Harry Hohmeister drückt den Steuerknüppel scharf nach links, der Jet legt sich steil in die Kurve. Das System meldet, dass solche Schräglagen unerwünscht sind, aber der Pilot zieht den Schwenk eisern durch. Der Flughafen kommt in Sicht, das Fahrwerk rückt in Position, Hohmeister setzt zur Landung an, die Rollbahn zieht zügig an den Fenstern vorbei. «Jetzt gehts im Tiefflug über die Piste», spottet Peter Wojahn, Technikchef der Swiss, aus dem Rückraum des Cockpits – tatsächlich hat Hohmeister längst aufgesetzt. Das typische Ruckeln beim Touchdown fehlte. Womöglich ist der Simulator noch nicht voll ausgestattet, in dem der Swiss-Chef seinen künftigen Europaflieger probeweise pilotiert.
Beim stillgelegten Airport Mirabel nahe Montreal schraubt der Flugzeugbauer Bombardier an der Zukunft der Swiss: Die «CSeries» werden ab 2014 die Kurzstreckenflotte der Swiss bilden, die vierstrahligen Avro gehen in Rente. Von den neuen Maschinen erwartet Swiss-CEO Harry Hohmeister, «dass der Treibstoffverbrauch um mindestens 20 Prozent sinkt – so wie es im Kaufvertrag festgelegt wurde». Sehr viel leiser sollen sie auch sein. Mit mehreren seiner Topmanager ist Hohmeister nach Montreal geflogen, um die Fortschritte zu begutachten. Im «Mockup», einer Nachbildung der Kabine, prüft die Schweizer Delegation unterschiedliche Sitzabstände und die Funktion der Kaffeemaschinen, fordert grosse Gepäckfächer und erfreut sich an sanft beleuchteten Toiletten mit Holzdekor.
Kernstück der Entwicklung ist eine Installation namens Ciasta – ein gitterartiger Nachbau von Flugzeugrumpf und Tragflächen, an dem Klappen, Fahrwerk, Kabel und Leitungen angebaut und getestet werden. Die offene Struktur macht Umplanungen viel einfacher, als wenn die Bauteile von der Aussenhülle bedeckt sind. Ciasta, wohl einzigartig im Flugzeugbau, kostet allerdings mehr als ein fertiger CSeries-Flieger – über 50 Millionen Dollar. Weil damit hoffentlich teure Nacharbeiten und Verzögerungen bei der Auslieferung erspart bleiben, dürfte es sich für Bombardier dennoch rechnen.
Neues Selbstbewusstsein
Die junge Airline Swiss hat die Zeit der Sanierung und Neuausrichtung hinter sich. Nach dem Grounding, das sich im Herbst zum zehnten Mal jähren wird, der Neugründung und einer Zeit der Turbulenzen in Betrieb und Management kroch die Swiss bei Lufthansa unter – die inklusive Besserungsschein 339 Millionen Franken zahlte. Bald wurde die Swiss in triumphierenden Zeitungsartikeln als «profitabler als die Lufthansa» angepriesen. Irak-Krieg, Sars, Vulkanasche und Finanzkrise überstand sie nicht nur ohne Schwierigkeiten, sondern sie ging im Wettbewerb mit fusskranken Konkurrenten gar gestärkt daraus hervor.
Nun tritt die Swiss in die nächste Phase ein: die Rolle im Verbund des Lufthansa-Konzerns finden, profitables Wachstum organisieren, die Marke polieren. Das lässt sich die Schweizer Airline etwas kosten: Um die Entwicklung der CSeries-Flieger zu bewachen, reisen ständig Schweizer Teams nach Kanada. Und Swiss ist heute die einzige Fluglinie Europas, die auf allen Langstrecken eine First Class anbietet – die braucht viel Platz und verbrennt entsprechend viel Geld, falls die Sitze leer bleiben.
Das neue Selbstbewusstsein ist unübersehbar, auch wenn Hohmeister ununterbrochen fordert, dass zum sicheren Überleben fünf bis acht Prozent operative Rendite «über den Wirtschaftszyklus hinweg» erwirtschaftet werden müssen – im Schnitt braucht es also jährlich rund 350 Millionen Gewinn, «da sind wir jetzt gerade mal knapp dran».
