Wer 72 Nächte im Jahr in fremden Betten verbringt, wie dies bei den befragten Travel-Consultants der Fall ist, und zudem täglich mit den Erfahrungen von ungezählten Reisenden konfrontiert wird, weiss Bescheid, welche Hotels top sind und welche nicht. Zusammen mit den aktuellen Wertungen führender internationaler Publikationen und den Erfahrungen von 120 BILANZ-Hoteltests (siehe Artikel zum Thema «So wurde ausgewählt») ergibt dies die alphabetisch gegliederte Top-100-Liste der besten Stadthotels, unterteilt in die Kategorien «Grand» und «Hot».
Zu den grossen Gewinnern zählen eine Hand voll trendsetzender Hotelgruppen, allen voran die Rocco Forte Hotels, die mit fünf Häusern in den «Grand»-Charts vertreten sind. Im Unterschied zu anderen Hotelunternehmen gehören dem englischen Lebemann Sir Rocco Forte alle Hotels selbst. Jedes ist einzigartig, fast jedes historisch und ein Juwel der europäischen Luxushotellerie.
Welches ist sein schönstes Stück? Vielleicht das Hotel de Russie in Rom, eine ultraedle Stadtoase in einem Privatgarten, wie wir ihn uns immer erträumt haben. Oder das Savoy in Florenz, ein unaufdringlich elegantes Grandhotel, in dem man sich wirklich geborgen fühlt. Die Perle unter den Perlen ist für den einen das Astoria in St. Petersburg, für den anderen das Balmoral in Edinburgh, für den Dritten das Amigo in Brüssel. Das Brown’s in London und das Richemond in Genf, beide neu im Besitz von Forte, werden gerade einem Upgrade ins 21. Jahrhundert unterzogen. Daneben entstehen derzeit in alten Mauern die Villa Kennedy in Frankfurt und das Hotel de Rome in Berlin.
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Die Wiedereröffnung einer Nobelherberge wäre heute eigentlich kein Aufreger mehr. Doch die Art, wie Sir Rocco Forte mit zuvor heruntergewirtschafteten Häusern an die grosse Zeit des Reisens anknüpft und sie zu leuchtenden Pilgerstätten für urbane Nomaden und Liebhaber des Besonderen macht, ist bemerkenswert. Sein Erfolgsrezept: Smartes Understatement, diskreter Luxus und ein sensibler Bezug der Hotels auf ihren Standort. Seine Trumpfkarte ist seine Schwester, die Innenarchitektin Olga Polizzi. Sie versteht sich geradezu meisterhaft auf den idealen Mix aus klassischem Ambiente und ruhigem, unaufgeregtem Design mit einer Prise asiatischem Minimalismus. Die Häuser des Familienunternehmens gehören zu einer neuen Generation von Luxushotels: nobel, aber nie protzig, individuell und unversnobt, durchdacht und auf unaffektierte Weise wunderbar extravagant. Mit einem Wort: sophisticated.
Die besten Hotels bieten mehr als die Schnittmenge aus Lage, Service und Dekor. Das weiss auch die kanadische Hotelgruppe Four Seasons, die es viermal in die europäischen top 100 geschafft hat. Derzeitiges Flaggschiff ist das Four Seasons George V in Paris, das mit einem Feuerwerk von Aufmerksamkeiten die Konkurrenz auf Distanz hält. «Die Details sind entscheidend», beteuert Konzernchef Isadore Sharp. «Man kann gar nicht genug Zeit dafür verwenden. Man weiss nie, welches Detail schliesslich den Gast berührt.»
