Lars Godell fand in seinem Newsletter deutliche Worte: «Stoppen Sie den Übernahmewahnsinn!», rief der Forrester-Analyst den Chefs der Telekomunternehmen Mitte Dezember zu. Kein Wunder, denn in der entfesselten Branche war 2005 das Jahr mit den meisten Übernahmen seit dem Platzen der ersten Telekomblase 2001. Allein in Westeuropa wurden Akquisitionen für 100 Milliarden Euro getätigt. France Télécom kaufte die spanische Amena, die spanische Telefónica dafür die tschechische Cesky Telekom und – als Paukenschlag zum Jahresende – auch noch den Mobilfunkbetreiber O2.

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Der Telekommarkt in Europa wird neu aufgeteilt. Die Swisscom, eigentlich reich an flüssigen Mitteln und entsprechend kaufkräftig, schaut dabei zu. Sie hätte auch gerne die Cesky Telecom ersteigert, bot aber weniger als Telefónica. Als sie die irische Eircom übernehmen wollte, griff unerwartet und in letzter Minute der Bundesrat ein und verbot Swisscom-Chef Jens Alder den Kauf ausländischer Unternehmen mit Grundversorgungsauftrag. Seither tobt die Diskussion: Ist das Verbot richtig? Welche Chancen hat die kleine Swisscom noch gegen die internationale Konkurrenz? Soll das Unternehmen privatisiert werden? Und was passiert dann mit dem Service public?

Dabei sind diese Fragen rasch zu beantworten. Ein Blick über die Grenzen zeigt: In der europäischen Telekomszene haben etliche Wettbewerber mit den gleichen Problemen ausreichend Erfahrungen gesammelt.

Seit dem Startschuss zu Liberalisierung und Privatisierung haben sich die meisten Regierungen mehrheitlich oder ganz von ihren Telekombeteiligungen getrennt. Seither suchen fast alle Carrier ihr Glück im Ausland. Ausser der Swisscom beschränken sich heute nur wenige Incumbents, wie die Exmonopolisten genannt werden, auf den Heimmarkt: die russische Rostelecom, Belgacom und die irische Eircom – wobei die beiden Letztgenannten derzeit explizit das Zusammengehen mit einem starken internationalen Partner suchen.

Dabei hatte auch die Swisscom 1996/ 1997, damals noch als PTT, auf Wachstum im Ausland gesetzt und sich in Malaysia, Indien, Tschechien und Ungarn beteiligt. Jener Christoph Blocher, der heute als Bundesrat die Swisscom zurückbindet, hatte bereits damals die Expansion lauthals gegeisselt und einen Übungsabbruch gefordert. Mit Erfolg: Nach ein paar verlustreichen Jahren trennte man sich mit grossen Abschreibern von diesen Auslandstöchtern – just bevor sie zu boomen begannen.

Wie man es besser macht, zeigt Telenor. Der norwegische Exmonopolist hat einen deutlich kleineren Heimmarkt als Swisscom, dafür aber mehr Mut und einen längeren Atem: Telenor beteiligte sich um die Jahrtausendwende an Mobilfunkunternehmen in Russland, Malaysia und Thailand; später kamen weitere Emerging Markets hinzu. Synergien mit dem Heimmarkt gibt es zwar keine, aber Telenor stellte für jeden Auslandsmarkt ein fähiges Management ab und brachte die akquirierten Töchter auf Vordermann. Ausser in Asien ist Telenor heute in acht europäischen Ländern aktiv, grösser als die Swisscom und vor allem mit deutlich besseren Zukunftsaussichten. Ein Beispiel für eine besonders gelungene Privatisierung? Mitnichten – Telenor befindet sich nicht anders als die Swisscom mehrheitlich in Staatsbesitz. Und auch Telekom Austria mit ihren Mobilfunktöchtern in Kroatien, Slowenien und Bulgarien zeigt: Eine internationale Expansion ist für eine staatliche Telco möglich, wenn der Staat Vertrauen hat in das Management.

Fazit 1: Für eine erfolgreiche Auslandexpansion spielt es keine Rolle, ob ein Telekomunternehmen privatisiert ist.

Die Fusionswelle hat dabei längst auch Incumbents mit Grundversorgungsauftrag erfasst: Die ungarische Magyar Telecom wird von France Télécom kontrolliert, ebenso die polnische TPSA. Cesky Telecom, für die auch die Swisscom geboten hatte, wurde soeben von der spanischen Telefónica übernommen. Im Falle von Telia und Sonera haben die Incumbents Schwedens und Finnlands fusioniert. Ob sich dadurch nennenswerte Synergieeffekte heben lassen, ist umstritten. Klar ist aber: Politische Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Staaten ob der Gewährleistung des Service public – also jenes Argument, mit dem der Bundesrat der Swisscom die Übernahme ausländischer Grundversorger untersagt – gab es in keinem einzigen dieser Fälle.

