William Ohlemeyer hat einen der heikelsten Jobs der US-Wirtschaft. Er ist Chef-Jurist der Altria Group, des grössten Zigarettenherstellers der Welt. Mit seinem Team verteidigt er den Konzern gegen die Klagen erkrankter Raucher und geschäftstüchtiger Kanzleien. Für Altria und ihre Tabaksparte Philip Morris (Marlboro) geht es um die Existenz. Der Streitwert ist gigantisch. 74 Mrd Dollar Busse drohen Altria allein in einem Verfahren in Florida, rund 10 Mrd in Illinois. Doch Ohlemeyer ist überzeugt: Der Tabakriese wird am Ende keinen Cent zahlen müssen. «Wir haben 50 Jahre Prozesserfahrung. Wir sind zuversichtlich, dass wir auch diese Fälle lösen.»

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Begehrte Wertpapiere

Die Börse sieht es offenbar genauso. Tabakaktien, lange als Gift für jedes Depot verpönt, gehören inzwischen zu den Lieblingen vieler Anleger: Altria hat seit November über 35% auf 65.50 Dollar zugelegt. British American Tobacco (Lucky Strike) und Reynolds American (Camel) jeweils etwa 20%, auf 13.50 Euro, respektive 82 Dollar. Die Hoffnung der Investoren: Big Tobacco, wie die grossen Zigarettenhersteller in den USA genannt werden, wird im jahrelangen Kampf gegen die Antiraucher-Lobby die Oberhand gewinnen.

Schon jetzt scheint den Gegnern die Puste auszugehen. Gerade mal zwei Dutzend Klagen wurden im vergangenen Jahr gegen Philip Morris eingereicht. 2002 waren es noch rund 200. Die Verteidigungsstrategie der Konzerne hat die Kläger offenbar mürbe gemacht. Jedes Verfahren wird, wenn nötig, bis in die letzte Instanz durchgefochten. «Niemand darf auf eine schnelle und leichte Einigung hoffen», warnt Ohlemeyer.

Bitter für alle Kläger: Der Oberste Gerichtshof der USA hat in einem Präzedenzfall im April 2004 entschieden, dass Schadensersatz niemals so hoch sein darf, dass er den Beklagten in die Pleite stürzt. Urteile in Milliardenhöhe haben seitdem praktisch keine Chance mehr, die Berufungsinstanzen zu überleben.

Auch die Lobby-Arbeit der Tabakindustrie macht sich bezahlt. Der US-Senat verabschiedete vergangene Woche ein Gesetz, das die Flut von Schadensersatzklagen eindämmen soll. Republikanern und Demokraten geht es nicht nur um die Tabakindustrie. Denn der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm: Bis 2% des Bruttoinlandprodukts, hat das US-Wirtschaftsministerium errechnet, werden durch Schadensersatzklagen verschlungen. Zu viel, meint auch George W. Bush: Ein Rechtssystem, das Amok laufe, mache es der Wirtschaft schwer zu überleben und gefährde Arbeitsplätze, mahnt der Präsident.

Auch der Rechtsstreit mit der US-Regierung dürfte bald beigelegt sein. Anfang des Monats hat ein Gericht eine Forderung in Höhe von 280 Milliarden Dollar verworfen. Die Investmentbank Credit Suisse First Boston spricht von einem «historischen Tag» für die Tabakindustrie. Die Chancen der Zigarettenhersteller stehen gut, dass die Sammelklage verworfen wird. Das Urteil aus erster Instanz ist in der Berufung bereits gekippt worden, weil der Strafschadensersatz «masslos überzogen» sei, so die Richter. Zudem sei eine Sammelklage in dieser Sache nicht rechtens jeder der über 1000 Fälle müsse separat verhandelt werden.

«Wir glauben, dass der Druck auf die US-Tabakindustrie in den kommenden Monaten weiter abnehmen wird», heisst es bei Credit Suisse First Boston. David Adelman von Morgan Stanley geht einen Schritt weiter: Er sieht nach Florida und Illinois «keine neue Kategorie» von Forderungen gegen die Zigarettenhersteller. Weitere Klagen sind zwar wahrscheinlich, das Risiko für die Konzerne aber wäre auf Basis der Präzedenzfälle gering. Deshalb decken sich mutige Börsianer schon jetzt mit den Aktien der hochprofitablen Tabakriesen ein.