Im Jahr 1939, nur Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, handelte Thomas McKittrick für seine neue Arbeitsstelle einen Jahreslohn von 175 000 Franken aus, was nach heutiger Kaufkraft einem Einkommen von zwei Millionen Franken entspricht. Ein stattlicher Lohn mitten in Kriegszeiten für einen Funktionär, dessen Rolle nach heutigen Erkenntnissen in erster Linie darin bestand, für die Nazis Raubgold reinzuwaschen: McKittrick stand der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel vor, die ursprünglich mit dem Zweck gegründet worden war, die Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg abzuwickeln.

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«Le banquier américain d’Hitler» übertitelt der Historiker Marc-André Charguéraud denn auch etwas reisserisch seine neuste historische Studie über einen Mann, der dem Führer in Tat und Wahrheit nie über den Weg gelaufen ist. Dennoch war der Amerikaner ein Opportunist, der im eigenen Interesse und aus bürokratischem Übereifer heraus bedenkenlos mit den Nazis kollaborierte. Nachdem die Rolle der BIZ in den vergangenen Jahren untersucht worden war, hat sich endlich auch jemand an deren obersten Chef herangewagt. Charguéraud zeichnet nach, welch doppelzüngiges Spiel ein amerikanischer Spitzenbankier bis zum letzten Atemzug des Nazi-Reiches und darüber hinaus gespielt hat. Um nicht selber an den Pranger gestellt zu werden, verteidigte McKittrick noch in den Monaten nach Kriegsende jene Nazi-Spione, die von Berlin bei der BIZ eingeschleust worden waren, vor der Ausweisung durch die Schweizer Behörden.

Doch der Reihe nach. Als McKittrick vor dem Krieg nach Basel kam, wusste er noch nicht, dass er die Kriegsjahre mit einem Unterbruch von fünf Monaten ohne seine Frau und seine vier Töchter in der Stadt am Rheinknie verbringen würde. Bereits hatten sich die Nazis das Gold der tschechischen Nationalbank einverleibt und damit den ersten Schritt getan, um sich auch in Kriegszeiten die Finanzierung von kriegswichtigen Importgütern zu sichern. Nach Ausbruch des Krieges blieb die eng mit Deutschland verbundene BIZ nur bestehen, weil McKittrick den Notenbankchefs der einzelnen Länder und nicht zuletzt dem britischen Finanzminister glaubhaft machen konnte, dass das Weiterbestehen seiner Institution nach dem Krieg den Alliierten nützlich sein könnte.

Ähnlich spekulierte die Gegenseite. Obwohl McKittrick als Bürger der wichtigsten Feindesnation Deutschlands von den Nazis nicht wirklich anerkannt wurde, begriff Hitler, dass ihm der Amerikaner dereinst von grossem Nutzen sein könnte. Dann nämlich, wenn ihm die Alliierten in einem von ihm erzwungenen Frieden ganz Europa überliessen, würde er auf einen Fachmann wie McKittrick angewiesen sein, der mit seiner Bank als zentrale Kasse für Kompensationszahlungen und auch als Zahlstelle für den innereuropäischen Warenverkehr eine wichtige Rolle spielen würde.

So weit kam es, wie wir heute wissen, Gott sei Dank nicht. Dennoch erwies McKittrick den Nazis die erwünschten Dienste von Basel aus und fand immer wieder neue Mittel und Wege, um das geraubte Gold der Nazis so reinzuwaschen, dass keiner der BIZ-Oberen nach dem Krieg für ihre Taten belangt werden konnten.

Während andere Kollaborateure seines Kalibers zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, blieb McKittrick bis weit über seinen Tod hinaus unbehelligt. Nicht einmal McKittricks mächtigster Feind, der damalige amerikanische Finanzminister Henri Morgenthau, brachte den von ihm als «Nazi-Kollaborateur» beschimpften BIZ-Chef zu Fall. Zu mächtig schienen die Kontakte des Nazi-Bankers zu den grossen amerikanischen Privatbanken und Wirtschaftsführern jener Zeit gewesen zu sein. Während die Rolle der BIZ in den Jahren nach dem Krieg von den Alliierten genau unter die Lupe genommen wurde, blieben ihre Manager trotz zahlreichen Anläufen von weiteren Untersuchungen verschont. McKittrick verliess die Bank bereits kurz nach dem Krieg und heuerte als Direktionsmitglied bei der Chase National Bank an, deren Chef ihm schon bei Kriegsbeginn diesen Posten für die Zeit nach dem Krieg versprochen hatte. Ein geschickter Schachzug. Denn in der Tat war McKittrick für die Chase National Bank von unschätzbarem Nutzen, kannte sich doch nach dem Krieg kein internationaler Banker besser aus in Europa als der anpassungsfähige Thomas H. McKittrick.

Dass er nichts aus dem Krieg gelernt hatte und seine Sympathie zur Nazi-Elite ungebrochen blieb, bewies McKittrick mit der Einladung der ehemaligen Nummer zwei der Deutschen Reichsbank, Emil Puhl, nach dem Krieg nach New York. Unbeirrt vom Nürnberger Prozess, an dem Puhl zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war, lud McKittrick seinen ehemaligen wichtigsten Partner des Nazi-Reichs zu sich ein und verhalf ihm zu einem längeren Aufenthalt in den USA. Ausgerechnet Puhl, jene Nazi-Grösse, die beim Nürnberger Prozess offen eingestanden hatte, den Befehl dafür gegeben zu haben, das den KZ-Insassen herausgerissene Zahngold in Barren zu giessen und mit gefälschten Stempeln in Umlauf zu bringen.

Marc-André Charguéraud: Le Banquier américain d’Hitler.
Editions Labor et Fides, Genf 2004, 118 Seiten, Fr. 29.–.