Es wird der grösste Schauprozess, den die Schweiz je gesehen hat: 19 ehemalige Swissair-Manager, -Verwaltungsräte und -Berater werden in einem Gerichtssaal in Bülach erscheinen, um sich zu verantworten und zu erklären, wie es zur grössten Wirtschaftspleite des Landes kommen konnte.

Der Prozess verspricht Genugtuung für die kochende Volksseele. Doch den geprellten Aktionären und Obligationären nützt das Verfahren nichts. Denn sollten die Angeklagten wider Erwarten im Strafrechtsverfahren zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden, kommen die Gelder dem Kanton Zürich zugute.

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Eines ist längst Gewissheit: Die Anleger wurden bei der Aufarbeitung des grössten Wirtschaftsskandals der Schweiz im Regen stehen gelassen. Die Eidgenössische Bankenkommission fühlt sich nicht zuständig, die Staatsanwälte konzentrieren sich auf die strafrechtlichen Konsequenzen für die Angeklagten, und Sachwalter Karl Wüthrich ist damit beschäftigt, einen möglichst hohen Liquidationserlös für die Gläubiger zu generieren. Da die mehr als tausend Swissair-Obligationäre jedoch nur im dritten Rang stehen, fällt ihnen im besten Fall eine Nachlassdividende zwischen 3 und 15 Prozent zu. Die Aktionäre durften ihre Aktien bei der Integration der Swiss in die Lufthansa dieser für den Schnäppchenpreis von neun Franken andienen.

Die Verantwortung der Banken in diesem Trauerspiel wurde erst gar nie zur Diskussion gestellt. Was einen verwundert, haben doch viele Finanzinstitute ihren Kunden die Pleitepapiere wärmstens ans Investorenherz gelegt. In diesem Zusammenhang lassen nun die Forderungen eines Juristen aufhorchen. Jean-Marc Schaller, Jurist am Bezirksgericht in Zürich, wünscht sich einen Präzedenzfall, bei dem die Banken für ihre Empfehlungen zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Die Aussichten auf einen Erfolg stünden gemäss Schallers Recherchen sehr gut (siehe Nebenartikel «Jean-Marc Schaller, Jurist am Bezirksgericht Zürich: Banken könnten im Fall Swissair haftbar gemacht werden»).

Zwei Jahre lang hat der Jurist im Rahmen seiner Dissertation untersucht, ob Schweizer Anleger gegenüber Banken beziehungsweise deren Analysten Haftungsansprüche durchsetzen könnten. Sein Fazit: «Die Banken können für ihre Falschempfehlungen haftbar gemacht werden. Mir ist es jedenfalls ein Rätsel, weshalb die Verantwortlichkeit der Research-Abteilungen der Banken anhand der Totalverluste von Tausenden Aktionären bislang in der Öffentlichkeit noch nie thematisiert wurde.»

CS-Sprecher Jan Vonder Mühll dagegen ist überzeugt, dass es keine Ansprüche auf Grund von Research-Berichten gegen die Credit Suisse gibt. «Die Analysen erfolgen auf Grund von öffentlich zugänglichen Informationen, wie dies auch bei den Berichten über die Swissair geschah.»

Doch Jurist Schaller steht mit seiner Ansicht nicht allein. Prominente Schützenhilfe bekommt er vom renommierten Professor Rolf H. Weber vom rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich: «Verantwortlichkeitsklagen gegen Verwaltungsräte ziehen sich häufig über viele Jahre hinweg. Im Falle der Swissair wäre es wesentlich einfacher gewesen, bei Vorliegen des Beweismaterials eine Klage gegen die Banken wegen Falschempfehlungen einzureichen.»

Genau an diesem einen Punkt jedoch, beim Vorliegen des Beweismaterials, liegt in diesem Fall die Crux. Die Analystenberichte von damals sind fast spurlos verschwunden. Selbst Finanzinformationsdienstleister wie Bloomberg oder Thomson Financial, die ihr Geld damit verdienen, Researchberichte von Analysten transparent zu machen, können nur auf leere Archive im Fall Swissair verweisen.

BILANZ gelang es, zwei Berichte von damals aufzutreiben. Daraus geht hervor, dass etwa die Bank Pictet nur einen Monat vor dem totalen Zusammenbruch der Swissair den Titel zum Kauf empfohlen hatte. Zu einem Zeitpunkt, da andere Finanzinstitute die Swissair schon längst nicht mehr bewerteten, weil die Risiken zu gross schienen. Zwar weist der Analyst darauf hin, dass Swissair «auf dünnem Eis operiere», und verwendet gar den Ausdruck «Gefahr», kommt aber zum überraschenden Fazit, dass die Titel kaufenswert seien.