Fazit 2: Das Argument des Bundesrates, die Swisscom dürfe aus politischen Gründen kein Unternehmen mit Grundversorgungsauftrag kaufen, ist falsch.

Auffallend ist, dass kein Carrier, der sich auf Expansionstour begeben hat, heute schlechter dasteht als zuvor. Alle haben sie an Umsatz und Marktkapitalisierung zugelegt, bei der Anzahl Mitarbeiter überwiegen je nach Unternehmen Rationalisierungseffekte oder externes Wachstum. Die Auslandsexpansion bereut hat also kein Unternehmen – vielleicht mit einer einzigen Ausnahme: British Telecom (BT) hatte für ihre teuren Einkaufstouren zu wenig Substanz und vor allem für die UMTS-Lizenzen in Deutschland und England zu viel Geld ausgegeben. Die Folge: Überschuldung, drastische Sparmassnahmen, massiver Stellenabbau und der Verkauf grosser Teile des Geschäftes. Heute ist BT zwar kleiner, dafür klar fokussiert und auch finanziell wieder auf soliden Beinen. Und für die Aktionäre ist die Rechnung trotz den Turbulenzen aufgegangen: Die Mobilfunktochter O2, die BT im Jahr 2001 an die Börse gebracht hatte, um aus dem Erlös ihre Schulden zu reduzieren, wird soeben von der spanischen Telefónica für stolze 26 Milliarden Euro gekauft.

Trotz allen Auslandsexpansionen ist bei den Telcos nach wie vor der Heimmarkt der wichtigste Umsatztreiber. Nicht erstaunlich also, dass die Incumbents aus Deutschland, England, Frankreich und Spanien an der Spitze der Umsatztabelle stehen. Relativ am stärksten gewachsen sind jedoch kleine Herausforderer, die den Mut zur Expansion hatten, etwa die bereits genannten Telenor und Telekom Austria. Die griechische, einst staatliche OTE hat sich in Südosteuropa zum Powerhaus entwickelt: Sie hat die Incumbents in Rumänien und Armenien übernommen und sich in Albanien, Bulgarien und Mazedonien an schnell wachsenden Mobilfunk-Operators beteiligt. Auch TDC (ehemals Tele Danmark) ist ein gutes Beispiel: Der dänische Heimmarkt ist mit 5,4 Millionen Einwohnern kleiner und weniger zahlungskräftig als jener der Swisscom. Entsprechend hatte TDC seit der Privatisierung 1994 für eine Auslandsexpansion nur beschränkte Mittel. Aber das Unternehmen setzte sie überlegt ein, expandierte Schritt für Schritt, meistens in kleinere Länder, und übernahm dort junge, hungrige Herausforderer – in der Schweiz etwa Sunrise. Heute ist das Unternehmen in zwölf europäischen Ländern aktiv, profitabel und hat eine gute Substanz. Das weckt Appetit: Gerade ist ein Private-Equity-Konsortium dabei, TDC für 16 Milliarden Franken zu übernehmen.

Die grösste Erfolgsgeschichte schrieb jedoch zweifellos Vodafone: Noch im Jahr 1999 war das Unternehmen gerade mal zwei Drittel so gross wie die Swisscom. Aber es konzentrierte sich ausschliesslich auf den wachstumsträchtigen Mobilfunkmarkt. Der damalige CEO Chris Gent startete eine beispiellose Übernahmeserie, die in der gewonnenen Übernahmeschlacht um Mannesmann gipfelte und das Unternehmen innert kürzester Zeit zum grössten Mobilfunkbetreiber der Welt werden liess. Weil Vodafone – anders als die meisten Konkurrenten – die Akquisitionen konsequent in eigenen Aktien bezahlte, überstand es auch den Telekomcrash im Jahr 2001 weitgehend unbeschädigt. Bis heute ist Vodafone das wertvollste aller Telekomunternehmen und der Beweis, dass in dieser Industrie auch ein kleiner Operator innerhalb kurzer Zeit zum Giganten werden kann, wenn er auf die richtige Technologie setzt.

Fazit 3: Für eine erfolgreiche Auslandsexpansion spielt die Grösse eines
Telekomunternehmens keine Rolle.

