Gehört der Alleinkoch Wolfgang Kuchler zu einem aussterbenden Kochtypus, oder setzt der ehrgeizige Solist einen neuen Trend in der hochklassigen Gastronomie? Seit zwanzig Jahren schuftet der gebürtige Schwabe im «Schäfli» im thurgauischen Wigoltingen zusammen mit dem Tamilen Simi in seiner kleinen, effizient eingerichteten Küche 16 Stunden am Tag – während ähnlich hoch kotierte Berufskollegen auf eine stattliche Brigade von bis zu 20 Köchen zurückgreifen, dem Gast vielleicht etwas mehr Spektakel und Überraschungseffekte bieten, ihn aber letztlich nicht zufriedener und beglückter wieder entlassen.
Denn perfekter als in diesen kleinen, heimeligen Biedermeierstuben kann man auch in den grossen Gourmettempeln nicht essen. Diese Erfahrung beginnt eines sonnigen Herbstmittags mit einem souveränen Amuse Bouche: eine kleine Lachsroulade auf Felchenkaviar und ein Radieschentürmchen mit geräuchertem Aal.
Was auf dem Menü lakonisch «Variation von Sankt-Jakobsmuschel» heisst, entpuppt sich dann als eine Folge von immer geschmacksintensiver werdenden Tapas um die Coquille St-Jacques: Tartar mit Schnittlauch auf Gurkenscheibchen und Vinaigrette, Carpaccio mit Sesam auf Ananas-Schalottenchutney, im Kartoffelmantel gebraten auf Ratatouille, und schliesslich als kräftiges Krustentiersüppchen. Die Variation eine Premiere auch für Wolfgang Kuchler, der sich von der Frische des am Morgen eingetroffenen Produktes zu einer Neukreation inspirieren liess.
Nach der griffig-schmelzenden Gänseleber, in Arma-gnac mariniert und zum einen auf Äpfel-Ingwer-Kompott, zum andern mit Madeira-Gelee serviert, folgt eine klare Taubenessenz. Kuchler verkocht da die Karkasse von 30 Tauben zu drei Litern Konzentrat. Den tiefen Geschmack will man noch Stunden danach mit der Zunge von den Lippen lecken.
Der Hauptgang ist ein Meisterwerk: Moorschneehuhnbrust und Rehrücken auf karamelisiertem Feigenrotkohl, Selleriepüree, Marronimousse und Sherry-Rahmsauce. In der Grouse-Brust scheint noch das Aroma des Heidekrauts ge- speichert, die Marronimousse und ein Schluck des Cims de Porrera aus dem spanischen Priorat entfalten dazu im Gaumen ein Feuerwerk.
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Auch zum Käse und zur gebrannten Lavendelcrème mit exotischem Früchtesorbet und Vanille-Olivenöl weiss der kluge Sommelier Christian Schäfer den passenden Wein zu reichen. Der junge Weinkenner ist in seinem Element, wenn ihm der – allerdings kostspielige – Auftrag erteilt wird, die einzelnen Gänge mit glasweise ausgeschenkten Weinen zu begleiten. Denn Schäfer kann bei Wolfgang Kuchler aus dem Vollen schöpfen – Kuchlers Weinkeller enthält alles von Rang und Namen, und das in gereiftem Zustand. Der schlaue Chef hat zur richtigen Zeit in die richtigen Weinwerte investiert und zieht jetzt daraus grosszügige Dividende.
Kuchlers Geheimnis liegt in der Qualität seiner Grundprodukte – der gross gewachsene Mann mit kantigem Haupt, sonorer Stimme und mächtigen Händen geht beim Einkauf keine Kompromisse ein –, in der Sorgfalt seiner Mise en place, in der Präzision und Disziplin des Kochhandwerks und der Fähigkeit, sich beim Kochen aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Die kleineren Strukturen helfen Wolfgang Kuchler, die Fixkosten tiefer zu halten; die Überschaubarkeit macht den Betrieb krisenresistenter.
Seine Name ist freilich mit jenen der grossen Schweizer 19-Punkte-Köche im selben Atemzug zu nennen, ja seine Leistung als Solitär verdient vielleicht gar noch mehr Respekt. Deshalb ist das kuchlersche Modell durchaus wegweisend, und er selber ein regelrechter Trendsetter.