Das Malheur passierte morgens um halb sechs, bei fast minus 20 Grad und völliger Dunkelheit. Seit dem Start in Arolla hatten die drei Männer anderthalb Stunden Aufstieg in den Knochen, als sie auf 2912 Metern Höhe erstmals die Felle von den Ski nahmen. Doch jetzt, vor der Abfahrt vom Col de Riedmatten, liess sich der Skischuh von Roger Wüthrich-Hasenböhler nicht in der Bindung fixieren.
Immer und immer wieder versuchte es der KMU-Chef der Swisscom, bis Konzernleitungskollege Mario Rossi die Geduld verlor. Lautstark kritisierte der Finanzchef Wüthrichs unprofessionelle Vorbereitung auf die Patrouille des Glaciers. Der Dritte im Bunde sagte kein Wort. Stattdessen schnallte Urs Schaeppi die Ski ab, zückte sein Sackmesser und justierte seelenruhig die falsch eingestellte Bindung. Nach einer Viertelstunde konnte das Team mit der Startnummer 3176 das härteste Skitourenrennen der Welt fortsetzen.
Typisch Schaeppi
Die Episode aus den letzten Apriltagen dieses Jahres ist typisch für Urs Schaeppi. Pragmatisch denken, kein Aufheben machen, Problem lösen und dann weiter. Genauso führt er seit einem Jahr als CEO die Swisscom. Er hat damit einen Kulturwandel ausgelöst beim grössten Telekom-Konzern des Landes. Und er hat Erfolg: Die Ergebnisse sind solide, die Marktmacht der Swisscom ist unangetastet, der Aktienkurs hat um stolze 28 Prozent zugelegt. Die sonst so betuliche Swisscom schlägt damit den Börsenindex SMI und die Konkurrenz deutlich.
Dabei hätte Schaeppi bei Amtsantritt keine schwierigere Situation antreffen können. Nach dem Freitod seines Vorgängers Carsten Schloter im Juli letzten Jahres stand der 1, 5-Milliarden-Konzern unter Schock. Schaeppi brach seinen Urlaub ab, übernahm die Kommunikation, koordinierte den Krisenstab. «Die erste Priorität in der Führung war, die Organisation zu stabilisieren, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen und das Tagesgeschäft sicherzustellen», erinnert sich der 54-Jährige. Wochenlang besuchte er die Swisscom-Standorte im ganzen Land, liess Ansprachen und Videokonferenzen im Intranet verbreiten, ging auf Roadshow bei den Kunden. Das brachte ihm intern viel Goodwill: «Er hat das super gemacht», sagt einer, der die Krise an seiner Seite erlebte.
Der Teamplayer
Schaeppis Akzeptanz hat viel zu tun mit seinem Führungsstil. Der gebürtige Bieler gilt als Teamplayer, führt unaufgeregt, denkt lösungsorientiert. «Er hat all die guten Eigenschaften eines Schweizers: Er ist bodenständig, sachorientiert, verlässlich, pünktlich, hat alles unter Kontrolle», sagt ein ehemaliger Untergebener. «Eigentlich ist er ein Bünzli.»
Damit unterscheidet sich Schaeppi markant von seinem flamboyanten Vorgänger. «Bei Carsten Schloter ähnelte die Konzernleitungssitzung häufig einer Befehlsausgabe», sagt einer, der dabei war. Alles ging über den Cheftisch; mit seinem Fachwissen scheute sich Schloter nicht, auch Detailfragen auf unteren Ebenen zu entscheiden. Meinungen und Ideen, die nicht seine eigenen waren, hatten es schwer bei ihm.
Schaeppi hingegen hört zu, bindet die Leute ein, versucht Konsens herzustellen, vertraut und delegiert viel, führt über die Linie. Mit der Nebenwirkung, dass Entscheidungen bisweilen deutlich länger dauern als bei seinem Vorgänger. Dann aber kann er Themen hartnäckig einfordern. «Ein Unternehmen funktioniert nur dann gut, wenn man den Menschen ins Zentrum stellt», erklärt Schaeppi sein Weltbild. «Führen nur mit Druck funktioniert nicht. Als Ingenieur weiss ich: Druck erzeugt Gegendruck.»
