Den Banken geht es an den Kragen. Angreifer sind für einmal keine Behörden, die Milliardenbussen aussprechen. Es sind Start-ups aus der Finanzbranche, die gekommen sind, um vom Kuchen der Grossen zu naschen. Ihre Heimat ist das Silicon Valley in den USA oder das pulsierende Tel Aviv. Auch in der Schweiz tut sich viel. Die Jungfirmen entwickeln neue Ansätze für die Vermögensverwaltung oder das Kreditgeschäft und legen damit den Grundstein für ein neues Banking.
Für die Kunden bringt das fundamentale Veränderungen. Die offensichtlichste Revolution ist der Weg in die Zukunft ohne Bargeld und Plastikkarten. Der Tausendsassa in der Hosentasche – das Smartphone – wird zum Portemonnaie.
Schweizer Streit um Mobile Pay
Verschiedene Anbieter buhlen mit mobilen Zahlungslösungen um die Gunst der Kunden. Seitdem der US-Konzern Apple seine Pläne für Apple Pay vorgestellt hat, ist das Thema in aller Munde. Google will ebenfalls nachlegen. Mit an Bord sind bei den US-Giganten kleine innovative Tech-Start-ups. In der Schweiz lancierte die Swisscom zusammen mit Salt und Sunrise die Handy-Zahlungslösung Tapit. Die Postfinance zieht im Sommer mit einer Beta-Version seiner App Twint nach. Seit längerem auf dem Markt ist Mobino, eine App des Schweizer Internetpioniers Jean-François Groff.
Das Zahlungsverhalten der Kunden ändert sich nur zögerlich. Ein Grossteil der Transaktionen in der Schweiz wird noch immer mit Bargeld durchgeführt, die Umsätze mit Tapit, Twint und Co. sind heute noch bescheiden.
E-Franken mit Vorteilen
Sicher ist aber: In Zukunft werden wir anders bezahlen. Denn digitales Geld hat gegenüber Bargeld klare Vorteile. Bargeld ist für Konsumenten und Unternehmen teuer: Scheine müssen gebündelt, Münzen gezählt, das Geld aufbewahrt, eingeschlossen und anschliessend zur Bank gefahren werden. Daneben fällt das Karten- und Münz-Wirrwarr im Portemonnaie weg. Und beim Verlust des Mobiltelefons kann das verlorene Guthaben auf das neue Gerät transferiert werden.
Daneben werden Smartphones in Zukunft auch für Zahlungen von Privatpersonen untereinander genutzt (P2P). In Dänemark lancierte die Danske Bank vor gut anderthalb Jahren eine entsprechende App, die binnen kurzer Zeit weite Verbreitung und Nutzung fand. Fast jeder dritte der rund 5,6 Millionen Dänen hat die Anwendung inzwischen auf seinem Smartphone installiert.
Erfolg aus Dänemark kopieren
In der Schweiz stehen mehrere Anbieter in den Startlöchern und hoffen auf einen ähnlich durchschlagenden Erfolg. Die UBS hat zusammen mit der Zürcher Kantonalbank und der Börsenbetreiberin Six die Geldtransfer-App Paymit entwickelt, die gestern offiziell vorgestellt wurde. «Die Anwendung soll einen viralen Effekt haben und dazu beitragen, dass im Alltag weniger Bargeld gebraucht wird», sagte der Digitalchef der UBS vor einigen Wochen im Gespräch.
Mit Paymit können Privatpersonen sich gegenseitig Geld per Smartphone überweisen und anfordern. Damit kann beispielsweise der Teilbetrag für ein gemeinsames Mittagessen, das einer für alle bezahlt hat, an den Kollegen überwiesen werden. Das Geld geht direkt von Bankkonto zu Bankkonto. Auch die Migros arbeitet an einer solchen Lösung. Kunden der Migros Bank können heute schon untereinander Geld versenden.