Profitabler als Lufthansa
Hohmeister und sein Vorgänger Christoph Franz haben exzellente Arbeit geleistet, bescheinigen Branchenexperten einstimmig. Er kenne «kein Management einer Airline, das die zu Ende gehende Krise besser gemeistert hat», sagt Björn Maul, Partner bei der Beratungsfirma Roland Berger in Zürich. «Dank ihrer guten Performance herrscht in Frankfurt, am Lufthansa-Konzernsitz, eine Pro-Swiss-Stimmung», beobachtet Jürgen Ringbeck, Senior Partner der Strategieberatung Booz.
Dass Swiss heute profitabler als die Lufthansa fliegt, hat, flankiert von guten Managementleistungen, vor allem drei Gründe: Erstens sind im Markt Schweiz viele lukrative Geschäftsreisende und reiche Privatiers zu befördern, die auf den teuren Sitzen hinterm Cockpit Platz nehmen. Zweitens konnte die Swiss nach dem Grounding mit einer für andere ehemalige Staatsfluglinien unerreichbar tiefen Kostenstruktur abheben; Saläre und Lieferantenverträge wurden neu verhandelt. «Auferstanden aus Ruinen» – was die DDR in ihrer Nationalhymne lediglich besang, hat die Swiss umgesetzt. Drittens stellten Swiss und Lufthansa nach dem Zusammenschluss ruinöse Konkurrenzflüge ein und stimmten ihre Flugpläne ab, insgesamt schöpften sie jährliche Synergien von 370 Millionen Franken – deutlich mehr als erwartet, aber noch nicht einmal das Maximum. Denn unter dem Eindruck, dass Swiss unerwartet schnell Geld verdiente, liess der damalige Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber dem Schweizer Management eine lange Leine und presste längst nicht alle Synergieeffekte aus.
Vor diesem Hintergrund relativiert sich der Kaufpreis von 339 Millionen Franken: Zwar steht die Swiss heute als Tiefpreis-Schnäppchen für die Lufthansa da. Aber ohne Integration wäre Swiss unweigerlich implodiert wie eine Luftmatratze mit defektem Ventil. «Die holländische KLM hatte einen grösseren Heimatmarkt und bessere Bedingungen am Heimatflughafen als die Swiss, und auch die hat es nicht alleine gepackt», sagt ein Branchenmanager.
Lufthansa liefert nicht nur Synergien, die alleine jedes Jahr höher liegen als der Kaufpreis, sondern auch die Einbindung in ein Netzwerk, das der Swiss zu «eigentlich unverdienter Grösse verhilft», ätzt ein Manager der Konkurrenz. An der Grösse des Marktes gemessen, habe die Schweiz ein überdimensioniertes Angebot an Langstreckenflügen. Tatsächlich sind vergleichbar angebundene Städte wie Singapur oder Hongkong Metropolen an geografisch natürlichen Drehkreuzlagen – Zürich dagegen ist ein regionaler Knotenpunkt, umzingelt von grösseren Hubs wie München, Frankfurt und Mailand. Und der kleine Markt Schweiz alleine kann nur in sehr wenige Destinationen hinein einen Langstreckenflieger füllen – gemäss internen Zahlen der Luftfahrtbehörde BAZL wollen nur nach New York, Bangkok und Tel Aviv täglich genügend Passagiere fliegen. Nach Singapur und Dubai reicht es knapp, während Flüge zu allen anderen Zielen nur mit Umsteigen bestritten werden können. Hinzu kommt, dass die Swiss keine dieser Verbindungen für sich alleine hat. Konkurrierende Airlines werben ihrerseits um Kunden.
Die traurige Wahrheit: Eine eigenständige Swiss könnte keine einzige Langstrecke rentabel betreiben. Deshalb sagt ein hochrangiger Branchenmann, der nicht genannt werden möchte: Die Klagen in der Schweiz, man habe zu viele Kompetenzen an die Deutschen abgegeben, seien, «mit Verlaub, Blödsinn». Nur dank der Lufthansa habe die Schweiz «die beste aller Welten» bekommen.
Dass bei Swiss die Balance zwischen Konzernräson und Eigenständigkeit nicht in Richtung Fremdbestimmung kippt, dafür sorgt Hohmeister. Erstens stimmen die Zahlen, und damit «haben wir im Verbund vielleicht mehr Freiheiten als andere», sagt er. Und zweitens berichten Insider, dass gerade Hohmeister stark auf Eigenständigkeit pocht und es ablehnt, alles und jedes mit Frankfurt abzustimmen. Ein Fall, in dem tatsächlich die Einbindung zugenommen hat, ist das Joint Venture A++. Hier haben United Continental, Air Canada und die Lufthansa-Gruppe ihren Nordamerika-Verkehr gebündelt, zwei Teams des Joint Venture übernehmen die Preisgestaltung. Swiss hat diese Kompetenz abgegeben – ist allerdings nun Teil einer Gruppe, die einen faktischen Marktanteil von gut 35 Prozent auf dem Atlantik habe, schätzt ein Lufthansa-Mann und fügt bei: «Die Marktmacht ist viel mehr wert.» Booz-Experte Jürgen Ringbeck: «Die Devise dürfte sein: Solange die Lufthansa-Gruppe als Ganzes wächst, ist für alle genug da.»
