Der Kunde wolle einmal eine Bratwurst, dann wieder ein Kalbsschnitzel essen. Peter Maissen bemüht die kulinarische Sprache, um das Buchungsverhalten von Schweizer Touristen zu beschreiben. Ausdrücken möchte er damit, dass Reisebürogänger und Direktbucher keine strikt zu trennende Zielgruppen sind.
Viel mehr werde mal da und mal dort gebucht. «Das wichtigste Argument für die Wahl des Angebots ist heute eindeutig der Preis», weiss er. Und dort sind die Direktanbieter klar im Vorteil. Sie verkaufen in der Regel mindestens 10% günstiger, da die normalerweise im Preis versteckte Kommission des Veranstalters an die Buchungsstelle beim Direktverkauf wegfällt.
Maissen kennt die Branche und war vor zehn Jahren Mitgründer von Direkt Reisen, der heutigen Nummer zwei im Direktanbietermarkt. Zusammen mit seinem jetzigen Partner Giuseppe Melena hat er kürzlich das TV-Reiseportal Media Shop Reisen lanciert und konkurrenziert damit Direkt Reisen. Er hofft, den Ferienverkauf via Fernsehen salonfähig zu machen. Zwei Jahre gibt er sich dazu Zeit.
*Tiefe Kosten und relativ hohe Margen*
Auch Direkt Reisen vermutet Potenzial im TV-Reisegeschäft, welches in Deutschland und Grossbritannien längst etabliert ist. Mit Direkt Reisen TV wurde parallel zu Media Shop Reisen ein Fernsehportal aufgebaut. Daneben setzt Direkt Reisen mit den Vertriebsmarken Pickpay, Ackermann und Diga schätzungsweise 40 Mio Fr. um. «Die Margen im Direktvertrieb sind wegen der geringen Vertriebskosten überdurchschnittlich», sagt Geschäftsführer Urs Tanner. Die unbestrittene Nummer eins im Markt ist Vögele Reisen mit rund 100 Mio Fr. Umsatz. Der Anbieter gilt als Pionier des Direktvertriebs und gehört heute zu TUI Suisse. Auch Kuoni buhlt seit wenigen Jahren mit der Direktmarke Reisen Netto (schätzungsweise 25 bis 30 Mio Fr. Umsatz) um die Gunst der Direktkunden. Den Gesamtmarkt im Direktvertrieb schätzen Branchenkenner heute auf rund 400 Mio Fr. In dieser Summe sind neben den genannten und ein paar kleineren Anbietern auch die im Direktvertrieb erwirtschafteten Erträge von Helvetic Tours und M-Travel enthalten. Mit grossen Zeitungsinseraten und Direktbuchungs-Telefonnummern dürften die Günstigmarken der beiden Branchenleader gemäss einem Profi je rund 100 Mio Fr. Umsatz an den Reisebüro-Partnern vorbeischaufeln.
Der Direktvertrieb ist in einer serbelnden Reisebranche das einzige erfolgreiche Segment. Der Anteil am Gesamtvolumen des Schweizer Reisemarktes beträgt heute rund 6%. Tendenz klar steigend. Marktforscher rechnen binnen fünf Jahren mit einer Verdoppelung auf 12%.
Das sind schlechte Nachrichten für die Reisebüros. Diese wurden zuletzt ohnehin arg gebeutelt und erlitten dieses Jahr Einbussen von 15 bis 20%. Jetzt müssen sie auch um die bestehende Kundschaft bangen. «Wir spüren die Konkurrenz durch den Direktvertrieb immer deutlicher», sagt Kurt Stocker. Viele Ex-Kunden würden sich heute einen Billigflug samt Hotel übers Internet herunterladen, beklagt sich der Luzerner Reisebüro-Inhaber. Damit gehen ihm und vielen anderen Reisebüros wichtige Einnahmen flöten. Angebote von Direktvertriebsmarken buchen sie nur ungern, da die Kommissionen lausig sind. Vögele bezahlt 5%, Reisen Netto überhaupt nichts.
*Mehr als 600 Reisebüros verschwunden*
Die Zukunft bringt keine Besserung, im Gegenteil. Schon bald steht den Reisebüros weitere Konkurrenz ins Haus. Ab Ende November operiert neben den zahlreichen deutschen Anbietern mit helvetic.com die erste Schweizer Günstig-Airline ab Zürich. Gemäss den Betreibern sollen schon tausende Flugtickets abgesetzt worden sein. Auf der Website kann bequem auch gleich das passende Hotel gebucht werden. Reisebüro überflüssig. Laut einem Bericht der Fachzeitschrift «Travel Inside» hat inzwischen auch Hotelplan Lunte gerochen und plant mit der Marke Easy per Frühling 2004 den Einstieg im Direktbuchermarkt. Bei der Migros-Tochter hüllt man sich zwar noch in Schweigen, doch ein angestrebtes Marktvolumen im zweistelligen Millionen -Bereich ist für die Nummer zwei im Schweizer Reisemarkt selbstredend.
Für die Reisebüros wird die Luft dünner und dünner. Vielen ist sie bereits ausgegangen. Gemäss dem Fachblatt «Travel Manager» sind in den letzten drei Jahren über 600 Büros verschwunden. Bis Ende 2004 dürfte sich diese Zahl markant erhöhen. Den Direktanbietern kann dies nur Recht sein. Sie überschwemmen den Markt weiterhin mit günstigen Ferienangeboten und machen gute Kasse. Bei Vögele ist man gemäss Sprecher Roland Schmid zuversichtlich, das Umsatzvolumen aus dem letzten Jahr mindestens zu halten. Bei Direkt Reisen werden die Erträge dank dem neuen TV-Reisekanal sogar wachsen. Auch bei Kuoni zeigt man sich über die Entwicklung von Reisen Netto erfreut. Die Ziele seien übertroffen worden, sagt Sprecherin Eve Baumann. Den einzigen Flop in diesem lukrativen Markt produzierte Qualitours. Der Direktanbieter stieg vor drei Jahren mit den Vertriebspartnern Epa und Kiosk AG ins Rennen, musste die Segel aber mangels Erfolg bald wieder streichen.
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Tourismus: Direktanbieter bedrängen Reisebüros
Mit preiswerten Direktverkaufsangeboten graben die Veranstalter Reisebüros Kunden ab. Jetzt steigt Hotelplan auch ein. Die Folge: Immer mehr Reisevermittler müssen die Segel streichen.
Von Robert Wild
am 18.11.2003 - 19:02 Uhr
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