Big Pharma entert das Podest. Rund 30 Milliarden Franken zusätzlichen Firmenwert hat Roche 2011 geschaffen und damit die Spitze der Schweizer Top-100-Unternehmen erklommen. Die Basler verdrängten Nestlé, den Vorjahres- und Reihensieger aus Vevey, auf den zweiten Platz. Fulminant meldet sich auch Roches Erzrivale vom Rheinknie zurück. In den vergangenen zwei Jahren in der Versenkung verschwunden, muss sich Novartis heuer nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Nestlé nur knapp geschlagen geben. Ausser Rang und Traktanden gefallen sind die Luxusgüterhersteller. Die Titel von Richemont und Swatch – sie waren im Vorjahr auf dem Treppchen – haben trotz robusten Jahreszahlen negativ performt.

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Die richtige Medizin gegen ungemütliche Vermögensvernichtung fand Pillendreher Roche. «Der Konzern hat unter den Pharmariesen aber auch einiges aufzuholen», bilanziert Pius Zgraggen, Chef der Finanzberatung OLZ & Partners, die für BILANZ die Top-100-Rangliste zum neunten Mal erstellt hat. Es ist das umfassendste Rating dieser Art und setzt sich aus Kursbewegung, Börsenwert und Schwankung der Aktie zusammen (siehe «Aktionäre positiv überrascht» unter 'Nebenartikel'). Roche-Chef Severin Schwan (44), im Vorjahr die Zero, ist heuer der Hero. Roche hatte vor Jahresfrist die rote Laterne verdient. Die Basler liquidierten Investorenvermögen von über 32 Milliarden Franken. Das entspricht fast dem Wert, den die grössten zehn Wertvernichter 2011 verpufft haben. Auch im Fünfjahresvergleich schneidet Roche schlecht ab. UBS und Credit Suisse sind die Einzigen, die noch besser wissen, wie Firmenwert flöten geht (siehe «Die 10 grössten Wertvernichter» unter 'Downloads').

Der Exploit von Roche beruht vor allem auf dem Einsatz des Rotstiftes. 1,8 Milliarden Franken hat die Crew um Schwan eingespart. Das stabilisiert die Marge, kann die erodierenden Umsätze aber nicht stoppen. Roche verkauft seit drei Jahren weniger. Die Topsellermedikamente in der Onkologie (Avastin) schwächeln, die Gesundheitswesen stehen weltweit auf dem politischen Prüfstand, viele Staaten sind pleite, Generikahersteller drücken mit ihren Substituten die Preise, wichtige Patente laufen aus. Vor allem die Situation in Europa gefällt Schwan nicht: «Ich rechne daher auch hier für 2012 mit einem schwierigen Umfeld», sagte er in der Mitarbeiterzeitung «MyRoche». Zumindest bei den Patenten steht Roche etwas besser da als die Konkurrenz. Analysten halten die Pipeline für unterbewertet. Potenzielle Blockbuster stehen bereit. Vom Brustkrebsmittel Pertuzumab etwa wird ein Spitzenumsatz von zwei Milliarden Franken erwartet.

Schwan ist ein unaufgeregter CEO und seit fast 20 Jahren bei Roche, davon vier Jahre an der Spitze. Er fördert die kleinere, aber rasch wachsende Diagnostiksparte über Akquisitionen. In diesen Tagen kreuzt er die Klingen mit Illumina. Der US-Konzern soll Roche in der personalisierten Medizin weiterbringen. Die Basler sehen in der Verzahnung von Pharma und Diagnostik die Zukunft und investieren derzeit rund acht Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung – ein Spitzenwert. Für Novartis – der Roche-Konkurrent fährt eine integrierte Strategie mit eigener Generikatochter, investiert aber weit weniger in die Forschung als Roche – hat Schwan ein müdes Lächeln übrig: «Manche nennen das Diversifikation», sagte er der «Financial Times». «Ich nenne das Aufgeben.»

Gemessen an der erzielten Wertschöpfung, sind Aktionäre mit Novartis langfristig aber besser gefahren. Roches Lokalkonkurrent hat in den vergangenen fünf Jahren vier Milliarden an Firmenwert kreiert.

Die Gesamtschau zeigt: Die Top 3 haben 2011 mit 49 Milliarden Franken zwar gut 11 Milliarden mehr Wert für ihre Aktionäre geschaffen als die ersten drei des Vorjahres (Nestlé, Richemont, Swatch). Alle Firmen in den Top 100 zusammen generierten aber 23 Milliarden weniger Aktionärswert. Zudem vernichteten 44 der 100 Topunternehmen Firmenwert, 2010 war es kein einziges. Die Aktienmärkte sind 2011 wieder in einen Abwärtsstrudel geraten. Das schlägt sich in der Rangliste nieder: 176 Firmen gingen in die Wertung ein, vier weniger als im Vorjahr. Das heisst, sie waren sowohl im SPI gelistet als auch mit mindestens 100 Millionen Franken bewertet. Der Trend dürfte anhalten. Inflationäre Tendenzen bleiben vorerst aus, die Zinsen verharren auf tiefem Niveau – das Schmiermittel für Kursavancen ist 2012 erneut gegeben. Doch allein, es fehlt der Glaube. Die Bundesökonomen haben ihre Wachstumsschätzungen kürzlich nach unten korrigiert. Zwar gibt es Lichtblicke, doch die europäische Schuldenkrise bleibt der weltweite Bremsklotz.

