Am 20. von 28 Prozesstagen zündete die Verteidigung ihre Wunderwaffe. Entwickelt wurde sie von zwei ehemaligen Chefs der Revisionsfirma Arthur Andersen. Diese erstellten im Auftrag von Thomas Schmidheiny und Bénédict Hentsch, die mit 17 weiteren Angeklagten vor dem Strafrichter stehen, ein Gegengutachten zur Staatsanwaltschaft. Die zentrale Aussage der Buchhaltungsexperten Paul Hoeve und Thomas Rufer lautet: Im Frühling 2001 seien weder die Mutterfirma SAirGroup noch die Untergruppe SAirLines schwarze Löcher gewesen. Sie behaupten gar, das Eigenkapital der beiden Gesellschaften sei bis zum 11. September 2001 intakt gewesen.
Würde das Gericht dieser Argumentation folgen, wäre die Anklage pulverisiert. Diese wirft den einstigen Topshots der Schweiz vor, sie hätten wertvolle Tochterfirmen in den Schlund der überschuldeten Subholding SAirLines geworfen – und so mutwillig Gläubiger geschädigt.
Intaktes Eigenkapital oder Milliardenloch? Eine Frage, die teure Experten diametral anders beantworten. Die Auflösung ist gemäss Rufer-Hoeve-Gutachten verblüffend einfach. Aldo Schellenberg, der Experte der Anklage, gehe «von der Annahme aus, dass die Rückstellungen auf Stufe SAirLines AG» vorzunehmen seien. «Aufgrund der von uns eingesehenen Verträge und anderer Dokumente kommen wir demgegenüber zum Schluss, dass Rückstellungen in der Höhe von CHF 2,618 Mio. sowohl auf Stufe der SAirGroup AG als auch auf Stufe der SAirLines AG hätten gebildet werden können.» Dass man die Korrekturbuchungen schliesslich bei SAirLines vornahm, sei in Ordnung, behauptet das Expertenduo. Die Muttergesellschaft habe ihre Subholding durch Übertragung von fast zwei Milliarden Franken an Beteiligungen schadlos gehalten.
Die Anklagebehörde ist der Meinung, dass die Rückstellungen in die «Konzernobergesellschaft» gehört hätten. Doch die «SAirGroup sollte aus Imagegründen unter keinen Umständen mit den Brandmalen einer Bilanzsanierung befleckt werden», sagte die Staatsanwaltschaft vor Gericht.
So sind sich Anklage und Verteidigung zumindest in einem Punkt einig: Es war die Muttergesellschaft SAirGroup, die letztlich für die maroden Airline-Beteiligungen geradestehen musste. LH