Was aber ist in diesem entfesselten Markt mit der Grundversorgung, dem viel zitierten Service public, passiert? Die OECD liefert hier interessante Zahlen: Die Ab-deckung mit Festnetzanschlüssen liegt in jedem Land Europas bei fast 100 Prozent der Bevölkerung, egal, wann dort der Telekommarkt liberalisiert wurde, und egal, ob der nationale Carrier privatisiert ist. «Es gibt keinen einzigen Fall in Europa, wo die Grundversorgung nach der Privatisierung nicht mehr gewährleistet wäre», sagt Marc Furrer, Präsident der Kommunikationskommission Comcom.

Ebenso aufschlussreich die Versorgung mit Breitbanddiensten: In Grossbritannien liegt die Abdeckung mit DSL-Anschlüssen bei 95 Prozent, in Irland nur bei 74 Prozent. Und dies, obwohl in Grossbritannien der Markt schon 1984 praktisch vollständig liberalisiert und der staatliche Carrier BT privatisiert wurde, während dies in Irland erst 1996 geschah. In den USA liegt die Abdeckung mit DSL-Breitbandanschlüssen bei 84 Prozent, obwohl sich hier die Telekomgesellschaften nie in staatlicher Hand befunden haben und obwohl es hier nie eine Gesetzesgrundlage für die Grundversorgung gab. Die Schweiz und Belgien, wo die nationalen Carrier noch in Staatsbesitz sind, bieten mit 98 Prozent die höchste Abdeckung Europas, Norwegen hingegen, wo der Carrier ebenfalls vom Staat kontrolliert wird, mit 77 Prozent eine der geringsten. Doch alle europäischen Länder bieten DSL-Verbindungen in mindestens drei Vierteln der Haushalte. Sie stellen diese Versorgung über eine entsprechende Gesetzgebung sicher. Einen Zusammenhang mit dem Staatsbesitz gibt es nicht.

Fazit 4: Für die Aufrechterhaltung des Service public spielt es keine Rolle, ob die Swisscom privatisiert wird oder nicht.

Die Grundversorgung ist per se ja auch nicht unattraktiv: Schliesslich bekommt der dienstleistende Carrier dafür eine garantierte Grundgebühr, im Falle der Swisscom 25.25 Franken pro Anschluss und Monat. Es ist die Aufgabe des Regulators, diese Monopolrente so anzusetzen, dass der Service public finanziell attraktiv bleibt. Wie es geht, zeigen Spanien und Grossbritannien, wo bereits in gewissen Gebieten die Grundversorgung nicht vom ehemaligen Staatsunternehmen erbracht wird, sondern von alternativen Carriern.

Die Liberalisierung hat den Ballungszentren genützt und den Randregionen nicht geschadet: «Früher hat man wegen des Grundversorgungsauftrags neue Dienste meist erst dann eingeführt, wenn dies auch im abgelegensten Tal möglich war. Heute kommen neue Dienste viel schneller auf den Markt, weil man sie nicht gleich flächendeckend einführen muss», sagt Jörg Halter von der Telekomberatung Ocha. Die jeweils neueste und beste Technologie werden die Randregionen nicht bekommen – schliesslich führt auch keine Autobahn ins Lötschental. Aber die Vorstellung, dass die Schweizer Bergtäler entvölkert werden, wenn die Swisscom sich nicht mehr im Staatsbesitz befindet, ist absurd.

Wie also sieht die Zukunft der Swisscom aus? Für eine rasche Privatisierung spricht der Interessenkonflikt zwischen dem Staat als Regulator einerseits und dem Staat als Mehrheitsaktionär andererseits. Das Management hätte mehr unternehmerische Freiheiten, die Publikumsaktionäre endlich tatsächlich etwas zu sagen. Und es ist nicht die Aufgabe des Staates, ein Unternehmen zu führen, wenn dies auch privat möglich wäre. Was gegen eine Privatisierung spricht? Bei Lichte betrachtet gar nichts – ausser der Tatsache vielleicht, dass die Swisscom dann vermutlich relativ rasch von einem ausländischen Konkurrenten übernommen würde. Bedauern würden das freilich nur Lokalpatrioten: Ein starker Eigner wäre gut für Swisscom – wie in der Luftfahrt das Beispiel Swiss zeigt. Für den Kunden machen die Besitzverhältnisse sowieso keinen Unterschied, und ein weiterer Stellenabbau ist ohnedies unvermeidbar.

Fazit 5: Es gibt keinen Grund, die Swisscom weiterhin in Staatsbesitz zu belassen.

