Das Duo Cyril Meyer und Kevin Huber wollte es schlau angehen. Mit einem für die Schweiz hippen Nikotinprodukt wollten die Startup-Unternehmer die hierzulande mangelhaften Regelungen für neuartige Tabakwaren hinter sich lassen. Sie sind dran, den sich rapide ändernden Tabakmarkt zu erobern – weg von der Brennzigarette hin zu alternativen Nikotinwaren.

Ihr Produkt ist ein sogenannter Mundtabak und heisst labelgetreu «edelsnus», die Firma dazu heisst Multifill, mit Sitz in Steinhausen ZG: das kleine Imperium der Unternehmer für den Start in eine neue Tabakwelt.

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Papier statt Tabak

Snus ist ursprünglich eine schwedische Erfindung, ein Tabak zum Kauen und Suckeln. Es gibt verschiedene Arten: loser Snus, Portionen-Snus in Beutelchen, Dry oder White. Der Clou bei Edel Snus: es enthält nicht einmal Tabak. Sondern Zellulose als Ersatz, jenen Rohstoff, den man sonst für die Papierherstellung nutzt. Nur eben mit Nikotin angereichert. «All White Snus» nennt man diese zellulosegefüllten Sachets. Rauchfrei, tabakfrei, ein softes Päckchen, das man sich unter die Lippe schiebt.

Das BAG schätzt den Anteil der Snuser in der Schweiz auf rund 1 Prozent der Bevölkerung, auf rund 80’000 plus. Inoffizielle Daten gehen noch weit darüber hinaus. «Gemessen an unseren Verkaufs- und Handelsdaten gehen wir von rund 250’000 aus», sagt Meyer.

In der Schweiz hatte All White bis Ende 2021 nicht einmal eine eigene Zolltarifnummer. Das erschwert die Erhebung realistischer Marktdaten. Schätzungen von Marktteilnehmern in der Schweiz für die totale Anzahl Dosen (mit und ohne Tabak) pro Jahr liegen bei 13 bis 25 Millionen.

Im Vergleich dazu hat das Snus-Mutterland Schweden mit rund 10 Millionen Einwohnern einen entwickelten Snus-Markt mit 320 Millionen Dosen jährlich. Da ist in der Schweiz noch viel Luft nach oben, ein Marktpotenzial, das Meyer und Huber gerne ausschöpfen würden.  

Hierzulande kann man Snus bei K Kiosk, an Tankstellen, im Fachhandel und online kaufen. Weltweit beträgt der Anteil von Snus-Produkten am gesamten Tabakproduktemarkt rund 2 Prozent. Zum Vergleich: In Schweden sind es 80 Prozent.

Laxe Regeln

Mit Tabak, Zigis und Dampfern haben die Multifill-Gründer nichts am Hut. Das geltende Gesetz in der Schweiz zu Tabak- und Nikotinwaren hatte deren Snus-Produkt bis zuletzt gar nicht auf dem Radar. Tabakprodukte und Rauchwaren werden in der Schweiz primär im Lebensmittelgesetz geregelt. Was auch bedeutet, dass Beschränkungen für den Verkauf und die Werbung dieser Produkte hierzulande eher lax – und von Kanton zu Kanton unterschiedlich – sind.

Für die Produktion hingegen ist die Schweiz ein festes Eldorado, quasi der Wilde Westen für die Tabak-Industrie, mit nur einer klaren Spielregel: Fast alles ist möglich.

Die Schweiz ist Heimat für die grössten Tabakkonzerne und -hersteller der Welt: British American Tobacco (BAT), Japan Tobacco International (JTI) und Philip Morris. Philip Morris ist der grösste Steuerzahler des Kantons Neuenburg. Und sie alle haben Produktionen im Inland und verkaufen die in der Schweiz hergestellte Ware überwiegend für den Export und bis in den Mittleren Osten, teilweise mit unterschiedlichen Grenzwerten bei den Inhaltsstoffen: in der Schweiz illegal, aber gut genug für den arabischen Raum.

Der Grund dafür: Die Schweiz ist eines der ganz wenigen Länder weltweit, das die UN-Tabakresolution nicht ratifiziert hat. Im Jahr 2003 hatte die Welt bestimmt, dass Tabak grundsätzlich ein Problem sei, ja, dass eine Tabak-Epidemie herrsche.

An diesem Schweizer Privileg will der Bundesrat nicht rütteln. Aber ein neues Gesetz liefert er ab, welches das Angebot auch innerhalb der Schweiz neu regelt. Laut Meyer durchaus ein Vorteil: «Das neue Gesetz bietet uns endlich Rechtssicherheit, indem Snus und All White Snus verankert werden.»

