Am grössten Widerspruch sind die Jurassier mitschuldig: Das Trasse der unfertigen Transjurane verläuft nach politischen statt wirtschaftlichen Bedürfnissen. Könnte der junge Kanton seine Autobahn nochmals planen, wäre es gut möglich, dass er sie im Norden von Delémont nach Basel statt in die Ajoie, und gegen Süden von Moutier nach Oensingen statt Biel richten würde.

Offiziell bestätigt diese Vermutung im jurassischen Birstal niemand. Martin Aebi, der aus Bern stammende, kantonale Wirtschaftsförderer, gibt aber unumwunden zu: «Man müsste Basel gleich gewichten wie die Ajoie, und ein Einwanderungs- oder Innovationsschub aus Zürich ist nahe liegender als aus dem Genferseegebiet.» Die «Kommunikationswege» ins solothurnische Mittelland und ostwärts seien heute mindestens so wichtig wie jene nach Biel oder Frankreich.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Am konkretesten zeigt sich das an der Schaffung des nordwestschweizerischen Tarifverbundes im öffentlichen Verkehr: Mitglieder sind Aargau, Solothurn, die beiden Basel, Jura und Bern-Mittelland.

Regierungsmitglieder an der Demo auf dem Bundesplatz

Die Transjurane sollte die isolierten Regionen, insbesondere den neuen Kanton und den Berner Jura, näher zueinander bringen. Wirtschaftlich betrachtet hat dieses Postulat an Gewicht verloren. Doch dass die A16 25 Jahre nach ihrer Planung eine andere Richtung nehmen könnte, ist illusorisch. Derzeit ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt fertig gestellt wird.

Das zumindest befürchten manche Jurassier, nachdem der Bund angekündigt hat, den Bau aus Spargründen um einige Jahre hinauszuzögern. Deswegen versuchten sogar Regierungsmitglieder in ihrem kürzlichen Strassenprotest in Bern klarzumachen, warum eine Autobahn mehr ist als eine Autobahn: Es gehe um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihrer Region schlechthin.

Man kann den Jurassiern die übersteigerte Hoffnung nicht verübeln: «Aus dem Bauernkanton Freiburg machte die Autobahn in den 80er Jahren eine wirtschaftlich prosperierende Region», sagt Aebi. 1970 hatten die Jurassier noch mehr im Portemonnaie als die Schwyzer, heute verdienen sie bedeutend weniger als die Autobahnbenutzer an Sihl oder Saane. Die Evidenz eines positiven Autobahneffekts scheint bestätigt.

Die A16, so die jurassische Hoffnung, soll das regionale Portefeuille moderner Fabriken vergrössern, qualifizierte Arbeitskräfte anlocken oder wenigstens vom Abwandern abhalten und dem Staat eine «liberale Politik mit sozialem Souci» ermöglichen.

Kein Wunder reagieren viele Jurassier empfindlich, wenn ihre Autobahn in Bern unter den Sparhammer kommt: 2500 von 34 000 Arbeitsplätzen hängen an der Transjurane, weitere 2500 indirekt.

Allein in Boncourt oder am autobahnlosen Ostende von Delémont warten 30 Hektaren Industriezone auf gewerbliche Besiedlung. «Wie sollen wir potenziellen Investoren erklären, dass die versprochene Autobahn erst 2020 kommt?», sieht Aebi die Glaubwürdigkeit jahrelanger Promotionsanstrengungen schwinden.

Dass auf Autobahnanschlüsse betriebliche Investitionen folgen, kann die Delsberger Wirtschaftsförderung beweisen: Mit der Eröffnung der beiden Tunnels Mont Russelin und Mont Terri, welche die Fahrzeit zwischen den drei Regionen Delémont, Saint-Ursanne und Ajoie um die Hälfte verkürzen und Pendlern wie Lastwagen die winterlich gefährliche Strecke über Les Rangiers ersparen, hätten sich neue Firmen mit Hunderten von Arbeitsplätzen angesiedelt oder zum Bleiben entschlossen.

