Herr Wüthrich, das «Grounding» der Swissair im Jahr 2001 schockierte die Schweiz. Sie sind seit 15 Jahren damit beschäftigt, die ganze Gruppe aufzulösen. Wie emotional ist Ihre Arbeit heute noch?
Karl Wüthrich*: Am Anfang waren die Emotionen ganz, ganz stark. Auch heute merke ich, dass die Swissair bei einigen Menschen immer noch sehr stark verhaftet ist.
Und was fühlen Sie?
Wüthrich: Sie können meinen Job mit jenem eines Unfallchirurgen vergleichen, der den Opfern helfen muss. Der kann seinen Gefühlen auch nicht freien Lauf lassen. Das ist bei mir ähnlich. Ich habe immer versucht, das Ganze sachlich zu machen und möglichst keine Emotionen zu schüren.
Was bedeutet es für Sie, dass die Nachlassrichter Sie mit der Aufgabe betraut haben?
Wüthrich: Es ist ein hochinteressantes Mandat. Es gibt unter verschiedenen Blickwinkeln wahrscheinlich kaum etwas Interessanteres als diese Liquidation. Der Fall ist so komplex.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wüthrich: Die Liquidation der Swissair besteht aus sehr vielen Einzelprojekten. Ich liquidiere die vier Gesellschaften SAirGroup, Swissair, SAirlines und Flightlease. Zu Beginn war das ein Geflecht aus rund 260 Gesellschaften.
Wie machen Sie das genau?
Wüthrich: Ich arbeite diese Einzelprojekte Schritt für Schritt ab. Das Projekt hat auch viele internationale Bezüge und Fragestellungen. Zur Bewältigung der Probleme mussten teilweise kreative Lösungen kreiert werden. Zum Beispiel, wenn es keine gesetzlichen Regeln gab. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit den privilegierten Forderungen der Arbeitnehmer im Nachlassvertrag der Swissair.
Wie haben Sie sich über eine so lange Zeit motiviert?
Wüthrich: Jedes dieser Projekte ist eine Herausforderung. Es ist nicht dasselbe, ob man die Gesellschaft GateGourmet verkauft oder einen Anfechtungsprozess gegen die Zürcher Kantonalbank führt. Das sind zwei komplett unterschiedliche Sachen.
Wieso sind Sie mit diesem Fall betraut worden?
Wüthrich: Ich habe in meiner Karriere verschiedenste grosse Liquidationen machen können. So war ich Mandatsleiter bei der Nova Park. Das war Anfang der 1980er Jahre eine Hotel-Gruppe mit Sitz in Zürich und Projekten in New York, Paris und Ägypten. Ein anderes Beispiel ist der Privatkonkurs des ehemaligen Finanzspekulanten und Unternehmers Werner K. Rey. Zudem habe ich den Konkurs der Biber Holding AG als ausseramtlicher Konkursverwalter abgewickelt. Deswegen sind die Nachlassrichter wohl auf mich gekommen.
War das Mandat für Ihre Karriere ein Sprungbrett?
Wüthrich: Als ich das Projekt übernommen habe, war ich 48 Jahre alt. An meiner Position hat sich dadurch nichts geändert: Ich war bereits damals Partner in der Anwaltskanzlei, in welcher ich es heute noch bin. Und ich betreute bereits vorher Fälle, die in den Zeitungen erschienen sind. Für mich war es daher kein Sprungbrett, aber auf jeden Fall der Karrierehöhepunkt.
Welche Auswirkungen hatte der Auftrag auf Ihr Privatleben?
Wüthrich: Im ersten halben Jahr hatte ich Arbeitstage von bis zu 20 Stunden. Selbstverständlich ist das etwas, das ich mit der Familie bewältigen musste. Aber ich habe immer darauf geachtet, dass mein Privatleben möglichst nicht involviert wurde und auch nicht in die Medien gelangte.
Was denken Sie, bis wann die Swissair Gruppe liquidiert ist?
Wüthrich: Ich hoffe, die meisten der Projekte in den nächsten zwei Jahren abschliessen zu können.
*Karl Wüthrich ist Partner der Wirtschaftskanzlei Wenger und Plattner und Experte für Restrukturierung und Konkursrecht.
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