An den Börsen dominiert seit über vier Jahren ein Bullenmarkt. Die Aktienkurse haben neue Rekordwerte erreicht. Wird es für einen Value-Investor in diesem Umfeld nicht schwierig, noch unterbewerte Titel auszumachen?

Thomas Braun: Das trifft zu. Als Value-Investoren suchen wir an der Börse nach Aktien, die deutlich unterbewertet sind. Wenn ein Titel 100 Wert ist, interessiert er uns ab 65 und tiefer. Die lange Hausse an den Aktienmärkten hat die Suche nach attraktiven Unternehmen erschwert. Es ist nicht mehr wie beim Börsencrash 2002 und Anfang 2003, wo uns die unterbewerteten Titel wie «gebratene Tauben» in den Mund flogen.

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Werden deshalb in den Aktienfonds die Cashbestände hochgefahren?

Braun: Ja, derzeit liegt unser Cashanteil bei rund 30%. Das ergibt sich aus unserer Anlagepolitik. Wenn wir nichts Interessantes finden, bevorzugen wir höhere Bargeldbestände, anstatt etwas zu kaufen, das unseren Anforderungen nicht genügt. Damit würde nur die Performance des Fonds verwässert. Wenn wir kaum mehr unterbewertete Aktien finden, dann kam es in der Vergangenheit meist innerhalb weniger Monate zu einer deutlichen Korrektur. In Crashzeiten ist unser Cashanteil dann praktisch null, weil wir uns die guten Kaufgelegenheiten dann nicht entgehen lassen.

Gibt es einzelne Länder oder Branchen, wo sich das Stock Picking jetzt speziell lohnt?

Braun: Aus verständlichen Gründen kommentieren wir die attraktiven Jagdgründe nicht. Generell wenden wir uns eher jenen Sektoren zu, die an der Börse unter die Räder gekommen sind. Zudem gibt es immer wieder einzelne Gesellschaften, die aus firmenspezifischen Gründen unter Druck geraten.

Die Technologieaktien haben sich nach dem Börsencrash nie mehr vollständig erholt.

Braun: Die im Jahr 1999 und 2000 bezahlten Preise waren in der Regel weit weg von dem, was vernünftig war. Danach aber gab es durchaus Technologieaktien, die kaufenswert waren.

Was macht ein Value-Investor bei Börsenkursen, die plötzlich massiv abstürzen?

Braun: Wir haben ein lachendes und ein weinendes Auge. Mit den eigenen Positionen leiden wir mit. Gleichzeitig erhöht sich aber für uns die Auswahl an attraktiven Titeln. Es geht darum, dann jene Aktien herauszufiltern, die gelitten haben und massiv unterbewertet sind.

Geduld gehört zu den wichtigen Eigenschaften des Value-Investing. Trotzdem: Wird nicht ausgestiegen, wenn auch nach mehreren Jahren bei einzelnen Gesellschaften keine Aussicht auf eine nachhaltige Kurserholung besteht?

Braun: Wir steigen nie aus, solange eine Aktie deutlich unter ihrem fairen Wert notiert. Nicht das nächste Quartalsergebnis ist für uns entscheidend, sondern wie sich die Umsätze, Gewinne und speziell die Cashflows über einen Zyklus hinweg entwickeln. Es gibt gute und schlechte Zeiten. Wir orientieren uns an einem durchschnittlichen, normalisierten Cashflow. Diese Grösse ist unabhängig von der aktuellen Lage an den Börsen.

Wie werden die unterbewerteten Aktien aus einem globalen Universum mit tausenden von Titeln ermittelt?

Braun: Wir können uns nicht zu allen Aktien weltweit eine Meinung bilden. Wir gehen opportunistisch vor und schauen unter anderem bei den einzelnen Branchen, ob es Ausreisser nach unten gibt. Dazu kommt die Auswertung der Medien. Vertritt dort beispielsweise ein Konzernchef die Ansicht, sein Unternehmen werde falsch eingeschätzt, dann überprüfen wir das mit unserer Bewertungsmethode.

Welches sind die wichtigsten Informationsquellen?

Braun: Die wichtigsten Informationsquellen sind die von der Firma publizierten Informationen, vor allem der Geschäftsbericht.

Mit der Einführung von einheitlichen Rechnungslegungsstandards, wie etwa IFRS für börsenkotierte Unternehmen, sind die früher üblichen «stillen Reserven» weitgehend aus den Büchern verschwunden. Macht das die Aufgabe schwieriger?

Braun: Als es noch keinen «true and fair view» gab, war die Analysetätigkeit wesentlich schwieriger. Heute liefern uns die neuen Rechnungslegungsstandards zuverlässigere Zahlen. Aber man muss bei ihrer Interpretation noch immer gut aufpassen, denn in der Regel versuchen sich die Gesellschaften in einem möglichst guten Licht darzustellen.

Wann nehmen Sie den Kontakt zum Management auf?

Braun: Sobald wir unsere Hausaugaben gemacht haben. Dazu gehören nebst der Auswertung von Vergangenheitsdaten auch Vergleiche innerhalb der Branche.