Schnelldenker
In Teilbereichen wünscht sich Hohmeister sogar mehr Kooperation: «Im Vorbereiten von Aktionen und Marktoffensiven können wir gemeinsam noch deutlich mehr machen» – das heisst, im Kundenvertrieb die Wucht der Gruppe zu nutzen. Das könnte bedeuten: Zwei Wochen schaltet die Swiss ein Bangkok-Angebot, die nächsten zwei Wochen die Lufthansa, dann Austrian – der Markt wäre eineinhalb Monate besetzt.
Ansonsten kann die Swiss frei arbeiten. Im Koordinierungsgremium der Konzernfluglinien, dem Airline Development Board, legt Hohmeister Wert darauf, dass «wir uns nicht nur passiv abstimmen, sondern auch Vorschläge machen, uns aktiv einbringen wollen». Das Board, das sich monatlich trifft, gilt intern aber eher als Beratungsgremium, in dem die CEO aktuelle Projekte diskutieren, als «zahnloser Tiger». Neue Langstrecken würden den Hubs Frankfurt, München, Zürich, Wien oder Brüssel nicht von der Zentrale diktiert, sondern die Airlines gäben den Anstoss, sagt ein Insider: «Wer den besten Business Case vorweist, kann fliegen.»
Hohmeister klingt häufig nicht nach angestelltem Manager, sondern eher wie ein Unternehmer, ein Patron – etwa wenn er Teamorientierung «auch von den verschiedenen Mitarbeitergruppen» fordert; womit er nicht zuletzt die Piloten meint. Oder wenn er als Ziel ausruft, «der nächsten Managergeneration» eine führbare und gesicherte Airline weiterzugeben. «Ich will, dass wir als Unternehmen gut bleiben, für uns, für Swiss, und nicht in erster Linie aus Konzernräson», sagt Hohmeister. Entlassungen von mehreren hundert Mitarbeitern möchte er «nie wieder erleben müssen».
Die Präventionsstrategie von «HOHH», wie sein firmeninterner Code lautet: Er treibt die Swiss vor sich her. Ab und zu nervt er damit auch seine Leute. «Das Problem ist», sagt ein guter Bekannter, «er denkt für viele zu schnell» und müsse «aufpassen, andere nicht zurückzulassen». Hohmeister, bestätigt Berger-Berater Björn Maul, «ist ein sehr proaktiver Manager». Statt allzu ausführlich Lob zu spenden, so Hohmeister, habe er eben «im Anschluss an Projekte noch eine Idee» und sage: «Ist super gelaufen, aber was kommt als Nächstes?» Seine Aufgabe sei nicht, sich «in der schwarzen Limousine herumfahren zu lassen. Ich werde sicher nicht aufhören, Unruhe in der Organisation zu verbreiten.»
Intern predigt er: Teamwork, Wissen weitergeben – und vor allem: nachvollziehbare Entscheide treffen. «Management by Facts and Figures», nennt er das. Nüchternen Zahlen zu folgen und soziale Verantwortung zu übernehmen, das sei für ihn kein Widerspruch.
Glücksfälle einer Karriere
Das dürfte auch mit Hohmeisters Herkunft zusammenhängen. Schon sein Vater arbeitete für die Lufthansa, als Mechaniker am Flughafen Bremen. Luftfahrt war ein natürliches Thema in der Familie. Zunächst dachte Hohmeister aber an ein Biologiestudium, Tiermedizin interessierte ihn. Um sein erstes Auto, einen Opel Kadett, zu finanzieren, arbeitete er in der Baubranche. Nach dem Bundeswehrdienst ging er doch zur Lufthansa, für eine berufsakademische Laufbahn, eine Mischform aus Lehre und Hochschule. Auf dem Weg zu einer Karriere als Stationsleiter war die Lufthansa damals «in einer Zeit der Umstrukturierungen, und dann gab es Zufälle, die sich später als Glücksfälle heraustellten», sagt er. So kam er zum Bereich Netzplanung. Hier laufen Tausende Informationen zusammen, Markt- und Kundendaten, Sicherheitsaspekte, Flottenstatus, Slotverfügbarkeit. Daraus eine Entscheidung zu destillieren, ob eine bestimmte Flugverbindung lohnt oder nicht, ist eine Kunst. Hohmeister beherrschte sie wie kaum ein anderer.