Grenzenlose Nikotinbomben

Das Problem aber ist: «In dem Gesetz ist keine Nikotinbegrenzung für Snus inkludiert.» Also nicht, wie das bei Zigaretten und neu auch E-Zigaretten der Fall sein wird. Das ist ein Risiko, weil gewisse Marken das Rennen in Richtung höhere Nikotingehalte bis ins Unendliche treiben können.

Mehr Regulierung für Tabakhersteller wollte hingegen die Werbeverbotsinitiative, welche die Schweiz am Sonntag in einer Abstimmung mit 56,6 Prozent angenommen hat. Die Schweiz stimmte darüber ab, ob Tabakprodukte und alles, was dazu gehören soll, überhaupt beworben werden darf. Das zuvor erwähnte Tabakproduktegesetz wird unabhängig davon in diesem Jahr in Kraft treten.

Mit der angenommenen Initiative wird es faktisch verboten, für Tabakprodukte Werbung zu machen. Also überall dort, wo sie von Minderjährigen gesehen werden «kann». «Vom Werbeverbot sind wir direkt betroffen, weil unsere eigene Produktion auf die Schweiz abzielt, dann den gesamten DACH-Raum und später international», sagt Kevin Huber.

Dass es das Unternehmerduo so unvorhergesehen treffen soll, obwohl es gar keinen Tabak verkauft, nehmen die beiden Gründer dennoch gelassen. Sie fokussieren auf den Markenaufbau.   

Neu sollen per Gesetz sämtliche Nikotinprodukte erfasst und geregelt werden, von herkömmlichen Zigis über elektrische Heater und akkubetriebene Dampfer mit Nikotinflüssigkeit bis hin zum Snus.

Produktion im Aargau

Produziert wird der tabakfreie All White Snus von der Multifill AG im Aargau. Auf zwei Stockwerken haben sich die Jungunternehmer im Holzgebäude einer alten Schreinerei auf 2000 Quadratmetern eingemietet. Dort steht eine industrielle Fertigungsmaschine aus Schweden. Der Output: 10 Dosen Snus pro Minute.

Mit der Idee eines gross angelegten Snus-Vertriebs ging das Gründerduo jahrelang schwanger. Davor studierte Meyer an der Uni St. Gallen Finanzwissenschaften, ging dann als Aspirant zur Profi-Juniorenliga im Eishockey nach Schweden, wo er auf den Snus-Geschmack kam. Huber wurde Profi und blieb in der Schweiz.

Snus-Unternehmer Kevin Huber und Cyril Meyer

Vom Eishockey zum Snus: Die Jungunternehmer Cyril Meyer (rechts) und Kevin Huber.

Quelle: Multifill AG

Meyer zog es indes weiter. In den USA schnupperte er Startup-Luft, legte einen Wirtschaftsabschluss nach, dem Eishockey blieb er treu und dem Snus geneigt. Bis er in die Schweiz zurückkam. Hier startete er zusammen mit seinem Weggefährten Kevin Huber und dessen Vater in der Manier eines Familienbusiness das Geschäft mit dem Edel Snus.

Die ersten vier Jahre hat Meyer den Snus von Schweden aus per Online-Bestellung in die Schweiz liefern lassen. Der Direktvertrieb innerhalb des Landes war verboten. Bis das Bundesgericht in einem Urteil das Verbot 2019 kippte, weil es nicht schlüssig war. Ein Gesetz, welches tabakfreie Produkte wie den Edel Snus regeln würde, gab es aber weiterhin nicht.

Firmengründer überholen Bundesbern

Die Firmengründer waren ihrer Zeit voraus – während Bundesbern seit mittlerweile gut fünf Jahren und mit der internationalen Tabak-Lobby im Rücken über ein Gesetz debattierte, das sämtliche Nikotinwaren ein für allemal regeln sollte. Rechtssicherheit wollten letztlich alle Anbieter. In der Zwischenzeit kamen E-Zigaretten, Dampfer und andere Innovationen auf den Markt. Und jetzt der Snus.

Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung über die Initiative zur Tabakwerbung haben sich Meyer und Huber ohnehin dazu entschieden, das komplette Marketing-Budget an die Gletscherinitiative zu spenden, statt in die Werbung zu buttern. «Wir sind der Meinung, dass die Werbung für Tabakprodukte aus der Zeit gefallen ist und diese Mittel sinnvoller eingesetzt werden können.»