Wie in Paris erzielen auch die Four Seasons Hotels in Mailand, Istanbul und Prag die höchsten regionalen Zimmerdurchschnittspreise und Belegungszahlen. Das Geheimnis: Brand-Power. Die Marke Four Seasons steht für zeitgemässen Luxus und unübertroffene Servicestandards, die Hotels sind durchwegs stilvoll und dennoch trendy und entspannt. Die Corporate Identity strahlt so stark, dass die Company irgendwo auf der Welt ein Hotel eröffnen könnte, und am nächsten Tag stünde die internationale Traveller-Gilde vor der Tür. «Four Seasons ist an der Spitze im Highend-Hotelbusiness angelangt», schreibt das «Wall Street Journal». Die globalen Hotel-Ratings – von «Condé Nast Traveller» über «Institutional Investor» bis «Travel + Leisure» – platzieren rund die Hälfte der insgesamt 60 Four-Seasons- Hotels auf allen fünf Kontinenten unter die weltbesten Luxusherbergen.
Umgekehrt kann der Verlust einer Marke grosse Probleme mit sich bringen. Im August 2004 musste sich Four Seasons nach acht florierenden Jahren von ihrem Berliner Haus verabschieden, weil die Eigentümer den Pachtvertrag gekündigt hatten und sich nach einem anderen Betreiber umsahen. Der Imageschaden ist enorm – die loyalen Gäste, denen die Four-Seasons-Adressliste die Weltkarte ersetzt, bleiben fern. Laut Branchenkennern wird das Berliner Hotel, das von renommierten amerikanischen Reisemagazinen wiederholt als Deutschlands bestes Stadthotel ausgezeichnet wurde, rapide Buchungsrückgänge hinnehmen müssen und eventuell ganz aus den Ratings verschwinden.
Auch die deutsche, von Genf aus gesteuerte Kempinski-Gruppe ist mit vier Hotels in der BILANZ-Bestenliste präsent (Adlon Berlin, Atlantic Hamburg, Ciragan Palace Istanbul und Grand Hotel Europe St. Petersburg), setzt sich jedoch zu wenig vom typischen Hotelgefühl und von den üblichen Hotel-Interiors ab und wirkt auf manchen zu standardisiert. So platzieren neun von zehn Reisebüroprofis Kempinski hinter Four Seasons. Die ganzheitliche Philosophie, das konstant hohe Serviceniveau und die extrem sorgfältige Personalauswahl der kanadischen Konkurrenz scheinen klare Wettbewerbsvorteile zu sein.
Lange geradezu unbemerkt und ignoriert von der etablierten Hotellerie, hat die in Paris ansässige Hongkong-Französin Grace Leo-Andrieu mit ihrer kleinen, feinen Hotelgruppe GLA im lukrativen Markt der hedonistischen Geschäftsreisenden grossen Erfolg. Mit der Kombination aus überschaubarer Grösse, raffinierter Schlichtheit nach den Prinzipien von Feng Shui und persönlichem, flexiblem Service haben das Lancaster und das Bel Ami in Paris, das Continentale und das Gallery Hotel Art in Florenz sowie das Clarence in Dublin Eingang in die «Hot»-Charts gefunden. Jedes dieser Boutique-Hotels besitzt eine eigene,
unverwechselbare Identität und bietet reichlich Kost fürs Auge, als ob man in einer Architekturzeitschrift blättern würde. Wer in den besänftigenden City-Domizilen von Leo-Andrieu das gute Gefühl hat, zu Hause angekommen zu sein, kann beim Auschecken gleich die nächsten Ferien buchen: Die stilbewusste Lady managt auch das Royal Riviera in Saint Jean Cap Ferrat und ein halbes Dutzend anderer Hideaways an allen Weltmeeren.
Anzahlmässig führen derzeit die Städte Paris (elf Hotels) und London (zehn) Europas Hotellandschaft an. Mailand, Stockholm und Barcelona besetzen je sechs Plätze in den top 100. Florenz und Hamburg sind jeweils mit fünf Häusern vertreten.
