Über 56 Millionen Mal sahen Youtube-Nutzer bislang ein Video des kanadischen Tech-Bloggers Lewis Hilsenteger, in dem er demonstriert, dass sich das Aluminiumgehäuse von Apples iPhone 6 Plus durch gezielten Druck verbiegen lässt.

Dass dünnes Leichtmetall unter punktuellem Druck zu Kaltverformung neigt, war auch vor Hilsentegers Biege-Test bekannt – dennoch geriet Apples Premium-Smartphone ob seiner Flexibilität unter dem Stichwort Bendgate bereits kurz nach dem Marktstart Ende September in die Kritik.

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Ohne grossen Krafteinsatz verbogen

Konkurrent Samsung veröffentlichte hämische Werbe-Banner in sozialen Netzwerken und US-Medien bestätigten, dass sich Testgeräte auch ohne Biegetests oder grossen Krafteinsatz im Alltagseinsatz verbogen hatten.

Doch Apple bog das Problem medial relativ geschickt ab – in einem Statement gegenüber der US-Techseite «The Verge» erklärte der Konzern, verbogene Geräte seien «extrem selten», in der ersten Woche nach Verkaufsstart hätten sich lediglich neun Kunden über verzogene iPhone-Gehäuse beschwert.

Parallel veröffentlichte die amerikanische Warentest-Organisation Consumer Reports einen Testbericht, wonach die iPhone 6 und 6 Plus unter Krafteinwirkung nicht schneller verbiegen als Konkurrenz-Geräte. Die Medienberichte über die verbogenen iPhone 6 verstummten daraufhin schnell.

Praxistest in der Hosentasche

In einem aktuellen Versuch nahm sich die deutsche «Stiftung Warentest« des Themas noch einmal an, und testete gezielt, welche Belastungen auf ein grosses Smartphone im Alltagseinsatz in der Hosentasche einwirken. Das Ergebnis der Tester: «Der Praxistest in der Hosentasche unterstreicht: Man muss ein Smartphone wohl schon ziemlich misshandeln, um es im Alltag zu beschädigen.»

Lediglich wer die Geräte in der hinteren Hosentasche trägt, sollte aufpassen: Wer sich unsanft hinsetzt oder an Stuhlrahmen anstösst, kann sein Edel-Smartphone verbiegen. Im Test waren nach bewusst harter Belastung sowohl beide neuen iPhones als auch ein Vergleichsgerät von Sony verbogen.

«Unter extremen Bedingungen ist es möglich»

Das Fazit: «Unter extremen Bedingungen ist es tatsächlich möglich, ein Handy in der Gesässtasche zu verbiegen. Wer die Angewohnheit hat, sein Handy in der hinteren Hosentasche mitzuführen, sollte es also besser herausnehmen, bevor er sich hinsetzt«, fanden die Tester. In einem Biegetest in einer Test-Maschine lagen beide iPhones im Test-Mittelfeld.

Apple ist also von der «Stiftung Warentest» vom Pfusch-Vorwurf entlastet – doch wer aktuell in sozialen Netzwerken nach dem Stichwort Bendgate sucht, findet in den vergangenen Tagen Beiträge von Dutzenden verärgerten Kunden, die entdecken mussten, dass ihr mindestens 700 Euro teures Smartphone die Kurve gemacht hat.

Pro Woche 100 verbogene Telefone

Auf der nach der Apple-Mitteilung ironisch benannten Webseite oneofthenine.com sammeln Apples Kritiker aktuell Hunderte Fotos von verbogenen iPhone 6, aktuell steht der Zähler bei Nummer 472 – pro Woche kommen etwa 100 Telefone dazu.

Bemerkenswert dabei: Nicht nur das grössere iPhone 6 Plus scheint betroffen, auch das kleinere iPhone 6 mit 4,7-Zoll-Bildschirm taucht in der Fotogalerie der Missgeschicke auf. Da der Neuigkeitswert eines verbogenen iPhone 6 mittlerweile gegen Null tendiert, ist nicht anzunehmen, dass alle 472 betroffenen Nutzer ihr Edelgerät im Biegetest extra verbogen haben.

 

Geht man davon aus, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen das Problem erstens bemerkt und es zweitens auf der Seite veröffentlicht haben, dann sind vermutlich zwei Monate nach Markteinführung mehrere tausend Geräte nicht mehr ganz gerade unterwegs – angesichts einer Stückzahl von laut Analysten-Schätzungen mindestens 20 Millionen ausgelieferter iPhones ein sehr geringer Anteil.

