Was macht aktuell die grösseren Sprünge: Das Schweizer Sommerwetter oder der Preis für Eisenschrott?
Marcel Imhof: Die Kurven sind ähnlich oszillierend, wir erleben beim Wetter wie im Stahlgeschäft ein ständiges Auf und Ab. Eingeleitet wurden die massiven Veränderungen auf dem Stahlmarkt Mitte des vergangenen Jahres, als sich der Preis für Eisenschrott, das wichtige Ausgangsmaterial für Stahl, sukzessive zu verteuern begann.
Mit welchen Konsequenzen?
Imhof: Im Frühjahr 2004 bezahlten wir im Vergleich zum Juli 2003 das Doppelte für die Tonne Schrott. Diese Verdoppelung gilt übrigens auch für einen Langzeitvergleich über die letzten acht Jahre. Im Mai und Juni 2004 sahen wir uns wieder mit einem Taucher konfrontiert: Schrott wurde deutlich günstiger.
Damit haben sich die Situation und die drohende Verknappung entschärft, auch der Spekulation wurde die Grundlage entzogen.
Imhof: Auf keinen Fall. Im Juli hat die Situation erneut gekehrt. Nach einer kurzen zweimonatigen «Verschnaufpause» steigen die Preise für Schrott erneut. Diese laufenden Wechsel sind uns allerdings nicht unbekannt: Der Zyklus des Sommers 2003 wiederholt sich auf einem höheren Niveau. Auf dem Stahlmarkt ist der Teufel los. Die Bewegungen verdeutlichen in ihrer Grundtendenz, dass wir uns generell auf teurere Preise für Schrott und damit auch für Stahl einrichten müssen.
Was sind die Gründe der Hausse?
Imhof: Hinter dieser Entwicklung stehen fundamentale Veränderungen. In den 90er Jahren kam sehr viel Schrott aus Osteuropa auf den Markt. Das breite Angebot hielt die Preise tief. Neue Märkte, allen voran China und die Türkei, begannen in den letzten Jahren, sich massiv auf dem Weltmarkt mit Schrott einzudecken. Diese Nachfragesteigerung löste die Hausse aus. Dazu kommt, dass Osteuropa seine früher wichtige Rolle als Schrottlieferant verloren hat: Was auf den dortigen Märkten anfällt, wird durch die eigene Schwerindustrie verarbeitet.
Es kam zu panikartigem Verhalten der Kunden, teils zu Panikkäufen. Hat sich die Lage beruhigt?
Imhof: Die Anzeichen von Panik haben sich gelegt.
Wie lassen sich die immer kürzer werdenden Zyklen begründen?
Imhof: Das Stahlgeschäft war schon früher kurzfristiger Natur, die Zyklen rücken jetzt noch näher zusammen. Die momentane Situation wird massgebend durch China vorgegeben. Die dortigen Werke merkten im Mai und Juni 2004, dass sie sich mit dem Einkauf von Schrott übernommen hatten. Sofort wurde die Nachfrage reduziert - mit der Konsequenz, dass der Schrottpreis international vorübergehend zu purzeln begann. Die Zyklen stehen also in engstem Zusammenhang mit dem Wachstum der chinesischen Stahlindustrie; diese weitet ihr Produktionsvolumen durchschnittlich bis zu 20% pro Jahr aus. Das kann nicht spurlos am Markt vorbeigehen.
Die chinesischen Werke produzieren Stahl aber mehrheitlich aus Eisenerz, nicht aus Schrott.
Imhof: Bei den Erzen, dem Koks und den Legierungselementen haben wir die gleiche Situation wie beim Schrott; auch dort kam es zu massiven Preissteigerungen und zum Teil zu Verknappungen.
Diese Entwicklung fällt zusammen mit steigender Nachfrage nach Stahl als Werkstoff. In Deutschland kletterte diese im ersten Semester dieses Jahres gegenüber der Vergleichsperiode 2003 um 24%. Haben Sie - als einziger Schweizer Stahlproduzent - ähnliche Werte auszuweisen?
Imhof: Solche Nachfragesteigerungen sind zu analysieren. Die Frage heisst konkret: Basiert diese Nachfrage auf dem Konsum oder auf dem Aufbau von Lagern? Oder handelt es sich gar um Bestellungen mit spekulativem Hintergrund? Die genannten 24% entsprechen nicht dem Mehrverbrauch an Stahl, selbst dann nicht, wenn sich die konjunkturelle Lage weiter erholt. Also ist klar: Die Lagerbestände waren extrem tief im letzten Jahr, nun werden diese wieder schrittweise aufgebaut.
