Robin Cornelius denkt derzeit in zehn Kapiteln. Der Gründer der Textilkette Switcher schreibt an einem Buch mit dem Arbeitstitel «Weniger ist mehr». «Ist es wirklich nötig, ein neues schwarzes T-Shirt zu kaufen, obwohl im Schrank schon drei hängen?» Auf Fragen wie diese will Cornelius Antworten geben. Der Massenkonsum sei out, ist er überzeugt. «Die Leute werden in Zukunft weniger, dafür nachhaltigere Produkte kaufen.»
Der Verwaltungsratspräsident des Kleiderhändlers mit dem gelben Walfisch-Logo stellt die Nachhaltigkeitsfrage nicht ganz ohne Eigennutz. Ein verändertes Konsumverhalten könnte dem Unternehmen aus dem Umsatztief helfen. Der Pionier nachhaltig und sozialverträglich produzierter Textilien befindet sich seit fünf Jahren im Krebsgang. An eine Trendwende glaubt Cornelius aber auch wegen der jüngsten Katastrophen in Bangladesch. Dort sind über tausend Näherinnen durch Fabrikbrände und einen Gebäudeeinsturz ums Leben gekommen. «Die jüngsten Unfälle in Bangladesch haben die Leute sensibilisiert», sagt Cornelius. «Für uns ist das eine Gelegenheit, neue Kunden zu gewinnen, die unsere Visionen teilen.»
Zwar sind nicht alle Fair-Textilien-Anbieter von einem positiven Bangladesch-Effekt überzeugt (siehe Kasten). Doch die Telefone am Switcher-Firmensitz in Mont-sur-Lausanne laufen offenbar heiss. «Wir haben viele Anfragen aus Nordeuropa und vor allem von Firmenkunden, die jetzt auf fair produzierte Arbeitskleider für ihre Mitarbeiter umstellen wollen», sagt Cornelius. Der Umsatz werde dieses Jahr wieder steigen, ist er sich sicher.
Übertriebene Wachstumseuphorie
Dieses Wachstumsversprechen macht man in Lausanne schon seit einigen Jahren. In den letzten fünf ging es allerdings meist abwärts. Vom Rekordumsatz von 82 Millionen Franken im Jahr 2007 ist Switcher heute weit entfernt. Letztes Jahr betrug der Erlös 40,6 Millionen Franken, nochmals 6 Millionen weniger als im Jahr zuvor.
Der Abstieg des einst gefeierten Fair-Kleider-Pioniers begann, als die Wachstumsphantasien zu gross wurden. Mit neuen Leuten an der operativen Spitze baute Switcher das Sortiment aus und kreierte neue Produkte. Kleinere Kunden wurden vernachlässigt, dafür wollte Switcher das Grosskundengeschäft forcieren. Davon versprach man sich höhere Stückzahlen. Die Verzettelung ging auf Kosten der Marge und der Qualität. Führungskräfte kamen und gingen. Grosskunde Coop kündigte die Zusammenarbeit. Mit dem Detailhändler verlor Switcher 4 Millionen Franken Umsatz auf einen Schlag. «Switcher sollte plötzlich modisch werden, das ist nicht unser Kerngeschäft», sagt Cornelius.
Wachstum einhauchen
Nach einer operativen Auszeit ist er seit 2010 wieder selbst im Tagesgeschäft. Er wechselte seither zwei Chefs aus und ist daran, der Marke wieder Leben und dem Unternehmen Wachstum einzuhauchen. Inzwischen hat Switcher das Sortiment verkleinert, Preise gesenkt, Passformen der Kleider angepasst und neue Materialien eingeführt. Zudem fanden die Lausanner neue Partner. Interspar in Österreich verkauft Switcher-Bekleidung. Ein T-Shirt-Portal in Deutschland bietet seit diesem Frühling Switcher zum Bedrucken an. Im Mittleren Osten ist ein Detailhändler an der Zusammenarbeit interessiert. Die Verhandlungen seien fortgeschritten, heisst es. In der Schweiz verkauft die Migros seit letztem Jahr die Textilien mit dem Wal-Logo. Auf dem Plan steht, die Switcher-Ecken in einigen Filialen zu vergrössern. Ob der neue Partner ebenso geeignet ist wie Coop, ist unklar. Die Basler gelten bei nachhaltiger Bekleidung als kompetenter als Konkurrentin Migros. Coop hat mit Naturaline eine eigene Bio- und Fairtrade-Kleiderlinie.
