Mir fällt auf: Ich habe lange nichts mehr über kostspielige Rotweine aus dem Bordelais oder Saint Emilion geschrieben. Dabei sind diese Langläufer auf der Zeitachse ein besonderer Lustgewinn. Und die durch USA-Kunden und Asiaten in den vergangenen Jahren oft sehr überteuerten Aristokraten werden mit dem kommenden Jahrgang 2008 wieder erheblich preiswerter. Der Weinfreund mit normalem Geldbeutel mag auch diese streckenweise um 50% gefallenen Preise als teuer genug ansehen, aber im Zeichen der Weltwirtschaftskrise ist die gegenwärtige Preisentwicklung der Bordeaux-Weine nahezu unerhört.
Bei den Superstars wie Château Latour kostet die Flasche in der Subskription (en primeur) derzeit statt 200 Euro im Jahre 2007 nur noch aktuell 110 Euro. Beim Château Mouton sind es statt 200 Euro plötzlich neuerdings 100 Euro. Ausgeliefert werden die Weine des Jahrgangs 2008 ohnehin erst in anderthalb Jahren.
Deshalb beschäftigen wir uns heute mit einem Bordeaux, den man kaufen und demnächst auch trinken kann, dem Château Haut-Bailly aus dem Jahrgang 2003.
Dieses Château aus dem Anbaugebiet Pessac-Léognan ist ein Grand Cru, rangiert qualitativ nur knapp unter Weinen wie Mouton, und es ist viel preiswerter. Ebenfalls interessant: Die Weine werden mit harter Hand von Véronique Saunders, einer charmanten Frau, gemacht. In den 1920er-Jahren bezahlte man übrigens für einen Haut-Bailly mehr als für einen Mouton.
Nicht mehr lange ein Macho
Der Jahrgang 2003 besteht zu 65% aus Cabernet Sauvignon und zu 35% aus Merlot. Es ist derzeit noch ein harter Macho, dessen Aromenspektrum Kaffee, Leder, Holunder und Schlehe aufweist. Röstaromen künden vom ausgiebigen Umgang mit frischen Barrique-Fässern auf Haut-Bailly. Wer den 2003er jetzt trinken will, der sollte ihn in der Karaffe etwa fünf, sechs Stunden im kühlen Raum dekantieren.
Richtig geöffnet sind Bordeaux-Weine gewöhnlich erst sechs Jahre nach der Füllung. Ein Top-Wein wie Haut-Bailly braucht in manchen Jahrgängen noch wesentlich länger. Meine Haut-Baillys aus dem Jahrgang 2002 sind geschmacklich noch völlig verschlossen und müssen sich noch entwickeln.
Immer auch ein nettes Geschenk
Das Schöne: Auch den 2003er können Sie - im kalten, dunklen Keller gelagert - noch in 20 Jahren so richtig geniessen. Er entwickelt sich immer weiter und zeigt dabei auch immer neue Seiten. Ich verschenke zum Beispiel Weine wie diesen als Jahrgang für Geburten oder Hochzeiten. Da kann man wenigstens sicher sein, dass das Geschenk zum 18. Geburtstag oder zum 20. Hochzeitstag richtig mundet.
NACHGEFRAGT Comte stephan von neipperg, «Les 5», Saint Emilion
«Zurück zur Natur ist Trend»
Stimmt, die Bordeaux-Preise sind zum Teil tiefer als in den Vorjahren und sie werden auch weiter nach unten korrigiert. Doch von ihrer Bedeutung haben die renommierten Châteaux nichts verloren. Und es gibt Weingüter, die spüren nichts von der aktuellen Nachfragekrise. Unter dem Label «Les 5» arbeiten mit dem Château Pontet-Canet, dem Châteaux Branaire, dem Châteaux Smith Haut Lafitte, dem Château Gazin und dem Château Canon la Gaffelière fünf traditionsreiche, hoch dotierte Produzenten zusammen. Sie tun dies unter der Leitung von Comte Stephan von Neipperg vom Château Canon La Gaffelière in Saint Emilion.
Was war für Sie der Beweggrund für diese enge Zusammenarbeit?
Comte Stephan von Neipperg: Als wir uns 1993 lose zusammenschlossen, bestand ein grosser Preis- und Qualitätsunterschied zu den klassischen zweiten Crus in Bordeaux. Unsere Betriebe waren gerade neu übernommen worden, entweder durch Aufkauf oder durch die Übernahme einer jungen Generation. Alle mussten wir uns neu am Markt orientieren, wir mussten unseren Konsumenten die neuen Qualitäten näher bringen und ihnen verständlich machen, warum sich auf der anderen Seite unsere Preisstruktur geändert hat. Heute sehen wir, dass unsere Arbeit sehr erfolgreich war, da unsere Châteaux heute sicher - in Bezug auf Qualität und Bekanntheitsgrad - zu den besten zählen.
Handelt es sich bei den «Les 5» im Wesentlichen um eine Marketingorganisation oder geht diese Zusammenarbeit weiter, beispielsweise so weit, dass man sich auch über die Ausrichtung der eigenen Weine abspricht? Und hilft man sich auch technisch aus?
Von Neipperg: Wir beschränken uns eher auf eine Marketingzusammenarbeit, da jeder Betrieb eine sehr eigene technische Qualitätsausrichtung hat. Natürlich findet ein loser Austausch statt, da alle unsere Betriebe mehr und mehr in Richtung Bio oder Biodynamik gehen. Für alle ist klar, dass nur eine lebendige Natur und ein lebender Boden dem Wein die ganz grosse Komplexität bringen können. Das heisst: Weg vom Kunstdünger, weg von den gefährlichen Spritzmitteln und Herbiziden. Die Grösse unserer Weine liegt in der Biodiversität. Die wird nur erreicht, wenn man seine Böden versteht und sie lebendig erhält.
Bleibt die unternehmerische Eigenständigkeit der fünf mitmachenden Châteaux bestehen?
Von Neipperg: Natürlich, wir sind alle sehr verschiedene Persönlichkeiten. Jeder von uns führt seine Betriebe sehr unterschiedlich, ganz entsprechend dem eigenen Profil. Der Besitzer in der Verbindung zum Terroir haucht dem Château seine Grösse ein.
Wohin gehen die Trends bei den unter dem Label «Les 5» zusammengefassten Weinen?
Von Neipperg: Zurück zur Natur! Zu Weinen, die ausgewogen, voll, frisch und gut altern können, zu Weinen mit eigenem Geschmack, weit entfernt von dem fruchtigen Einheitsgeschmack, zurück zu individuellen Weinen, die altern können und sich dabei verbessern. Zu Weinen, die aber trotzdem nicht hart und Tanin-belastet sind. Wie in unserem Leben suchen wir auch beim Wein die
Harmonie.
Ist es möglich, dass zu den fünf beteiligten Schlössern in Zukunft noch weitere Winzerfamilien dazukommen?
Von Neipperg: Natürlich gibt es immer wieder Anfragen, aber zu fünft leben wir gut. Ich bin mir nicht sicher, ob wir auch zu sechst harmonieren. Ich könnte alleine mehrere Châteaux involvieren, doch wir blieben unserem anfänglichen Klub treu, wahrscheinlich ist das auch das Geheimnis der Langlebigkeit. Noch nie hat ein loser Zusammenschluss mehrerer Châteaux so lange überlebt. Darauf können wir anstossen!