Seit Christian Weber, leitender Staatsanwalt des Kantons Zürich, am letzten Tag im März seine Anklageschrift in Sachen Swissair deponiert hat, jubelt der «Blick»: «Die Swissair-Versager: Endlich Anklage!», titelte das nationale Boulevardblatt. 95 Seiten dick ist Webers Werk, 19 Personen, vom Ex-CEO Philippe Bruggisser bis zum letzten Präsidenten, Mario Corti, will der Staatsanwalt vor den Kadi zerren. Als «interessierenden Zeitabschnitt» taxiert die Anklageschrift die Jahre 2000/2001 und sieht Personen am Werk, die «bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung des Deliktes in massgeblicher Weise zusammenwirkten, sodass jeder als Hauptbeteiligter dasteht». Das Juristendeutsch suggeriert, hier hätten sich Leute zusammengerottet, um in voller Absicht schwer wiegende Straftatbestände wie Urkundenfälschung, Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung und unwahre Angaben über kaufmännische Gewerbe zu begehen.

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Immerhin hält die Staatsanwaltschaft auch fest, dass nicht Wirtschaftskriminelle mit der Absicht der persönlichen Bereicherung am Werk gewesen seien, sondern Verwaltungsräte und Manager, die zumindest in der untersuchten Zeitspanne, also 2000 und 2001, die Absicht verfolgt hätten, das leckgeschlagene Unternehmen zu retten. So zum Beispiel, als Mario Corti und sein Finanzchef Georges Schorderet am 11. Juli 2001 mit der Citibank, der Credit Suisse First Boston (CSFB) und der Deutschen Bank einen Kreditvertrag über eine Milliarde Franken abschliessen konnten. Beiden wird daraus nun strafrechtlich ein Strick gedreht – ein Lehrstück für jeden aktiven Manager, seine Firma niemals Pleite gehen zu lassen, weil
andernfalls an sich gängige Geschäftsvorgänge in happige Klagen münden können.

Mitte April 2001 weist Corti Schorderet an, bei dem Bankenkonsortium anzufragen, ob er, Corti, an der anstehenden Swissair-GV publik machen könne, dass der Milliardenkredit vereinbart sei – die Parteien hätten darüber Stillschweigen vereinbart. Die gewünschten Bestätigungen kommen fristgerecht, und am Tag vor der GV abends um 20.36 Uhr trifft auch der Telefax mit den Finanzierungsvorschlägen des Konsortiums auf dem Balsberg ein. Wegen der Finanzlage des Konzerns bestehen die Banken auf weit gehenden Sicherheiten, die im Detail noch verhandelt werden müssen. Insofern, urteilt nun die Anklage, stelle der Fax mit dem Finanzierungsvorschlag lediglich «eine Absichtserklärung» dar, «in der die Bedingungen für einen Vertragsabschluss dargelegt wurden» – keine der Banken weist Corti darauf hin, dass diese Kreditfazilität nicht publik werden darf, weil die Einzelheiten noch ausstehend sind.

Und so führt Mario Corti am 25. April 2001 an der GV aus: «Wir haben, ich darf Ihnen das heute sagen, mit den drei führenden internationalen Grossbanken Citibank, CSFB und Deutsche Bank ein Agreement erzielt für die Errichtung einer neuen Kreditlinie von einer Milliarde Franken, und damit ist auf alle Fälle sichergestellt, dass wir nun die Sanierung der Gruppe in Angriff nehmen können, ohne dass die Liquidität als solche gefährdet ist.» Am selben Tag schiebt Corti im Schweizer Fernsehen als Erklärung nach: «Diese Milliarde ist ja nicht so gedacht, dass wir das in nächster Zeit ziehen, weil uns jetzt gewissermassen das Geld ausgeht, sondern ist gedacht als ein Signal, dass eben die Liquidität der Gruppe kein Problem ist. Es war sehr wichtig, das auf die heutige GV bekannt geben zu können.»

Als «tatsachenwidrig» taxiert die Anklage nun Cortis Aussagen. «Mit diesen Verlautbarungen erweckte der Angeklagte Corti im Einverständnis mit dem Angeklagten Schorderet wissentlich und willentlich den unwahren Anschein, die Kreditlinie sei vereinbart, ziehbar und zur Liquiditätssicherung geeignet. Diese unwahren Angaben waren, was beiden Angeklagten bekannt und bewusst war, von sehr erheblicher Bedeutung und geeignet, die (potenziellen) Anleger zu schädigenden Vermögensdispositionen (durch Kauf und Halten von Aktien und/oder Obligationen der SAirGroup AG) zu veranlassen.» Mehr noch: Bedingungen für die Kreditfazilität wie Business- und Liquiditätspläne, der Ausstieg aus den ausländischen Beteiligungen und der Verkauf von Assets, monieren die Ankläger, seien zum Zeitpunkt der Ankündigung noch nicht verhandelt gewesen. Auch seien noch keine Sicherheiten hinterlegt worden, um zu verhindern, bestehende Kredite mit andern Banken zu verlieren. Tatsächlich werden im ersten Halbjahr 2001 Kredite von 395 Millionen Franken von Kreditgebern einseitig gekündigt.

Ein «unauflösbarer Widerspruch», urteilen selbst die Ankläger. Und weiter: «Der Finanzierungsvorschlag hatte zum Ziel, die benötigte Liquidität durch Bevorschussung von Vermögensverkäufen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung bestehender Kreditzusagen sicherzustellen.»

Effektiv hätte eine Bevorschussung jedoch zu Kreditkündigungen anderer Banken geführt, was, so die Anklage, «durch die Kreditlimite von einer Milliarde nicht hätte aufgefangen werden können».

Eine Quadratur des Kreises: Mario Corti befand sich im Schwitzkasten der Banken, gefangen in den Ansprüchen der verschiedenen Kreditgeber. Und da die Firma Pleite ging, stellt sich die Frage, ob hier ein Mann mit im strafrechtlichen Sinne krimineller Energie am Werk war. Oder eher einer, der verzweifelt versuchte, den finanziellen Kollaps zu verhindern. Darüber werden die Richter zu urteilen haben. René Lüchinger