Schnell stieg er hier auf. Einerseits «galt er schon früh als grosses Talent», erinnert sich ein altgedienter Lufthansa-Manager, andererseits soll er hart und viel gearbeitet haben.
Früh kam Hohmeister in Projektteams, die ganz oben wahrgenommen wurden. Anfang der neunziger Jahre etwa evaluierte Lufthansa die Übernahme der US-Fluglinie Continental. Hohmeister war mittendrin. Später verantwortete er Kostensenkungsprojekte, führte die Crewplanung, war beteiligt an der Übernahme von British Midland und dem Aufbau der Star Alliance. Das alles jeweils neben der eigentlichen Laufbahn im Netzmanagement.
Als er 2000 zur deutschen Ferienfluglinie Condor wechselte, lernte Hohmeister weitere Seiten der Branche kennen: die Schnittstellen zwischen Ferienveranstaltern und den Fluglinien, die ihre Passagiere an die Urlaubsorte bringen, sowie dem klassischen Vertrieb: Wie muss sich eine Airline positionieren, damit Endkunden direkt bei ihr buchen?
Die Sanierung der siechen Condor gelang. Aber «wochenlang 20 Stunden am Tag zu arbeiten, das hält man eine Zeit lang aus, aber irgendwann arbeitet man einfach nicht mehr gut», sagt Hohmeister. Diese «Selbsterfahrung» sei die härteste Zeit seiner Karriere gewesen. Weil er damals mit Bremsern vom Flugbetrieb auf Augenhöhe diskutieren wollte, begann er, sich einzulesen. Bis ihm ein Freund riet, dann könne er doch gleich den Pilotenschein machen. Heute fliegt Hohmeister einen Zweisitzer Typ Eco Light – «kennt kein Mensch, aber ein klasse Gerät».
Gutes Team
Als Hohmeister im Herbst 2004 zum Vorstellungsgespräch bei den Swiss-Oberen in Zürich landete, regnete es in Strömen. «Was mich beeindruckt hat: Da stand kein Chauffeur mit Schild und Limousine zum Abholen bereit, sondern Christoph Franz stand selber da, unterm Regenschirm, und sagte: Dahinten ist das Operations Center, da laufen wir mal schnell zusammen rüber.» Beide sind inhaltlich, nicht hierarchisch getrieben. Es passte also, sie wurden ein gutes Team. Franz, sagt ein Konzernmanager, stellte sich ins Feuer und verteidigte drastische Personalkürzungen, Hohmeister erledigte «die Drecksarbeit im Maschinenraum». Beide verbindet die norddeutsch-distanzierte Art, wobei Hohmeister auch immer mal etwas Leutseligkeit durchschimmern lässt. Er ist ähnlich analytisch, aber nicht ganz so kopflastig wie Franz. Von ihrem guten Verhältnis profitiert heute die Swiss.
Beiden stellen sich heute ähnliche Aufgaben: In Europa kämpfen sie gegen die Billigflieger, auf der Langstrecke gegen die Petrodollar-geschwängerten Airlines vom Persischen Golf – die schwemmen derzeit massive Überkapazitäten in den Markt. Zumindest teilweise Linderung versprechen hier die neuen Ultralangstreckenflieger Boeing 787 und Airbus A350: Mit ihnen werden Australien-Flüge aus Europa möglich. Zwischenlandungen, etwa in Dubai, braucht es dann nicht mehr.
Anders als Christoph Franz ist Harry Hohmeister stark politisch aktiv. Er streitet öffentlich für mehr Freiheiten im Flugbetrieb (siehe «Strittige Startbahn» auf Seite 30) und die Option für den Bau einer Parallelpiste. Als ihm Bombardier in Mirabel ein Video vorführte, das den niedrigen Geräuschpegel des neuen Fliegers demonstrierte, bat er umgehend um eine Kopie. Bilder, das ist ihm sofort klar, sagen mehr als tausend Worte, und nicht erzeugter Lärm vielleicht auch – das könnte Behördenvertreter und Südschneiser womöglich milde stimmen. Vermutlich wäre aus Harry Hohmeister auch ein erfolgreicher Politiker geworden.