Da hat sich der Computer wieder mal aufgehängt. Was solls. Tarzisius Caviezel lässt sich einen Kaffee ins Nachbarbüro bringen, während ein Fachmann im Computer nach der Ursache sucht. Vermeintliche Alltagskatastrophen vermögen den Chef des grössten Schweizer Elektroinstallateurs, der Burkhalter Holding mit Sitz in Zürich, so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen. Da hat er schon ganz andere Situationen gemeistert. Caviezel nimmt einen Schluck aus seiner Tasse. «Irgendwie geht immer etwas», sagt er dann, verweist auf die Fähigkeiten des Mannes am Computer, spielt damit aber auch auf sein persönliches Lebensmotto an: «Nie aufgeben, immer weitermachen, vorwärtskommen.» Wer zu lange stehen bleibt, der verkümmert an Geist und Seele, so sein Credo.
Der Stift in seiner Hand fängt an zu zeichnen. Ein Berg, oben das Kreuz der Tod. In vielen Kehren windet sich eine Strasse zum Gipfel das Leben. Und immer mal wieder ein P, ein Parkplatz Sinnbild für Schicksalsschläge, Krisen, schwere Momente. Caviezel legt den Füller beiseite. Eigentlich, sagt er, sei es doch ganz einfach: «Zum Kreuz gelange ich früher oder später automatisch. Die Fahrweise über die Strasse bestimme ich hingegen selber. Und dann», er tippt auf die vielen Ps in den Kurven, «gibt es diese Orte und Momente, an denen ich ausruhen muss, etwas zu verdauen habe, Kraft tanken will.» Sein Zeigefinger sucht eine Gerade: «Hier etwa stehe ich heute. Oder hier?» Die Fingerkuppe rückt langsam ein bisschen weiter weg vom kreuzbestückten Gipfel. Caviezel, Vater dreier Kinder, feiert dieser Tage seinen Fünfzigsten. Gross damit aufhalten will er sich nicht. Es geht vorwärts. Immerfort.
Von der Hochspannungsleitung auf den Chefsessel
Dass er einmal an der Spitze eines Unternehmens stehen würde, dem 40 Betriebe mit 2800 Mitarbeitenden angeschlossen sind, das hätte sich der in Domat/Ems zweisprachig aufgewachsene Sohn eines Fabrikarbeiters als Kind nicht träumen lassen. Der allzufrühe Tod des Vaters, die Tatsache, dass ihm als ältestem von insgesamt sechs Geschwistern die Welt nicht einfach offen gestanden hat, liessen ihn auf dem Boden der Realität bleiben.
Caviezel absolvierte bei einem Nachbarn eine Elektrikerlehre. Wenngleich er natürlich froh gewesen sei, überhaupt eine Ausbildung in Angriff nehmen zu können, so habe es ihn rein vom Naturell her dennoch in eine ganz andere Richtung gezogen. «Wildbiologe, das wäre mein Traumjob gewesen.» Statt auf den Hochsitz stieg der junge Berufsmann nach der Lehre bald auf Hochspannungsmasten, um sein Geld als Freileitungsmonteur zu verdienen.
Nach drei Jahren wechselte er wieder in sein Stammgebiet. Es folgten die Meisterprüfung, verschiedene fachspezifische Abschlüsse und Konzessionen und ein Studium in Betriebswirtschaft. Mit 29 dann die eigene Firma Elektro Caviezel in Davos. Der Mann mit den stahlblauwachen Augen blinzelt, muss schmunzeln, denkt er an die Unbekümmertheit, mit der er damals ans Werk gegangen ist. «Keinen Menschen kannte ich damals da oben, niemand hat auf mich gewartet, schon gar nicht die alteingesessenen Elektroinstallateure.» Einer von ihnen habe ihm unverhohlen klar gemacht, dass er ihn «eigenhändig zurück über den Wolfgang» schmeissen werde, zurück ins Unterland, von wo er gekommen sei. Da habe er sich auf die Hinterbeine gestellt und gelernt zu kämpfen. «Wahrscheinlich rührt aus dieser Zeit auch meine Affinität, Konflikte auszutragen ich liebe Auseinandersetzungen, wenn sie denn fair geführt werden.»
In Davos hat Caviezel schliesslich einen Betrieb mit 60 Angestellten aufgebaut. 1995 brachte er diesen in die Burkhalter-Gruppe ein, notabene ins Netzwerk seines zukünftigen Arbeitgebers, bei dem er im Jahr darauf als Leiter der Einkaufskommission einstieg, weil er doch «die nächsten 20 Jahre nicht dasselbe machen wollte wie bisher». Seit 1997 steht der Zürich-Davos-Pendler der Burkhalter Holding als CEO vor. Als solcher will er das Unternehmen stetig weiterbringen, was nicht ganz einfach sei in einer Branche, die immer mehr unter (Preis-)Druck gerät. Aber auch die allgemeine Mentalität lässt den Elektriker der Nation nachdenklich werden. «Die Zahlungsmoral ist heutzutage einfach katastrophal.» Viele Schuldner würden die Rechnungen direkt in den Papierkorb werfen und gingen davon aus, dass eine Betreibung gegen sie das Unternehmen teurer zu stehen komme als ein Verzicht auf den ausstehenden Betrag.