Unverstärkte Stelle am Gerät

Würde das iPhone 6 im Alltag wirklich leicht verbiegen, wäre der Aufschrei grösser. Doch dass es sich unter bestimmten Umständen leichter verbiegt als seine Vorgänger, ist unbestritten. Wie genau das passieren kann, ist unklar. Betroffene Nutzer wie der Journalist Stefan Laurin geben an, ihr Gerät genauso eingesetzt zu haben wie alle Geräte davor – doch das führt augenscheinlich im Alltagseinsatz leichter zu krummen Smartphones als noch bei der Vorgängergeneration mit dickerem Gehäuse.

Apple selbst gibt an, dass das Gehäuse unter anderem durch den Einsatz von Titan-Einsätzen verstärkt ist – doch in den Fotos eines auseinandergebauten iPhone 6 zeigt sich: Die auf den oneofthenine.com-Fotos häufig verbogene Stelle unterhalb der Lautstärketasten ist unverstärkt.

Fraglich ist nun, wie die wenigen betroffenen Nutzer reagieren können: Apple selbst prüft eingereichte Geräte in den Läden auf mutwillige Beschädigung oder unverhältnismässige Belastung. In einer von oneofthenine.com geführten Liste zeigt sich: Manchmal bekommen betroffene Nutzer ein neues Gerät kostenfrei.

319 Euro Gebühr für den Umtausch

Manchmal aber verlangt Apple – etwa im Store in Sindelfingen, wie von der Techseite Mobilegeeks veröffentlicht, 319 Euro Pauschalgebühr für den Austausch.

Ein herber Schlag für Nutzer, die das teure Gerät gerade erst neu erworben haben. Wie genau Apple prüft, ob das Gerät durch einen Mangel oder aber durch übermässige punktuelle Krafteinwirkung – also etwa einen Biegetest – verformt wurde, ist unklar. Auf Anfrage der «Welt« verwies Apple auf eine Einzelfallprüfung in den Läden und auf das Statement gegenüber The Verge – mehr will der Konzern zu Bendgate aktuell nicht sagen.

Wer das Gerät per Vertrag bei einem Mobilfunkbetreiber erworben hat, kann sich jedoch auch direkt an den Verkäufer wenden – darauf weist der Aachener Anwalt Jens Ferner in einem Kurzgutachten auf seinem Blog hin. Er sieht im Falle der verbogenen iPhones eventuell einen Fall von Gewährleistung, da ein Sachmangel schon ab Werk vorliegen könnte, wenn sich die Geräte im normalen Gebrauch verbiegen.

Smartphone nicht nur im Schaukasten

Ferner kommentiert: «Ein Mobiltelefon ist beides, 'mobil' und 'Telefon'. Dass man es transportiert, mitführt und unterwegs nutzt – und es hierdurch keinen Schaden nimmt – ist Teil des Produktes. Ebenso, wie es gewöhnliche Verwendung ist, sein Smartphone in der Hosentasche zu transportieren und eben nicht in einem gesondert geschützten Behältnis oder nur in einem Schaukasten.»

Dass jedoch sehen nicht alle so. Auf Anfrage der Welt gab ein Vodafone-Sprecher die Auskunft, Vodafone verweise betroffene iPhone 6-Nutzer an Apple: «Der Hersteller wird im Zuge seiner 12-monatigen Garantie-Verpflichtungen einen Austausch/eine Reparatur prüfen. Eine Mängelhaftung des Verkäufers sehen wir nicht als gegeben an, da eine mangelfreie Ware verkauft wurde und das Verbiegen des Gerätes nur mit grossem Aufwand möglich ist.»

Ersatzgerät in Rechnung gestellt

Die Telekom wiederum stellt ihren Kunden bei Bedarf erst mal ein Ersatzgerät zur Verfügung, dann aber kommt ebenfalls Apple ins Spiel: «Die Prüfung, ob ein Gewährleistungsfall vorliegt, nehmen wir gemeinsam mit Apple vor. Wenn es kein Gewährleistungsfall ist, wird zurückgetauscht, oder das Tauschgerät berechnet», sagte eine Telekom-Sprecherin auf Anfrage der «Welt».

Ob die Nutzer sich im Falle einer Ablehnung ihres Anspruches mit Apples Verdikt zufrieden geben müssen oder sich zur Gewährleistungsregulierung direkt am Verkäufer schadlos halten können, kann nur ein Gerichtsurteil klären, kommentiert Anwalt Ferner im Gespräch mit der «Welt: «Im Streitfalle würde wohl erst ein Sachverständigengutachten Klarheit bringen.» Das aber kostet im Zweifelsfalle mehr als Apples Servicegebühr.