Wie sehen die Wachstumsquoten bei Swiss Steel aus?
Imhof: Bei gewissen Stahlqualitäten verbuchen wir Nachfragesteigerungen in der Grössenordnung von 20%.
Das führte zu einem deutlich verbesserten Auftragsbestand. Wie hoch ist dieser?
Imhof: Swiss Steel arbeitet üblicherweise mit einem Auftragsbestand von ungefähr sechs, sieben Wochen. Der Nachfrageboom nach Stahl bewirkt, dass unsere Produktionsanlagen aktuell für zehn bis 12 Wochen ausgelastet sind.
Lebt sich - im Vergleich mit anderen Industrien - ruhig mit einem derart kleinen Auftragspolster?
Imhof: Dieser Auftragsbestand ist typisch für die gesamte Stahlindustrie. Vergleiche mit anderen Industriezweigen hinken, weil bei uns täglich und regelmässig Bestellungen eingehen. An diesen Bestellrhythmus hat sich die Branche längst gewöhnt.
Gilt der Nachfrageboom sowohl für das Massenprodukt Armierungsstahl wie für die von Swiss Steel extrem geförderten hochwertigen Stähle?
Imhof: Ja, weil der ganze Markt die Boomphase spürt. Jeder Verarbeiter, der Bauunternehmer ebenso wie der Zulieferer der Autoindustrie, will sich absichern, dass er zeitgerecht den Werkstoff Stahl in benötigter Qualität und Menge im eigenen Haus hat.
Verfügt Swiss Steel in den beiden Stahlwerken von Emmenbrücke und von Gerlafingen über die Kapazitäten, die steigende Nachfrage zu decken?
Imhof: Wir arbeiten sieben Tage in der Woche über 24 Stunden, wir können somit - bei technisch vorgegebenen Kapazitäten - nicht beliebig die Leistungen der Werke und der nachgelagerten Verarbeitung steigern. Wir erreichen hingegen einen höheren Ausstoss durch Produktivitätssteigerungen, durch die Optimierung von Losgrössen, durch geschickte Produktionsplanungen usw. So können wir höhere Mengen herausholen. Diese Verbesserungen bewegen sich aber letztlich, bezogen auf 12 Monate und die gesamte Produktion, im einstelligen Prozentbereich.
Ein höherer Ausstoss bedeutet noch lange nicht bessere Erträge: Will Swiss Steel überhaupt den Ausstoss über die Grenze von 1,2 Mio Jahrestonnen steigern?
Imhof: Wir müssen auf beiden Schienen, der Erhöhung der Produktivität wie der Verbesserung der Margen, wachsen, primär aber unser Sortiment noch gezielter in Richtung hochwertige Produkte umbauen. Das ist unsere Hauptstossrichtung. Wir verstärken deshalb - um nur ein Beispiel verschiedenster Massnahmen zu nennen - im Werk Gerlafingen den Bereich Flach- und Breitflachstahl für die Maschinen- und Apparateindustrie, teils auch für den Bau; hier gibt es kaum eine Hand voll Anbieter, wir wollen europaweit zu den wichtigen Lieferanten gehören.
Das verlangt Investitionen: Wie sieht die Planung aus?
Imhof: Zusammen mit den ordentlichen Ersatzinvestitionen werden es in nächster Zeit jährlich gegen 40 Mio Fr. sein. Üblich waren in den letzten Jahren 25 bis 30 Mio Fr.
Können diese Ausbauschritte «verdaut» werden?
Imhof: Ja, derartige Investitionszyklen sind für uns nicht neu, wir finanzierten ähnliche Erweiterungen zwischen 1996 und 1999. Noch ein Vergleich übrigens zwischen 1996 und 2004: Vor acht Jahren starteten wir mit rund 700000 Jahrestonnen, aktuell steuern wir 1,2 Mio t an. Swiss Steel erreicht damit jene Produktionsmenge, in die sich früher vier Schweizer Werke - Emmenbrücke, Gerlafingen, Monteforno und Ferrowohlen - geteilt hatten.
Bedeutet das auch, das Swiss Steel mit den zwei Werken im europäischen Vergleich «bei den Leuten ist»?