Migros springt auf Digital-Zug
«In den kommenden Monaten», so Pressesprecher Urs Aeberli, «wird die Migros Bank ihre P2P-Lösung ausweiten, so dass keiner der Transaktionspartner mehr Kunde der Migros Bank sein muss». Das Angebot der Migros soll auch zum Zahlen an der Kasse verwendet werden. Der Detailhändler arbeitet an einer digitalen Brieftasche für den Gesamtkonzern. Der Bezahlvorgang an der Migros-Kasse dürfte ähnlich ablaufen wie bei der Verwendung von Migros-Wertkarten, die bereits jetzt in die hauseigene App eingebaut sind.
Der Kreditkartendienst Visa rechnet damit, dass bis 2020 rund 60 Prozent aller Visa-Transaktionen in Europa über mobile Endgeräte wie Tablets und Smartphones erfolgen werden. «2015 wird das Jahr des mobilen Bezahlens», sagte der bei Visa Europe zuständige Manager Volker Koppe in dieser Woche in einem Interview.
Revolution im Kreditwesen
Nicht nur das Bargeld wird immer unwichtiger. Ein grosser Wandel zeichnet sich auch im Kreditwesen ab: Elektronische Marktplätze etablieren sich zusehends und haben das Potenzial, den Banken das lukrative Geschäft mit Hypotheken und Krediten zu vermiesen.
In der Schweiz wurden im vergangenen Jahr 15,8 Millionen Franken durch Crowdfunding vermittelt, wie eine Untersuchung der Hochschule Luzern und des Telekomkonzerns Swisscom zeigt. Das sind fast 4 Millionen mehr als im Vorjahr. Das Wachstum ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der sogenannte Bereich Crowdlending massiv zulegte. Crowdlending bezeichnet über das Internet vermittelte Kredite, die von Privatpersonen an andere Privatpersonen oder Firmen vergeben werden.
Kreditgeber fordern Transparenz
Firmen wie die Schweizer Creditgate24 wollen auf diesen Zug aufspringen. Gelingt es den neuen Akteuren, Vertrauen aufzubauen, werden sie zunehmend Kundengelder anziehen können. Für diese Entwicklung spricht, dass die Leute selbst entscheiden können, wem sie ihr Geld leihen.
«Wenn Kunden in Echtzeit ihre Postpakete verfolgen können, möchten sie auch sehen, was mit ihrem Geld geschieht», heisst es in einer Studie der Beratungsfirma EY und der Universität St. Gallen. Ein grosses Misstrauen seitens der Bankkunden sowie der Glaube an die falschen ethischen Absichten der Finanzinstitute förderten das Gelingen dieser neugestalteten Form der Kreditvergabe, schreiben die Studienautoren weiter.
Verlust der Schnittstelle zum Kunden
Unterm Strich führt die fortschreitende Digitalisierung sodann zum grundlegenden Wandel der Kundenbeziehung. Informationen werden nur noch einen Klick entfernt sein: Wer mittels einer App herausfinden kann, dass er mit einer Hypothek einer anderen Bank einen fünfstelligen Betrag einsparen kann, wird auf Kundenloyalität pfeifen. Denkbar ist auch, dass bald automatisiert die Preise für bestimmte Dienstleistungen verglichen werden. Oder die Kundenzufriedenheit – ähnlich wie bei Expedia. Oder die Kapitalausstattung – und damit das Ausfallrisiko einer Bank.
Das alles führt dazu, dass auch die Bankbeziehung der Kunden sich fast vollständig ins Internet verlagern wird. Beratungsgespräche werden bald über Videotelefonie abgewickelt werden – festgelegte Öffnungszeiten für Bankfilialen sind dann Geschichte. Zu beobachten sind die Auswirkungen des disruptiven Wandels bereits heute: Alle grossen Schweizer Banken – ob ZKB, UBS oder Credit Suisse – dünnen ihr Filialnetz kräftig aus oder schliessen Standorte.