Industrietitel im Tief. Gleich hinter dem Schwergewichtstrio folgt Synthes. Der Orthopädiekonzern hat mehr von technischen als von fundamentalen Daten profitiert. Die Aktie zündete nach Bekanntwerden der ersten Übernahmegerüchte durch Johnson & Johnson die Kursrakete. Gut halten sich die Versicherer. Swiss-Re-Chef Stefan Lippe ging mit 56 Jahren zwar in Frühpension. Der Rückversicherer (5) hat sich zuvor aber eine Holdingstruktur verpasst, die in der Finanzgemeinde grosse Erwartungen schürte. Den Lokalkonkurrenten «Zürich» (7) hat Swiss Re jedenfalls hinter sich gelassen. Im Fünfjahresvergleich hat Zürich-Chef Martin Senn die Nase aber weit vor der heimischen Konkurrenz.

Ein Zeichen dafür, dass die Erholung ins Stocken geraten ist, sind die konjunktursensitiven Industrietitel. Branchenbester ist OC Oerlikon auf Rang 16. Sulzer und ABB, im Vorjahr noch unter den besten 10, sind aus den Top 100 gerutscht. Sulzer hat nach dem im Juni angekündigten Abgang von CEO Ton Büchner den Chefposten erst kürzlich mit Klaus Stahlmann neu besetzt. ABB hat sich unter Joseph Hogan zwar eine Frischzellenkur verordnet, die Kosten beschnitten, akquiriert und gleichzeitig einen Rekordumsatz gemacht, doch der Preisdruck frisst die Margen weg. Gut gerüstet ist ABB allemal, ausserdem will Positivdenker Hogan zur Margensicherung weiter sparen.

Ihre Hausaufgaben gemacht hat OC Oerlikon. Konzernchef Michael Buscher hat dem Traditionshaus ein happiges Sparprogramm verordnet. Das zahlt sich nun aus, die Krisenphase scheint vorbei zu sein. Dass das Management der wichtigsten Sparte, Textilien, von Europa nach Shanghai verlagert wurde und von einem China-Kenner geführt wird, ist ein starkes Signal. Bei OC Oerlikon stehen die Schalthebel auf Angriff. Über die letzten fünf Jahre verbrannte der Konzern allerdings 4,4 Milliarden Franken. Zum Vergleich: ABB hat in der gleichen Zeitspanne den Firmenwert um 15 Milliarden Franken gesteigert und wird nur von Nestlé übertrumpft.

Rote Laterne für Banken. Zu den Top-5-Unternehmen im Langfristvergleich gehören trotz ihrem diesjährigen Taucher die Luxusgüterkonzerne Swatch und Richemont. Sie haben das Aktionärsvermögen kumuliert um 23 Milliarden Franken gesteigert. Doch für die beiden erfolgsverwöhnten Konzerne wird die Luft dünner, sie wachsen langsamer, die Margen im Luxusbereich stagnieren.

Und was ist mit den Banken los? «Die für den Schweizer Finanzplatz so wichtigen Grossbanken liegen wieder bei den grössten Wertvernichtern – ganz unten», kommentiert OLZ-Mann Zgraggen. UBS und CS haben sich 2011 erneut schwergetan und verharren am Tabellenende. Die Erträge im Investment Banking erodieren, und der Steuerstreit mit den USA und Deutschland verunsichert die Kunden. Das stagnierende Geschäft mit der reichen Klientel schlägt sich vor allem in den Büchern der klassischen Vermögensverwalter nieder. Julius Bär kann sich als einziger Vertreter der Gilde in den Top 100 halten, rutscht aber von Platz 14 auf 83 ab.

Das kommt Retail- und Staatsbanken entgegen. Zehn Kantonalbanken finden sich unter den Top 100, angeführt von der Basellandschaftlichen auf Rang 18. Zusammen haben sie 1,5 Milliarden Franken zusätzlichen Firmenwert geschaffen. Höhere Zinsen kämen den im Hypothekargeschäft engagierten Kantonalbanken zwar entgegen. Sie werden aber auch im Tiefzinsumfeld stabile Wertschöpfung für ihre Aktionäre generieren und die Grossbanken wohl hinter sich lassen.