Imhof: Ja, wir sind in jeder Beziehung - mit unseren Werkgrössen, mit unserem Know-how, mit unseren Produkten - auf dem Heimmarkt wie den europäischen Märkten gut positioniert. Nicht zuletzt, weil es selbst innerhalb des Stahlgeschäfts unterschiedliche Zyklen gibt, denn die Preisentwicklung der einzelnen Stähle läuft keineswegs synchron.
Rund zwei Drittel ihres Umsatzes stammen aus dem Export? Wo liegen die Schwergewichte?
Imhof: Geografisch im benachbarten Ausland. Abnehmer Nummer eins ist und bleibt Deutschland, dies vor Italien, das in den letzten Jahren stark gewachsen ist, und Frankreich. Von Bedeutung - auch der Kosten wegen - ist die Transportdistanz zu unseren Kunden. Auch in Zukunft werden wir uns grossmehrheitlich auf die Zielmärkte im benachbarten Ausland konzentrieren.
Der Marktbearbeitung ist die enge Kooperation mit Ihrem Mehrheitsaktionär, der deutschen Schmolz
+ Bickenbach-Gruppe, dientlich. Diese Zusammenarbeit ist etwas mehr als ein Jahr alt: Ihr Fazit?
Imhof: Beidseitig erfüllen sich die Erwartungen, wir erleben einen Musterfall für eine Win-Win-Situation. Wir garantieren der Schmolz + Bickenbach-Gruppe mit unseren Stahlwerken in Emmenbrücke und Gerlafingen in wichtigen Bereichen die Versorgungssicherheit und die Belieferung mit Vormaterial, während unser deutscher Partner beispielsweise neue Vertriebskanäle für Swiss-Steel-Produkte erschliesst, so neuerdings in Osteuropa. Zudem gibt es kaum Überlappungen der Geschäftstätigkeiten.
Konnten die Preiserhöhungen beim Schrott vollumfänglich auf Ihre Kunden abgewälzt werden?
Imhof: Weil es sich bei der Verknappung des Schrotts um ein weltweites Phänomen handelt, war der Druck genügend gross. Je nach Vertragsart kam es allerdings zu Verzögerungen. Bei Neuaufträgen im Dezember wussten wir nichts von den eklatanten Preissteigerungen für Schrott im Frühjahr 2004. Glücklicherweise haben wir wenige Jahreskontrakte.
Was macht der Stahlpreis in unmittelbarer Zukunft?
Imhof: Stahl wird tendenziell teurer. Längst nicht alle Preisanstiege in der Produktion konnten auf die Abnehmer überwälzt werden. In der Branche stehen deshalb im Herbst harte Preisverhandlungen an.
Welchen Einfluss hat diese Ausgangslage auf die Ertragsentwicklung bei Swiss Steel? Wächst Ihr Unternehmen wiederum ähnlich stark wie im Vorjahr mit 13%?
Imhof: Die höheren Preise, teils im zweistelligen Prozentbereich, sorgen für Umsatzwachstum. Das Geschäft spielt sich auf einem neuen Niveau ab. Näheren Aufschluss und genaue Zahlen gibt es in rund drei Wochen. Swiss Steel publiziert den Halbjahresbericht in der zweiten August-Hälfte.
Wir wissen um die Kurzfristigkeit Ihres Geschäfts und dass Sie sich deshalb mit Prognosen nicht auf die Äste hinaus wagen. Der Eindruck aber kann doch nicht täuschen: Swiss Steel läuft sehr gut.
Imhof: Das ist Ihre Interpretation. Sagen lässt sich: Bei gleich bleibender Nachfrage und ohne dramatische äussere Einflüsse werden wir das Vorjahresergebnis wiederholen.
Sie stapeln tief ...
Imhof: Wir bewegen uns in einem kurzlebigen Geschäft. Voraussagen über zwei Monate hinaus können rasch Makulatur werden. Fundamental ist, dass wir mit unserer Leistungssteigerung eine bessere Fixkostenabdeckung erreichen und durch die Verschiebung des Sortiments in Richtung höherwertiger Produkte unsere Margen verbessern.
Die Börse honoriert diese Entwicklung mit einem Kurssprung um 63% seit dem 1. Januar 2004.
Imhof: Der Kurs war ungerechtfertig tief. Erst in letzter Zeit wurde realisiert, welche Veränderungen die Firma erarbeitet und welche Position sie heute auch im internationalen Vergleich innehat. Es macht Freude, zu den Top-Performern zu gehören.