Bank Pictet argumentiert heute, dass der Analyst die Empfehlungen für institutionelle Kunden abgegeben habe, die grundsätzlich selber entscheiden, wie sie investieren. Für Jurist Schaller ist die Frage der Kunden jedoch einerlei: «Bei derart vielen Warnsignalen eine Empfehlung auszusprechen, ist wohl mehr als fraglich.»

Noch dramatischer stellen sich die Ereignisse rund um die Credit Suisse dar. Dort prognostizierte der hauseigene Finanzanalyst Christopher Chandiramani der Swissair am 6. Juli 2000 einen Verlust von bis zu einer Milliarde Franken für das erste Halbjahr und setzte den Titel auf «Verkauf». Damit stand er mit seiner Meinung nicht nur konträr zu jener seiner Kollegen bei anderen Häusern, sondern auch zu jener seines eigenen Chefs, Lukas Mühlemann, der als Credit-Suisse-CEO auch im Verwaltungsrat der Swissair sass. Kurze Zeit nach Erscheinen des Berichts wurde Chandiramani entlassen. Und nur wenig später, am 13. Juli, erscheint der Swissair-Titel wieder auf den Empfehlungslisten der Credit-Suisse – mit einem «Kauf»-Signet.

Untersuchungen der Staatsanwälte hinsichtlich der Doppelrolle des Credit-Suisse-Chefs wurden keine unternommen. Die Bank bestreitet, dass sie jemals über irgendein Spezialwissen verfügte.

Dabei gerät die Credit Suisse nicht das erste Mal wegen möglichen Ausnutzens von Insider-Informationen ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Jahr 2000 rügte die Aufsichtsbehörde EBK die CS wegen ihrer Rolle im Falle der Pleitefirma Biber im Jahr 1996.

Die Credit Suisse verkaufte damals in grossem Stile Biber-Aktien aus dem Eigenhandel der Bank. Diese hatte durch einen CS-Vertreter im Verwaltungsrat von Biber Wind davon bekommen, dass die Sanierungsbemühungen des Unternehmens schlechter anliefen als geplant. Die Biber-Aktionäre, zum Teil auch Credit-Suisse-Kunden, die nichts von diesen Aktivitäten wussten, blieben auf den konkursiten Pleitetiteln sitzen. Finanziell entschädigt wurden die Anleger bis heute nicht.

Johann-Christoph Rudin von der Schutzgemeinschaft für Investoren lokalisiert den Grund für die fehlende Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten in der Nickerkultur der Aktionäre, denen es an der Solidarität fehle, die in den USA vorherrsche. Gerade dort seien mit Sammelklagen grosse Erfolge erzielt worden. Auch Hans-Jacob Heitz von der Schutzvereinigung Swissair fehlt eine starke Untersuchungsbehörde wie in den USA: «Die Staatsanwaltschaften hierzulande sind unterdotiert, die Gerichte überfordert. Leider hatten wir im grössten Pleitefall der Schweiz keinen Eliot Spitzer, der schlagkräftig die Doppelfunktion einer Credit Suisse untersucht hätte.»

Während der emsige New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer innerhalb von nur ein oder zwei Jahren die Missstände in Banken untersuchte und diese zur Verantwortung zwang – etwa im Zusammenhang mit Grosspleiten wie bei Enron oder WorldCom –, dauerte es in der Schweiz volle fünf Jahre, bis es zur Anklage gegen die Verantwortlichen der Swissair kam. Spitzer war es auch, der mit seinen Ermittlungen eine Kettenreaktion auslöste. Staatsanwälte anderer Staaten sowie die bisher zögerliche nationale Börsenaufsicht SEC schalteten sich in die Untersuchungen ein und ermittelten die bizarrsten Formen von Vetterliwirtschaft, Missständen und Falschempfehlungen. Zehn der mächtigsten Wall-Street-Institute zwang die oberste Börsenaufsicht, SEC, Vergleichszahlungen zu leisten: Rund 1,4 Milliarden Dollar mussten diese als Entschädigung unter anderem für geschädigte Anleger bezahlen.
Davon ist die Schweiz jedoch weit entfernt. Weder untersucht hierzulande ein Eliot Spitzer im Namen der Aktionäre all die Ungereimtheiten, die im Falle der Swissair noch offen sind, noch gibt es Anleger, die sich trauen würden, in Form von Sammelklagen gegen die mächtigen Grossbanken vorzugehen. Und so bleibt Goliath mächtig und David klein.