Harmoniebedürftig
Kein Wunder, sieht er auch die Patrouille des Glaciers als Teamevent: «Es gibt keinen Führer», sagt Schaeppi. «Man muss aufeinander schauen und zusammen ans Ziel kommen.» Bei manchen gilt der Chef von mehr als 20'000 Mitarbeitern gar als harmoniebedürftig. «Um mit ihm Krach zu bekommen, muss man sich richtig anstrengen», meint ein ehemaliger Mitarbeiter. «Ich habe es noch nicht geschafft. Und ich kann eigentlich gut streiten», sagt Marc Furrer, Präsident der eidgenössischen Kommunikationskommission ComCom.
Auch in der Konzernleitung hat Schaeppi «seinen persönlichen Wohlfühlrahmen» (ein Ex-Kadermann) geschaffen: Die sieben Mitglieder sind Männer, alle Velofahrer, bis auf einen Anfang 50, Schweizer und schon ewig dabei, alle verstehen sich gut. Widerspruch ist da nicht zu erwarten. Schloter hatte mit Jürgen Galler und Andreas König zwei Quereinsteiger von Google bzw. vom IT-Konzern NetApp abgeworben, um frische Ideen in die Führung zu bringen. Sie haben kurz nach Schaeppis Ernennung ihre Posten geräumt.
Auch im Verhältnis zwischen CEO und VR-Präsident weht ein neuer Wind bei Swisscom. Der machtbewusste Carsten Schloter kam mit der engen Führung durch Hansueli Loosli nicht zurecht. Er empfand dessen Wirken als Einmischung, zwischen den beiden herrschten grosse Spannungen, auch weil die Alphatiere nicht verstanden, wie der jeweils andere funktioniert.
«Schaeppi hingegen weiss, wie man Menschen nehmen muss – auch seinen Präsidenten», sagt ein langjähriger Vertrauter. Von einem «guten Verhältnis» zu Loosli spricht Schaeppi, was mehrere Beobachter auf der Swisscom-Teppichetage bestätigen. Der Hauptmann der Infanterie und der Oberleutnant der Artillerie, beides Jasser, sind vom gleichen Menschenschlag: eher Macher als Visionär, eher hemdsärmlig als sophistiziert, eher bodenständig als abgehoben. «Urs und ich arbeiten sehr gut zusammen. Ich schätze den regelmässigen Austausch mit ihm sehr», drückt es Loosli aus. Einmal im Monat sehen sich die beiden, «aber er ist für mich immer erreichbar, auch spontan» (Schaeppi).
Nicht um jeden Preis
Dreieinhalb Monate dauerte es vom Tod Schloters bis zur offiziellen Ernennung Schaeppis, obwohl weit und breit kein anderer Kandidat für den CEO-Posten in Sicht war. In dieser Zeit war Loosli im Unternehmen sehr präsent und bei allen wichtigen Entscheidungen mit dabei. Weil Schaeppi den Job nicht um jeden Preis wollte, konnte er aushandeln, dass die personelle Trennung von Schweizer Geschäft und Konzernführung rückgängig gemacht wurde. Diese hatte Loosli eingeführt, um ein Gegengewicht zum mächtigen Schloter zu schaffen. Und sie erlaubte dem Präsidenten, am CEO vorbei ins Tagesgeschäft hineinzureden.
Seit der offiziellen Ernennung Schaeppis hat sich Loosli spürbar zurückgezogen. Sein Einfluss ist dadurch nicht geringer geworden. «Wenn der Präsident etwas will, geht Schaeppi in Achtungstellung», sagt eine Stimme ganz oben im Konzern und sieht Loosli gar als «Acting CEO» – was der bestreitet: «Operative Führung ist nicht meine Sache, und ich habe auch keine Zeit dafür.» Ein hoher Kadermann bestätigt: «Ich spüre ihn nicht operativ. Aber ich spüre ihn!»
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