Deutsche Investitionen in Saint-Ursanne

Das beste Beispiel ist das einst nach allen Seiten geographisch isolierte Saint-Ursanne, wo die deutsche Benteler eine traditionelle Fabrik übernommen und 300 Arbeitsplätze geschaffen hat. Sie fertigt Tonnagen, die jeweils innert kürzester Fristen in deutschen Automobilwerken eintreffen müssen. Über den Pass könnte Benteler seine Fracht wohl nicht transportieren.

Die Studie «Transjurane, hat sie ihre Versprechen gehalten?» zählt weitere, positive Begleiterscheinungen auf: Der Aushub der A16 förderte Dutzende von archäologisch wertvollen Fragmenten zutage. Die Saurierspuren von Courtedoux sollen sogar dem Standard eines Unesco Welterbes genügen, was wiederum den Tourismus im Jura belebe. Die Studie stellt auch den Strom der Grenzgänger dar, die sich aufgrund besserer Verbindungen seit Anfang der 90er Jahre auf 4000 täglich verdoppelt hätten.

Mehrheitlich positiv wirke sich die Transjurane auch auf die Landwirtschaft aus: In der Ajoie, der Kornkammer der Nordwestschweiz, funktionierte die Agrarlandpolitik noch nach katholischem Erbrecht. Die A16 löste eine umfassende Güterzusammenlegung aus, was die Bewirtschaftung effizienter und gegenüber den nahen EU-Bauern konkurrenzfähiger macht.

Pikanterweise werden die Vorteile in derselben Studie wieder relativiert: Die Anzahl neuer Firmen und Arbeitsplätze war im Jura zwischen 1999 und 2002 niedriger als im schweizerischen Mittel. Wichtige Unternehmen würden sich noch nicht für den Jura entscheiden. Die Umlagerung vom sekundären zum wirtschaftlich einträglicheren tertiären Sektor komme im Jura verspätet und gehe schleppender voran als im Rest des Landes. Die Bevölkerungszahl stagniere. Die Studie erwartet bis 2020 sogar mehr Aus- als Einwanderung.

Fragt man nach dem Effekt der Autobahn bei den Unterneh-men oder Gewerbebetrieben, hört man widersprüchliche Antworten: Francis Koller, Tornos-Verkaufschef, spricht von einer «spürbaren, aber noch nicht befriedigenden Verbesserung» seit das bernische Moutier auf 20 km ans vorläufige Autobahnende herangerückt ist. Er verbindet seine Hoffnung mit den aus der Region Biel oder dem Nordjura leichter anreisenden Fachkräften, die mittelfristig, weil das Geschäft im Birstal wieder anziehe, zahlreicher gebraucht würden.

Umfahrenes Gewerbe auf der Verliererseite

Darum ist ihm jegliche Verzögerung der Transjurane ein Dorn im Auge; insbesondere der seit Monaten festsitzende Tunnelbohrer vor seinem Bürofenster: «Wir brauchen die Autobahn jetzt, um das aktuelle, wirtschaftliche Potenzial ausschöpfen zu können.» Immerhin räumt aber auch Koller ein: So «absolut vital» wie das teilweise behauptet werde, sei die Transjurane dann doch nicht.

Für Einzelne bewirkte sie sogar das Gegenteil: In den einstigen Transitdörfern um Les Rangiers beklagen sich Gewerbetreibende laut Studie über ausbleibende Kundschaft. Eine Pruntruter Detailhändlerin begründet ihren kürzlichen Bankrott sogar mit der Transjurane. Weil sie nicht als Nestbeschmutzerin gelten wolle, berichte sie lieber anonym von der wirtschaftlichen Misere, welche die Autobahn dem Pruntruter Gewerbe gebracht habe: «Das Volk fährt durch den Tunnel in den Supercoop nach Bassecourt zum Einkaufen. Unsere Grosskunden wie Kantinen und Restaurants werden mit über die A16 rollenden Vollsortimenten auswärtiger Handelshäuser bedient.»

Auf halber Baustrecke ist der wirtschaftliche In- und Output der Transjurane heute etwa so manifest, wie es ein Wirtschaftsstudent 1981 in seiner Abschlussarbeit geweisssagt hatte: «Die positiven und negativen Effekte einer derartigen Infrastruktur gehen Hand in Hand.» Matchentscheidend sei eine kluge Wirtschaftspolitik.