Die Chefs des Rückversicherungsgiganten Swiss Re strahlten um die Wette, als am 18. November der Kauf der US-Gesellschaft GE Insurance Solutions verkündet wurde. Der scheidende CEO der Swiss Re, John Coomber, und sein designierter Nachfolger, Jacques Aigrain, betonten die «hervorragende strate-gische Übereinstimmung», die «hohen Synergieeffekte» und das «geringe Finanzierungsrisiko». Der Sieben-Milliarden-Kauf sei «eine wertsteigernde Transaktion». Das sieht offenbar auch die Börse so, denn der Kurs legte am Tag der Bekanntgabe zu.
Gut möglich, dass die Swiss-Re-Chefs mit ihrer Einschätzung richtig liegen. Mit dem Kauf werden die Schweizer zur Nummer eins im weltweiten Rückversicherungsgeschäft. Die Akquisition bringt nicht nur in den USA neue Kunden, sondern auch in Deutschland, dem Heimmarkt des Hauptkonkurrenten Münchener Rück. Die Preise steigen, was für zukünftige Ertragszuwächse spricht. Und die Swiss Re hat Erfahrung bei der Integration früherer Zukäufe.
Gut möglich aber auch, dass der Kauf den Schweizern in Zukunft noch Bauchweh verursachen wird. Denn in kaum einer Branche sind Akquisitionen oder Fusionen von derart vielen Unsicherheiten geprägt wie bei den Versicherern. Unliebsame Überraschungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Als Hauptproblem hat sich dabei die adäquate Schätzung der Reserven erwiesen.
Dies gilt insbesondere für Käufe von US-Unternehmen. Die Münchener Rück etwa musste den 1996 getätigten Kauf von American Re im Nachhinein mit mehreren Milliarden nachbessern. Da die Reserven zu niedrig dotiert waren, musste American Re seit 1996 Nachreservierungen von insgesamt 6,6 Milliarden Dollar vornehmen. Allein in diesem Jahr musste die Münchener Rück 1,1 Milliarden Dollar frisches Kapital in ihre US-Tochter einschiessen. Auch der Schweizer Rückversicherungskonzern Converium musste bittere Erfahrungen machen: Altlasten im US-Geschäft stürzten die Gesellschaft vor einem Jahr in eine veritable Krise. Der Aktienkurs brach ein, CEO Dirk Lohmann musste den Hut nehmen.
Rückversicherer haben enorme Reserven zur Absicherung von Schadenszahlungen angehäuft. Die Swiss Re etwa weist Nettoreserven von fast 100 Milliarden Franken aus. Bei derart hohen Beträgen machen Fehlschätzungen der benötigten Schadensunterlegung um wenige Prozent schnell mal mehrere Milliarden aus.
Auch die neue Swiss-Re-Tochter musste bereits Nachreservierungen vornehmen. Insgesamt musste GE Insurance Solutions von 2000 bis 2004 die Reserven nachträglich um 7,7 Milliarden Dollar aufstocken. Dies, weil die Schadensbelastungen falsch eingeschätzt und zu hohe Gewinne ausgewiesen worden waren. «Das Problem der Nachreservierungen wird in der Rückversicherungsbranche regelmässig unterschätzt», warnt Stefan Odenthal, globaler Leiter des Geschäftsbereichs Strategie & Organisation von Arthur D. Little: «Dass die Reserven nicht genügen, mussten viele Branchenvertreter im Nachhinein schmerzlich erfahren.»
Das Problem bei der Reservenbildung im Rückversicherungsbereich ist, dass die Höhe der Reserven von schwer abschätzbaren Schadensentwicklungen in der Zukunft abhängt. Gerade in den USA ist dabei die sich stetig verschärfende Gesetzsprechung in Haftpflichtfragen ein Unsicherheitsfaktor. Das Beispiel Asbest mit den Milliardenforderungen hat gezeigt, welch enorme Dimensionen solche Entwicklungen annehmen können.
Für Swiss Re spricht, dass man sich des Problems offenbar bewusst ist. Die Due Diligence des Kaufobjekts sei sehr sorgfältig gemacht worden, betont das Unternehmen, sie habe «mehrere Monate» gedauert. Eine der Voraussetzungen des Deals war zudem, dass GE Insurance Solutions die Reserven noch vor Abschluss der Transaktion um 3,4 Milliarden Dollar erhöht. Ein positives Signal ist auch, dass sich General Electric (GE) infolge des Deals mit zehn Prozent an Swiss Re beteiligt und somit grösster Aktionär des Schweizer Unternehmens wird. Da übernimmt der US-Konzern eine Mitverantwortung für die Zukunft. Dies ist wichtig, denn manche Experten glauben, GE habe sich aus dem Geschäft davonschleichen wollen.
Dass die Amerikaner froh sind, das weit vom Kerngeschäft entfernte Rückversicherungsbusiness los zu sein, ist offensichtlich. «Das Geschäft war ein echter Klotz am Bein», sagte GE-CEO Jeff Immelt nach dem Verkauf. «Wir haben in den letzten fünf Jahren mit dem Geschäft über 700 Millionen Dollar verloren, Dividende bekamen wir keine, die Eigenkapitalrendite war negativ.» GE ist mit über 300 000 Mitarbeitern eines der grössten US-Unternehmen und vor allem im Technologie-, aber auch im Finanzdienstleistungsbereich tätig.
Nicht nur die Frage nach den Reserven ist mit Unwägbarkeiten verbunden. Unklar ist auch, ob die Swiss Re die im Anschluss an Firmenkäufe regelmässig stattfindenden Umschichtungen und die damit verbundenen Kundenabflüsse im Rahmen halten kann. Die Schweizer weisen darauf hin, dass das nun zugekaufte Geschäft grösstenteils komplementär zum Swiss-Re-Geschäft sei. Doch die Kunden der Rückversicherer, die Erstversicherungskonzerne, streuen ihr Risiko gerne in verschiedene Körbe. Jene Kunden, die schon einen grossen Teil ihrer Absicherung bei Swiss Re haben, werden nicht einfach so ihre GE-Kontrakte unters Schweizer Dach zügeln. Viele Kunden sehen dem Konzentrationsprozess in der Branche ohnehin mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn die kleineren Player helfen durch ihre mitunter günstigeren Angebote mit, das Preisgefüge im Rahmen zu halten.
Auch die viel beschworene Integrationskraft des Managements ist beim jüngsten Zukauf neu zu beweisen. Die wichtigsten der zurückliegenden Akquisitionen fanden in der Ära des ehemaligen Konzernchefs Walter Kielholz statt, etwa 1998 der Kauf der Life Re, 2000 der Kauf von Underwriters Re oder 2001 der Kauf von Lincoln Re. Seit dem Rückzug von Kielholz auf den Posten des Vizepräsidenten des Verwaltungsrats Ende 2002 sind nur wenige, kleine Käufe gemacht worden. Seine Nachfolger auf dem CEO-Posten, Coomber und bald Aigrain, müssen ihre Integrationsstärke also noch unter Beweis stellen. Absehbar ist, dass der Kauf einiges an Managementkapazitäten binden wird. Schliesslich ist der Kauf von GE Insurance Solutions der grösste in der 142-jährigen Geschichte der Schweizer Rück.