Verfügen Sie als Fondsmanager über die Expertenkenntnisse, um die Wachstumschancen in einzelnen Branchen zu beurteilen?

Braun: Wir machen unsere eigenen Plausibilitätsüberlegungen. Das Studium der Vergangenheit gibt gute Aufschlüsse darüber, welche Margen, Wachstumsraten und Rentabilitäten in der Zukunft vernünftig sind.

Interessiert Sie auch die Entlöhnung des Topmanagements?

Braun: Ja, aber das ist nicht die entscheidende Grösse für die Bewertung eines Unternehmens, selbst wenn einzelne Gagen mittlerweile ansehnliche Ausmasse angenommen haben. Die Saläre für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sagen etwas aus über das Selbstverständnis der obersten Führungskräfte.

Als gewichtige Investoren könnten Sie bei Abstimmungen über Salärpakete an der Generalversammlung Ihren Einfluss geltend machen.

Braun: Wir nehmen unsere Stimmrechte wahr. Besteht die Möglichkeit, beispielsweise über überrissene Abgangsentschädigungen abzustimmen, werden wir das nicht befürworten. In anderen Fällen bringen wir unsere Kritik auch mit einem Schreiben an den Verwaltungsrat zum Ausdruck. Wir würden eine konsultative Abstimmung über die Gehälter begrüssen, damit der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung spüren, ob die Aktionäre ihre Lohnpolitik mittragen oder nicht.

Der Classic Global Equity Fund schliesst Jahr für Jahr klar besser ab als der MSCI World. Gibt es dafür ein Erfolgsgeheimnis?

Braun (lacht): Ja, es ist ein Erfolgsrezept, das schon lange kein Geheimnis mehr ist. Benjamin Graham und Warren Buffett haben die Grundsätze das Value-Investing schon längst publik gemacht. Man kauft nur, wenn die Börse etwas deutlich unter Wert anbietet, und sobald der Fair Value erreicht ist, trennt man sich von den Titeln.

Der Milliardär Warren Buffett pflegt den Value-Ansatz schon seit Jahrzehnten. Lässt sich Ihr Anlagestil damit vergleichen?

Braun: Im Prinzip machen wir das Gleiche. Es gibt aber Unterschiede. Warren Buffett trennt sich in der Regel nicht mehr von seinen Anlagen.

Wie gross sind die Portfolios bei Ihren Fonds?

Braun: Der geschlossene Classic Global Equity Fund hat ein Fondsvolumen von rund 2 Mrd Fr. und der offene Classic Value Equity Fund von gegen 500 Mio Fr. Beide Fonds verfügen über 25 bis 30 Titel. Wir kaufen jeweils eine Position, die zwischen 3 und 5% des Fondsvermögens liegt.

Unter den wichtigsten Positionen gibt es Small Caps und Large Caps. Sind die Value-Titel nicht eher unter den kleineren und mittleren Gesellschaften zu finden?

Braun: Man findet in beiden Bereichen deutlich unterbewertet Aktien. Bei einem Börsencrash gibt es vor allem auch unter den Large Caps spannende Titel, die sich danach wieder rascher erholen als Small Caps. In normalen Börsenzeiten sind bei kleinen Titeln eher grössere Überraschungen möglich.

Kritiker sagen, aktiv gemanagte Anlagefonds würden nicht besser abschneiden als ein Indexfonds.

Braun: Studien zeigen, dass über eine Zeitspanne von zehn Jahren hinweg nur rund 10% der aktiv verwalteten Fonds den Index schlagen. Es gibt aber Fondsmanager, die es mit ihrem Anlagestil schaffen, eine Zusatzrendite, das sogenannte Alpha, zu erzielen. Viele dieser Anleger kommen aus der Value-Ecke. Es ist jedoch für unerfahrene Investoren allein schon wegen den Kosten interessanter, ein Index-Produkt anstatt einen pseudoaktiven «Null-acht-fünfzehn»-Fonds zu erwerben.

Was erwarten Sie für die Aktienmärkte im laufenden Jahr?

Braun: Wir lassen bei unseren Dispositionen eine gewisse Vorsicht walten. Die Aktienkurse streben nun schon seit längerer Zeit nach oben, und die spekulativen Elemente in Form der vielen Take-overs nehmen zu.

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Steckbrief

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Name: Thomas Braun

Funktion: Partner und Portfoliomanager Braun, von Wyss & Müller AG, Zürich

Alter: 51

Familie: Verheiratet

Wohnort: Auenstein AG

Ausbildung: Abschluss als Volks- und Betriebswirt (lic. oec. publ.) an der Universität Zürich

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Classic Funds

Value-Investing

Thomas Braun hat 1998 gemeinsam mir Georg von Wyss und Erich Müller die Classic Fund gegründet. Die Portfoliomanager betreuen innerhalb der Anlagefirma Braun, von Wyss & Müller die beiden Fonds Classic Global Equity und Classic Value Equity. Das kleine Anlageteam mit knapp zehn Mitarbeitern orientiert sich bei den Anlageentscheiden konsequent am Value-Stil. Seit dem Start haben sie mit diesen Fonds eine Jahresrendite von über 18% erzielt.