Die erzwungene Dislokation aus dem eigenen Büro findet ein Ende, der Fachmann hat Caviezels Computer wieder flottgemacht. Irgendwie geht eben immer etwas. Jetzt sitzt der begeisterte Berggänger am Sitzungstisch und kramt ein paar Fotos hervor. Caviezel auf Skiern. Caviezel mit Rucksack. Tarzisius Caviezel geht leidenschaftlich gerne auf die Jagd. «Das ist eine natürliche Form der Meditation, inmitten der Bergwelt, inmitten dieser Ruhe, da wirst du auf dich selber zurückgeworfen und setzt dich auch damit auseinander, was du das ganze Jahr über so machst.»
Dass einer, so dynamisch wie Caviezel, einer, der stets auf Zack ist, der ständigt motiviert und antreibt sich selber wie die anderen überhaupt einmal zur Ruhe kommt, überrascht zwar nicht, es sich konkret vorzustellen allerdings fällt auch nicht leicht. Er verfüge wohl über die Gabe, sich immer genau auf das zu konzentrieren, was gerade passiere. «Jetzt zum Beispiel sitze ich mit Ihnen hier und rede über mich, obwohl noch viel Arbeit auf mich wartet. Das stört mich aber nicht. Denn was zählt, ist das Jetzt. Später kann ich mich wieder einzig und allein auf meine Arbeit konzentrieren. Wenn ich im Auto sitze und nach Davos fahre, dann ist das Büro spätestens auf der Höhe Walensee vergessen, und zuhause, da bin ich der Partner, der Vater, bei meinen Freunden der Zisi und auf der Jagd der Jäger.»
Alles zu seiner Zeit, alles richtig machen und mit Spass, nicht halbbatzig und widerwillig, das sei die Formel, die er für sich und sein Tun zurechtgelegt habe, sagt der Mann, der sich in Bezug auf die eigene Karriere nie gross Ziele gesetzt haben will. «Wenn mir eine Aufgabe keine Freude mehr bereitet, ich darin keinen Sinn mehr sehe oder meine Handlungsfähigkeiten eingeschränkt werden, dann verabschiede ich mich lieber davon.»
Neu an der Spitze des Hockey Clubs Davos
In Zukunft dürfte die Person Tarzisius Caviezel von der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen werden, als dies bis heute der Fall ist. Zusammen mit einer Task Force hat er im letzten Winter den renommierten Hockey Club Davos (HCD) vor dem Aus gerettet, innert hundert Tagen 2,6 Mio Fr. aufgetrieben und dafür gesorgt, dass dem beliebtesten Sportverein der Schweiz 1,8 Mio Fr. an Schulden erlassen wurden. Als Hauptsponsor des HCD sei es schliesslich auch im Interesse der Burkhalter-Gruppe gewesen, dass der Traditionsverein überlebe, bemerkt Caviezel trocken.
Seit diesem Frühjahr nun steht er, der selber keinen Schlittschuh vor den anderen bekommt, dem HCD als Präsident vor. Was ein Mehr an Arbeit bedeutet. Einen Tag pro Woche sei er für den Verein im Einsatz, schätzt Caviezel. Als Gegenleistung für sein Engagement will er in Davos Spitzenhockey sehen und wissen, dass der Verein auch finanziell auf gesunden Beinen steht. Der Weg dahin ist steinig, doch ist er in Angriff genommen. «Ich rechne nicht damit, dass wir bereits diese Saison aus den roten Zahlen kommen», bemerkt Tarzisius Caviezel, «aber in der übernächsten sollte es klappen.» Für ihn ist hier, im Sport, wie da, im Geschäft, vor allem wichtig, dass etwas geht dass es vorwärts geht.
Profil: Steckbrief
Name: Tarzisius Caviezel
Funktion: CEO Burkhalter Holding AG
Alter: 50
Wohnort: Zürich und Davos
Familie: In fester Beziehung lebend, eine Tochter (5) sowie aus erster Ehe zwei Kinder (17 und 18)
Karriere:
1982-1995 Caviezel Elektro AG, Davos, Gründer und Inhaber
1996-2001 Leiter Einkaufskommission Burkhalter Holding AG, Zürich
Seit 1997 CEO Burkhalter Holding AG, Zürich
Firma: Burkhalter Holding
Das 1959 von Ernst Burkhalter gegründete Unternehmen hat sich im Laufe der Zeit vom bescheidenen Elektroinstallations-Betrieb mit vier Angestellten zum vernetzt funktionierenden Generalunternehmen im Niederspannungsbereich mit 40 Gruppengesellschaften und insgesamt 2800 Mitarbeitern entwickelt (rund ein Fünftel davon sind Lehrlinge). Die Burkhalter-Gruppe hat im vergangenen Jahr einen Umsatz von 380 Mio Fr. erwirtschaftet; das entspricht rund 15% des gesamten Branchenumsatzes des Schweizer Elektroinstallationsmarktes.