Das Hi Hotel in Nizza, das Neri in Barcelona, das The Gray in Mailand, das Le «A» in Paris, das De Witte Lelie in Antwerpen und das Charlotte Street Hotel in London sind Paradebeispiele für ein Phänomen, dem man in der Hotelszene immer häufiger begegnet: Gestalte einen Ort so, dass du selbst gerne deine Zeit dort verbringen möchtest, und schon werden sich genügend Leute finden, die deinen Geschmack teilen. Die aufgezählten Hotels sind mit dem Charme des Ungenormten und einem Höchstmass an Individualismus und lokaler Verwurzelung rasch zu Flüstertipps der europäischen Kreativszene avanciert, deren Vertretern scharfe Trennlinien zwischen Beruf, Berufung und Privatleben unbekannt sind.
In die BILANZ-Liste haben es auch einige Hotels geschafft, denen der Spagat zwischen Stil und erschwinglichen Preisen gelingt. (Innen-)architektonisch herausragende Economy-Häuser wie das Banys Orientals in Barcelona, das Thérèse in Paris, das Gastwerk in Hamburg, das Ku’Damm 101 in Berlin, das Malmaison in Edinburgh, das Guldsmeden in Kopenhagen, das Rival in Stockholm oder das Locarno in Rom erfüllen den selbst gestellten Anspruch, Gästen eine einladende, urbane Atmosphäre zu bieten, ohne die Welt zu kosten.
Der Erfolg gut gestalteter Hotels und die veränderten Ansprüche der stilbewussten Geschäftsreisenden und der genussvollen Metropolen-Touristen hat inzwischen auch zahlreiche konservative Hotelgruppen und individuelle Nobelabsteigen inspiriert. Die lange abwartende Haltung hat sich gelohnt: Schwerfällig, wie etablierte Unternehmen oft sind, haben sie die Avantgarde erst einmal den Markt austesten lassen. Die Zielgruppe für hippe Hotels war in den Neunzigerjahren deutlich kleiner und stand zunächst noch auf das möglichst Ausgefallene, zudem musste man an den Yuppie-Adressen der ersten Stunde Geduld und Verständnis für selbstgefälliges Personal der Kategorie «schön und jung genügt» mitbringen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute ist auch in Design-Hochburgen ein natürlich-souveräner Service gefragt, der flexibel auf die Bedürfnisse des Gastes reagiert. Massiv an Bedeutung gewonnen hat die Frage nach dem «well being» in den Zimmern und öffentlichen Räumen, nach subtil zusammengestellten Materialien, nach Sicherheit, brauchbaren Schreibtischen, angenehmen Badezimmern, authentischer Küche und einem guten Frühstück.
Diese Bedürfnisse nach besonderem Flair und persönlichem Service in ästhetisch gelungener Umgebung sind nicht auf Avantgarde-Hotels beschränkt, auch wenn die agilen Newcomer anfangs einen Vorteil hatten und mit der Kraft neuer Ideen einige Wellen schlagen konnten. So ist es nur logisch, wenn klassische Unternehmen nun vermehrt auf die Nachfrage antworten, indem sie ihre Inhalte unter Beibehaltung ihrer Grundzüge komplett neu definieren und hinter historisch relevanten Fassaden Welten voller Überraschungen kreieren.
Raffles hat dies exemplarisch im Vier Jahreszeiten in Hamburg vorgelebt. Die Mandarin-Oriental-Gruppe setzt in ihren Häusern in London und München auf ein spannendes Wechselspiel von Alt und Neu. Die Orient-Express-Hotels sorgen im Cipriani in Venedig, in der Villa San Michele in Florenz, im Lapa Palace in Lissabon und im Ritz in Madrid für ästhetisches Wohlbehagen und eine Leichtigkeit des Seins. Wer Traditionshäusern Esprit einhaucht, dem Luxus Seele und Ausdruck verleiht, eine Atmosphäre der Offenheit, Ungezwungenheit und Freiheit schafft, kann nur gewinnen. Das ist dann mehr als eine blosse Übernachtungsmöglichkeit – das ist ein königliches Vergnügen.