Derzeit läuft eine riesige, versteckte Umwälzung von Direktinvestitionen. Milliarden fliessen in die Schweiz und Milliarden wieder weg. Sie betrifft fast nur Konzerne, wahrscheinlich überwiegend US-Konzerne mit Tochterfirmen in der Schweiz.
Dies zeigen zwei neue Zahlen, die die Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) diese Woche publiziert hat. 2018 wurden 334 Milliarden Franken in die Kapitaleinlagereserven von hierzulande domizilierten Holdings eingelegt, rund ein Drittel mehr als in den Vorjahren. Im gleichen Jahr flossen 308 Milliarden Franken wieder ab, drei Mal mehr als in den Vorjahren! Der Betrag entspricht fast der Hälfte der Schweizer Wirtschaftsleistung. Doch niemand spürte dies in Form von massiv mehr Umsatz oder Lohn.
Was also ist passiert?
Viel Kapital floss steuerfrei in die Schweiz
Die Steuerverwaltung tappt im Dunkeln. Zwei Quellen gehen vom folgenden Szenario aus:
Erstens saldierten Töchter von US-Firmen in der EU Ihre Zweitsitze, zum Beispiel EMEA-Hauptquartiere. Sie taten dies formal-juristisch, indem sie ihre EU-Töchter an Schweizer US-Tochterfirmen verkauften. Damit floss viel Kapital als steuerfrei deklarierte Kapitaleinlagereserve in die Schweiz. Darum hat auch die Steuerverwaltung davon erfahren, denn die Konzerne müssen sich die Reserven als steuerfreie Einlage bewilligen lassen. Und deshalb zeigen diese neuen Zahlen die Bewegungen.
Zweitens und oft parallel, transferierten US-Mutterkonzerne Kapitalreserven in die USA, so dass Kapital in dieser dreistelligen Milliardenhöhe abfloss.
Für die Transfers gibt es laut Steuerexperten drei Motive:
Erstens: Die EU-Zweitniederlassung wird saldiert, weil sie neuen internationalen Steuerrichtlinien der OECD nicht mehr genügt. Diese heissen BEPS (Base erosion profit shifting). In den Richtlinien heisst es auch, dass eine Betriebsstätte genügend «Substanz», also echte wirtschaftliche Aktivität enthalten muss – darunter Personal, Forschung oder Produktion.
Zweitens: Die US-Mutter ruft das bei der Schweizer Tochter parkierte Kapital zurück in die USA, weil Präsident Donald Trump US-Konzernen mit unversteuertem, ausländischem Gewinn eine attraktive Steuerofferte gemacht hat. Führt ein US-Konzern ausländisch generierte Erträge in die USA zurück, kann er sie zu einem Satz von 8 bis 15 Prozent versteuern. Viel tiefer, als in den meisten Ländern.
Drittens: Bis letztes Jahr galt in der USA eine Steuererleichterung für überwiesene Dividendenzahlungen aus der Schweiz. US-Tochter, die Gewinne in die USA verschieben, zahlen hierzulande eine Verrechnungssteuer von 5 Prozent bei Auszahlungen als Dividenden. Dieses Geld, zum Teil in Milliardenhöhe konnte in den USA von der Steuerzahlung abgezogen werden. Das machte die Rückführung der Kapitalien besonders attraktiv. «Dieser Umstand hat die Kapitalverschiebungen wohl noch verstärkt», sagt Armin Marti, Steuerexperte der PWC Schweiz.
Die Steuerreform ist entscheidend
Marti ist eine der beiden Quellen. Die andere will anonym bleiben, weil sie exklusiven Einblick in die Konzernstrukturen hat. Marti bestätigt, dass die oben skizzieren Vorgänge für die Zu- und Abflüsse der Hauptgrund sein dürften. «Es gibt einen Vorgeschmack darauf, was passieren wird, wenn alle Staaten die neuen BEPS-Steuerregeln umsetzen». Die Schweiz wird Gewinnerin und Verliererin sein. «Im besten Fall gleichen sich die Kapitalzu- und Abflüsse aus», sagt Marti. Die Schweiz setzt die BEPS-Grundsätze mit der Steuerreform um, die am 19. Mai 2019 wohl zur Abstimmung kommt. «Wird sie abgelehnt, könnte die Zahl der Abflüsse stark zunehmen, ohne dass neues Kapital hinzufliesst», glaubt Marti.