Bisher spiegeln sich die neuen Partnerschaften noch nicht in Zahlen wider. «Die Leute wissen nicht mehr so genau, wofür wir stehen, nämlich für vernünftiges Einkaufen», erklärt Cornelius. Deshalb will er noch stärker auf Öko- und Nachhaltigkeit setzen. «Switcher muss eine Lebenshaltung vermitteln», sagt Cornelius. Die Leute sollen bewusst Qualität und Komfort kaufen. «Alte T-Shirts zu tragen, muss cool und in werden.» Er wolle damit gegen die «Drei-für-zwei-Mentalität» der Massenanbieter kämpfen. Cornelius plant deshalb, in den Switcher-Geschäften Schilder aufhängen zu lassen mit dem Hinweis: «Brauchen Sie wirklich ein neues T-Shirt?» Dass ihn die Kampagne Umsatz kosten wird, glaubt Cornelius nicht. «Wer überzeugt ist, kauft ohnehin ein, aber einfach bewusster.» Switcher wolle keine Kunden, sondern Fans.
Mehr «made in Europe»
Zu Anhängern machen will er die Leute mit Hilfe von lokalem Einkauf. Seit acht Jahren kann jedes T-Shirt von der Näherin bis auf den Baumwolllieferanten zurückverfolgt werden. Auf den Produktionsnachweisen sollen wieder vermehrt europäische Länder auftauchen. «Wir haben letztes Jahr damit begonnen, unser Lieferantennetz in Portugal und Rumänien wieder auszubauen», sagt Cornelius. Der Anteil von «made in Europe» liege zurzeit bei 60 Prozent. Geringere Bestellmengen und kürzere Lieferzeiten sprechen für die Produktion auf dem alten Kontinent. Die Kosten sind durch die Krise in Südeuropa auch gesunken.
In Asien bricht Switcher die Zelte dennoch nicht ab. In Indien ist Hauptaktionär und Partnerfirma PGC zu Hause. Sie soll nächstes Jahr Gründer Cornelius vollkommen auskaufen. Switcher beschafft zudem von Produzenten in Indien, China und Taiwan. Seit Anfang 2013 lässt das Unternehmen sogar im «Unfallland» Bangladesch produzieren. Ein unglückliches Timing sei das nicht. «Wir bereuen nicht, in Bangladesch eingestiegen zu sein», sagt Cornelius dazu. Nicht das Land zähle, sondern die Fabrikverantwortlichen. Die habe man in Bangladesch genau geprüft und besuche sie regelmässig. «Unsere Standards werden eingehalten.» Ob Bangladesch und Cornelius’ Bemühungen Switcher 2013 die Trendwende bringen, wird sich weisen. Mittelfristig rechnet Cornelius für das Unternehmen mit einem Umsatzpotenzial von rund 50 Millionen Franken. Bis er dieses Ziel erreicht hat, wird es noch eine Weile dauern.
Fair produziert: Immer mehr Anbieter
Anbieter
In der Schweiz gibt es neben Switcher einige Händler, die faire und Bio-Textilien verkaufen. So zum Beispiel Coop mit Naturaline, Mammut mit dem Fair-Wear-Foundation-Logo, Claro mit Unica oder Helvetas. Auf www. getchanged.net gibt es eine Übersicht von Shops, die faire Mode verkaufen.
Noch kein Schub
Die Remei AG produziert die Naturaline für Coop und Fairtrade- Textilien für Mammut. Das Zuger Unternehmen erzielte im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von knapp 20 Millionen Franken. Geschäftsführer Patrick Hohmann glaubt nicht, dass der Bangladesch-Effekt lange andauern wird. «Die Unfälle in Bangladesch geben zwar einen Impuls zum Umdenken und sensibilisieren die Kunden, aber die Endkonsumenten werden nicht so schnell umstellen.» Remei verspüre keinen Nachfrageschub. Grosshändler machten sich zwar Gedanken, hätten aber noch nicht reagiert.
Schwierige Akquise
«Der Aufbau eines neuen Kunden ist schwierig», so Hohmann. Die Händler müssten sich zuerst an die Nachhaltigkeit gewöhnen. «Es ist nicht einfach, von einer nicht transparenten Beschaffung auf ein neues System umzusteigen, das volle Transparenz und alle Probleme sichtbar macht.»