Amazon ist ein Gigant. In den USA macht das Unternehmen von Jeff Bezos über die Hälfte aller Onlineverkäufe aus. An der Börse wird der E-Commerce-Konzern mit über 900 Milliarden Dollar bewertet, und das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt gewaltig hoch – über 80. Das heisst: Millionen Anleger sind sich sicher, dass Amazon immer noch eine Zukunftsfirma ist.
Seinen Siegeszug hat Amazon vor allem seinem Lieferservice zu verdanken. Wenn man Prime-Mitglied ist, erhält man seine Bestellung am selben Tag – oder höchstens am Tag darauf. Bei Lebensmitteln – via Whole Foods – liefert der Bezos-Konzern innerhalb von zwei Stunden. Amazon hat 2018 rund 230 Milliarden Dollar Umsatz gemacht.
Um mit seinem Lieferservice an der Spitze zu bleiben, zahlt Amazon aber einen hohen Preis, schreibt Stephen McBride im amerikanischen Wirtschaftsmagazin «Forbes»; der Analyst arbeitet für den amerikanischen Technologieberater RiskHedge.
Eine Bestellung von 8 Dollar kostet Amazon 10 Dollar
Amazon müsse Milliarden investieren, um die schnelle Lieferung aufrecht zu halten und gegenüber der Konkurrenz zu bestehen, argumentiert McBride. Pro Quartal müsse der Onlineriese aus Seattle über 11 Milliarden Dollar für den Versand aufbringen – das sei mehr als vor vier Jahren im einem ganzen Jahr.
Die enormen Versandkosten würden zum Problem, so der Analyst. Bei kleineren Bestellungen zahle Amazon drauf, eine Rücksendung von Waren seitens Kunden lohnt sich ohnehin nicht mehr. Mittlerweile «schenkt» Amazon ein fehlerhaftes Produkt dem Kunden und erstattet ihm zugleich die geleistete Zahlung zurück. Analyst McBride sieht aber einen Konkurrenten am Horizont, der es mit dem jungen Giganten ernsthaft aufnehmen kann.
Es ist die grösste Lebensmittelkette der Welt, Walmart.
Walmart ist mit 2,2 Millionen Angestellten zugleich der grösste private Arbeitgeber der Welt, betreibt weltweit gut 11'000 Läden – und prescht im Onlinehandel vor. In den letzten vier Jahren ist der Umsatz um fast 80 Prozent gestiegen. Dazu kommt noch: Walmart wächst im Onlinehandel doppelt so schnell wie Amazon. Es ist inzwischen der drittgrösste Onlineshop der Welt.
Jede Filiale ist ein Verteilzentrum
Walmart hat einen gewichtigen Vorteil gegenüber Amazon. Neben den 150 Verteilzentren in den USA betreibt der Lebensmittelhändler tausende Filialen. Beispiel USA: Dort gibt es 4'700 Walmarts, Amerikaner kann im Umfeld von wenigen Kilometern eine Niederlassung besuchen. Das sei ein gewaltiges Netzwerk für die Logistik, mit der kein anderer Onlinehändler mithalten kann, so der Analyst.
Zum Vergleich: Amazon betreibt in den USA gerade mal 110 Verteilzentren.
Mit diesem gewichtigen Vorteil kann Walmart seine Filialen als Vertriebskanal nutzen und zu geringen Kosten an Online-Besteller ausliefern.
Das Prinzip ist einfach: Statt dass die Kunden in die Walmart-Filialen kommen und dort Waren einkaufen, kommen die Ware zu den Kunden nach Hause. Auch wenn es sich um wenige Kilometer handelt. Aber diese letzten Meilen sind es, die für die Onlinehändler besonders kostspielig sind.
Ein Vorbild für die Schweiz?
Auch in der Schweiz entwickeln sich die physischen Filialen der Händler immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt für Onlinebestellungen. So kündigte Manor diese Woche an, im Zürcher Hauptbahnhof eine Pickup-Station einzurichten. Dort können Kunden ihre Bestellungen abholen oder zurückbringen. Auch bei anderen Detailhandelsketten wie Tchibo prangt an den Schaufenstern in grossen Lettern: Onlinebestellungen hier abholen. Die Migros wickelt ihren Onlinehandel vor allem über Digitec Galaxus ab, die in der Schweiz über einige Verteilzentren verfügen. Am Donnerstag gab Digitec Galaxus bekannt, die Milliarden-Grenze geknackt zu haben. Bei Migros kann man sich Onlinebestellungen via «Pick'm Up» in Filialen liefern lassen.
Der so genannte «Brick-&-Mortar»-Handel, also die Verkäufe in physischen Shops, ist nicht tot. Schweizerinnen und Schweizer gehen nach wie vor gerne in den Laden. Vor allem auch, weil sie nicht warten mögen, bis Onlinebestellungen zu Hause angekommen sind.
Hierzulande verfügen die beiden Player Migros und Coop über Hunderte von Filialen. Die Strategie von Walmart könnte auch für die beiden grösssten Detailhändler im Land interessant sein. Vor allem auch, weil die Schweiz über ein enorm dichtes Filialnetz verfügt.
Trotz Online-Boom bleibt der stationäre Handel noch lange wichtigster Einkaufskanal. Es gibt allerlei Gründe dafür. Und einen Hauptgrund, schreibt Andreas Güntert in seinem Artikel hier.
Wenn die Quartier-Filialen künftig als Mini-Verteilzentren für Onlinebestellungen eingesetzt würden, könnte man die Logistik effizienter und kostengünstiger gestalten: In diese Richtung experimentiert bereits Volg. Dort werden Onlinebestellungen in den Läden selbst aufbereitet, verpackt und dann ausgeliefert. Oder können dort abgeholt werden.
- Mehr: Stephen McBride, «Walmart Has Made A Genius Move To Beat Amazon», in: «Forbes», Januar 2020.