemessen handhaben.
Auch bei Munich Re sprach man Mitte März von besseren Preisbedingungen am Rückversicherungsmarkt. Nicht alle Anbieter teilen indes den Optimismus: Willis Re, einer der gros- sen Broker-Rückversicherungskombinationen auf dem Weltmarkt, sah bei der kleinen Erneuerungsrunde Ende März grösstenteils stabile bzw. stagnierende Preise. «Die Preise für die April-Erneuerungsrunde widerspiegeln grösstenteils das, was wir bereits bei den Platzierungen per Anfang Januar gesehen hatten», sagte James Kent, CEO von Willis Re, Anfang April beim Analysten-Konferenzgespräch. Es gebe weiterhin sehr viele Kapazitäten sowohl von Rückversicherungen als auch vom ILS-Markt und gerade das ILS-Volumen mache sich bei den Preisen der Katastrophen-Rückversicherungen stark bemerkbar.
Starker ILS-Markt
Der ILS-Markt ist im ersten Quartal 2018 gemäss einer Auswertung des Branchendienstes Artemis auf ein neues Höchstvolumen gestiegen. Das wiederum hat laut Analysten etliche Rückversicherungen, unter anderem auch Swiss Re im Herbst 2017, zur Prognose verleitet, dass die Wende bei den Preisen in Sicht sei. Gemäss Willis Re sieht es anders aus: Der ILS-Markt habe bewiesen, dass man effizient Kapital zu attraktiven Preisen bereitstellen und auch mit Verlusten bzw. Ausfällen umgehen kann. Die grossen Hurrikane Harvey, Irma und Maria hätten die Ergebnisse der Investoren nur «begrenzt» tangiert. Das wiederum führt dazu, dass man unter ILS-Investoren rasch auf attraktive Gelegenheiten reagiert und frisches Kapital organisiert, um zukünftige attraktive Gelegenheiten zu nutzen. «Und wir erwarten, dass der ILS-Markt diese Kapazitäten nicht nur in diesem Jahr, sondern auch darüber hinaus ausspielen wird», so Kent. Reale Preissteigerungen habe man kaum gesehen, aber das weiter gestiegene Interesse von Investoren habe dazu geführt, dass das Gesamtvolumen des ILS-Marktes weiter gestiegen sei. Und somit sind auch nennenswerte Preisverbesserungen bei der Juli-Erneuerungsrunde unwahrscheinlich.
Gemischte Nachrichtenlage
«Nur weiche Neuigkeiten» um Softbank konstatierte Stefan Schürmann, Versicherungsanalyst bei der Bank Vontobel in Zürich, zu den vermittelten Informationen rund um den Softbank-Einstieg. Damit rücke das operative Geschäft in den Vordergrund. Und da zeige sich laut Schürmann eine gemischte Nachrichtenlage: Die kürzlich eingetretene Outperformance bei Property & Casualty Re habe an Tempo verloren, aber Swiss Re glaube sich in einer Position, besser als der Rest des Marktes zu arbeiten, weil man an grossen Transaktionen arbeitet und über aussergewöhnlich hohe Underwriting-Kapazitäten verfügt.
Unverändert strategisch bleibt die Corporate-Solutions-Sparte, das Direktgeschäft mit grossen Firmenkunden. Bis 2020 sollen hier 1 bis 1,5 Milliarden Dollar als «primärer Führer» geschrieben werden. Verbessert werden soll hier auch der Underwriting-Prozess. Hier vermerkt Schürmann als positiven Faktor die verbesserten Preisumgebungen auf dem US-Markt, wo diese Sparte 59 Prozent seiner Prämien einspielt. Mit einer Bewertung zum 0,9-fachen des Buchwertes und einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11,5 auf der diesjährigen Gewinnschätzung sieht Schürmann noch etwas Potenzial bis zum Kursziel von 103 Franken pro Aktie.