Der Heimmarkt wird für die Swisscom auch in Zukunft schrumpfen: Im Festnetz wandern die Kunden zur Konkurrenz ab, der Mobilfunkmarkt ist annähernd gesättigt, und die Preise sinken. Jahr für Jahr dürfte Jens Alder bis zu einer Milliarde Franken Umsatz verlieren, was nur teilweise durch neue Geschäftsfelder kompensierbar sein werde, schätzt Ocha-Mann Halter. Mit entsprechenden Folgen für Gewinn, Aktienkurs und Dividende. Um diesen Umsatzverlust wieder aufzuholen, muss Alder also neue Wachstumsgebiete erschliessen. Vier Szenarien sind grundsätzlich denkbar:

– Erstens die Übernahme eines anderen Incumbent mit Grundversorgungsauftrag, so wie dies Alder mit Telekom Austria, Cesky Telecom oder Eircom versucht hat. Nach dem Bundesratsbeschluss ist diese Option verwehrt. Sie wäre auch nicht sinnvoll gewesen: Die attraktiven Kandidaten sind längst geschluckt. Zudem bestehen – siehe oben – grundsätzlich Zweifel am Sinn solcher Zusammenschlüsse.

– Zweitens die Übernahme eines Mobilfunk-Operators in Wachstumsgebieten – jene Strategie, die Telenor oder Telekom Austria seit Jahren verfolgen. Auch hier ist der Zug aber längst abgefahren.

– Drittens die Wette auf neue Technologien. Kaum eine andere Branche profitiert so von der technologischen Entwicklung wie die Telekom, kaum eine andere Branche sieht deswegen alle paar Jahre so grundlegend anders aus. Wer die Chancen richtig erkennt und nutzt, kann in kurzer Zeit viel Boden gutmachen – siehe das Beispiel Vodafone. Die Swisscom hat technologisch einen sehr guten Track Record: Bei der Entwicklung des GSM-Standards hatte sie eine wichtige Rolle eingenommen; die Prepaid-Karte, heute weltweit die meistverbreitete Zahlungsart für Mobiltelefonie, ist eine Swisscom-Erfindung; das Potenzial des drahtlosen Internetzugangs WiFi erkannten die Berner in Europa als Erste. Und gerade wieder erschüttert ein technologischer Paradigmenwechsel die Branche: Voice over IP (VoIP), die Telefonie mittels Internetprotokoll. Weitere Technologien am Horizont sind das digitale terrestrische Fernsehen DVB-H sowie RFID, der Datenaustausch via Funketiketten. In beiden Gebieten hat die Swisscom Pilotprojekte laufen und ist der Konkurrenz zum Teil deutlich voraus.

– Viertens der Vorstoss in benachbarte Geschäftsbereiche. Bereits versucht die Swisscom, sich den Markt für digitales Fernsehen zu erschliessen, und hat deswegen das Filmvermarktungsunternehmen Cinecom gekauft. Doch dabei handelt es sich um eine Abwehrmassnahme gegen den Kabelanbieter Cablecom, der immer mehr auf das Swisscom-Gebiet vorstösst. Zudem sind die Margen für den Transport dieses Content niedrig.

Ein Vorbild könnte hingegen NTT Docomo sein: Der Mobilfunk-Operator übernahm letzten April für 1,1 Milliarden Franken 34 Prozent eines grossen japanischen Kreditkartenunternehmens. Seither dient das Docomo-Handy mit einem eingebauten RFID-Chip als Zahlungsmittel, das Inkasso erfolgt über die Telefonrechnung. Nicht nur das: Seit diesem Monat können Pendler in Tokio ihr Mobiltelefon über einen Sensor am Drehkreuz schwenken, um Zugang zur U-Bahn zu bekommen. Die Swisscom experimentiert in eine ähnliche Richtung und beamt SBB-Tickets als MMS auf das Handy.

Die kleine Swisscom hat also durchaus Chancen, im Konzert der Grossen zu bestehen – zumal sie, bis die Privatisierung durch ist, einen faktischen Übernahmeschutz geniesst. «Es ist noch nicht zu spät, sie muss es nur smart und anders machen», sagt Jürg Schmidt, Telekomexperte bei der Strategieberatung Monitor. Und sie muss endlich den Mut beweisen, die erarbeiteten Milliardengewinne in neue Geschäftsfelder zu stecken, statt das Schicksal zu beklagen und das Geld den Aktionären zurückzuzahlen. Denn an Mut und einer unternehmerischen Vision mangelte es dem Management unter Jens Alder und VR-Präsident Markus Rauh in den letzten Jahren am meisten.

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