Selbst Retail-Profis müssen um Worte ringen, wenn sie das unübliche Handelsformat der Tiger-Stores beschreiben sollen. «Ikeas kleine exzentrische dänische Cousine», nennen es die einen. «Edles Upgrade eines 1-Euro-Ladens» die anderen. Wahrscheinlich trifft es das englische «Variety Store» am besten, welches für «Kleinkaufhaus» oder «Niedrigpreisgeschäft» steht. In der Schweiz könnte man sagen: Hätten EPA und Office World je ein Kind gezeugt, assistiert von einem Hebammen-Duo aus Depot und Otto’s, so wäre dabei wohl etwas in der Art eines Tiger-Stores herausgekommen.
Was genau im verqueren Ladenformat steckt, können Schweizer Konsumenten bald selber erfahren. Die 1995 in Kopenhagen gegründete Handelskette, die sich mittlerweile mit 585 Läden in 27 Ländern verbreitet hat, kommt erstmals in die Schweiz.
Mini-Ikea ohne Möbel
Als «Mini-Ikea in der Stadt, aber ohne Möbel», sieht Ramon Stauffer die Tiger-Stores. Der frühere Banker der Credit Suisse amtet als Schweizer Geschäftsführer. Die Läden funktionieren in der Regel auf einer eingeschossigen Fläche von 150 bis 300 Quadratmetern; Konsumenten mäandern auf einem abgesteckten Kurs entlang kleinpreisiger Artikel aus den Sparten Papeterie, Haushalt-, Spiel- und Esswaren.
Ein Wimmel-Kosmos aus 3000 bis 3500 Kleinwaren, die meisten davon unter 15 Franken. Hübsch präsentierte stylishe Artikel, die in der Regel kein Mensch wirklich braucht – und dann doch beim Passieren des Konsum-Parcours da und dort zugreifen wird. Verführt von Schreibstiften und Küchentüchern, Tellern, Tassen und Lesebrillen, die alle stylish daherkommen. Wobei sich das skandinavische Flair eher auf das Design als auf die Herkunft der Kleinware bezieht. Etwa 25 Prozent der Artikel stammen aus Dänemark, heisst es in einem Firmenprospekt, 55 Prozent aus China.
Erster Store in Luzern
Stauffer peilt als Standorte in erster Linie Innenstädte, als zweite Wahl auch Einkaufszentren und Bahnhöfe an. Einen ersten Landeplatz kann er bereits vermelden: Anfang März wird man an der Luzerner Krongasse auf der Fläche eines ehemaligen Colonys-Shop eröffnen. Die Sub-Marke der konkursiten Companys musste dort den Platz räumen.
Der Tiger-Landeschef sieht es nicht als böses Omen, dass man in den Gemäuern eines Händlers öffnet, welcher nicht über die Runden gekommen ist. Im Gegenteil, Stauffer ist trotz der schwierigen Lage im Schweizer Detailhandel zuversichtlich: «Wir sind im kleinpreisigen Impuls-Geschäft angesiedelt, das spassgetrieben und somit weniger vom Einkaufstourismus betroffen ist.»
30 Schweizer Standorte erhofft
Günstige Wechselkurse seien hilfreich beim Einkauf, und zurzeit sei es einfacher geworden, Flächen zu finden in der Schweiz. Stauffer hofft, in den nächsten fünf Jahren über zwei Dutzend Tiger-Stores eröffnen zu können hierzulande: «Für etwa 30 Läden sollte es Platz haben in der Schweiz.»
Ebenso ungewöhnlich wie die Sortimente ist auch die strategische Ausrichtung der Tiger-Stores. In Zeiten, da alles von Omni-Channel, Click & Collect und raketenschneller Online-Belieferung spricht, plant Stauffer einen reinen Offline-Händler, der sein Abwechslungs- und Verführungspotenzial am besten auf der Fläche ausspielen könne. Dazu gehört auch, dass das Grundsortiment regelmässig mit neuen Artikeln ergänzt wird.
Gleiche Mutter wie Kuoni
Ein Mix, der aus den Tiger-Stores ein sehr profitables Format macht. Im Geschäftsjahr 2014 – neuere Zahlen gibt es nicht – resultierte bei einem Umsatz von umgerechnet 380 Millionen Franken eine stolze operative Betriebsmarge von 15 Prozent. Kleinvieh macht eben auch Mist.
Man könnte Tiger auch als schräg-hübsche Halbschwester der Kuoni Group bezeichnen. Die schwedische Beteiligungsgesellschaft EQT, die sich Anfang Februar den Reisedienstleister krallte, ist seit drei Jahren auch bei den Tiger-Stores investiert. 67 Prozent an Tiger gehören den Schweden, die mit ihren Mitteln für Dampf bei der Ausweitung der weltweiten Wimmel-Welle sorgen.