Es giesst wie aus Kübeln an diesem späten Sonntagnachmittag. Auch das ist der Sommer 2003. Und weil das Wetter noch nie ein wirklicher Hinderungsgrund war, treffen sich die Luzerner Turbogolfer zum sonntäglichen Spiel. Turbogolfer? Guido (32), Golfername «Granddaddy», Urs (27) «Lefthandwithbaggystands» und Benji (26) «Turbowolf» spielen Golf abseits der normalen Greens und Roughs, abseits von golf-üblichen Konventionen. Sie spielen dort, wo sonst Hundehalter ihre Vierbeiner Stecken apportieren lassen, wo Baumaschinen rackern, wo Kies gefördert wird. Golf mit Bierdose und Ghettoblaster eben.
«Eigentlich geht es mir weniger um das Golfen als solches, als darum, etwas Normales aufzubrechen», wird Urs später philosophieren. Für ihn könnte «Turbo» noch vor ganz anderen Sportarten stehen. «Man sollte generell mehr «turbo» sein», sagt er. Ohne die branchenübliche Portion Selbstironie.
Achtung Gefahr: Steinschlag
Die Piste liegt einige Kehren oberhalb von Horw, nahe dem Wasserreservoir Obergrisigen. Die stillgelegte Kiesgrube ist einer der Spielorte des 1999 gegründeten Klubs der Turbogolfer. 15 männliche Mitglieder zählt der Klub, «Frauen sind herzlich willkommen, können aber nicht Mitglied werden», erklärt Präsident Benji. «Wenn Frauen dabei sind, dann verhalten wir uns einfach nicht wie sonst. Das macht die Natur.»
Nach einem kurzen, satten Aufstieg wird die Zielfahne auf einer Terrasse der Grube gesetzt, von dort geht es ein enges Couloir hinauf zum Abschlagort. Der Donner grollt böse, als wollte er die Turbogolfer nicht hier oben haben. Dem Regen wird mit nacktem Oberkörper getrotzt. Kann man in dieser Steinwüste sportlichen Ruhm erkämpfen? «Es geht weniger um Ruhm für den Sieger, als um die Schmach für die Verlierer», sagt Linkshänder Urs trocken. Schön gesagt.
Ein paar Schläge und Sprüche weiter unten, nach Kletter- und Ballsuchaktionen, kracht es plötzlich. Ein Steinschlag donnert hinten im Couloir nach unten, dort wo man vorher noch spielte. Nicht ungefährlich, das trendige Turbogolfen.
Turbogolf ist ein Ableger des Natural Born Golf (NBG), Anfang der 90er Jahre vom Hamburger Thorsten Schilling erfunden. Der bald 40-jährige Filmausstatter beim TV-Sender Sat1 hatte im Fundus einst zufällig ein paar Golfschläger gefunden; und statt diese in einem Klub auszuprobieren, ging er damit einfach ins freie Gelände. Die Variante der Löcherjagd war geboren. Die NBG-Hochburgen sind heute Hamburg und Berlin. Es werden auch internationale Turniere gespielt.
In der Schweiz waren die Luzerner die Pioniere, inzwischen gibt es einige weitere Sektionen in und um Luzern und in anderen Kantonen.
Von der Variante des Turbogolfs, Crossgolf, distanzieren sich die Turbos, weil dort mit Meisterschaften und Bewilligungen alles bereits zu reglementiert ablaufe. «Das ist der Inbegriff des Spass-Spiessertums», sagt Urs. Benji definiert: «Wir sind Turbogolfer. Und daran ist nichts fun und nichts crazy.» Bei den Turbos legt man Wert auf Echtheit. Das Gefühl und die Etikette müssen stimmen. Darum lehnte man einen 100000-Fr.-Deal(!) des Getränkeherstellers Sprite für eine gesponserte Tour ab. «Zu viele Auflagen, zu viel Organisation», sagt Benji und winkt ab.
Luzerner sind die schweizer Pioniere
Wie beim Rasengolf ist die Technik eminent wichtig. Auch wenn man natürlich die gewöhnliche Golf-Noblesse nicht eben hoch hält: Liegt der Ball schlecht, müssen die Schläger zur Terrainbearbeitung herhalten. Wildes Hacken im Kies ist an der Tagesordnung. Eines der unzähligen Golf-Lehrbücher ist immer in der Schlägertasche. Das Lieblingskapitel der Turbos: Die «Troubleshots». Guido: «Der Ball liegt in einer Pfütze. Gib mir das P-Eisen.» Benji zitiert auswendig: «60% des Gewichts auf das linke Bein, nur zu drei Vierteln aufziehen, den Schläger kurz fassen und dann mit Kraft schlagen.» Guido schlägt, Dreck spritzt in die Luft, der Ball fliegt wenig mehr als 1 m. Hauptsache Fun pardon, Spass.
Turbogolf
St. Andrews Light-Version
- Regeln
Prinzipiell wird nach den normalen Golfregeln gespielt. Bei den Luzerner Turbogolfern bestimmt die Klubeintritt-Reihenfolge die Abschlagordnung (Ehre), danach schlägt immer derjenige zuerst den Ball, der am weitesten vom Ziel entfernt liegt. Geht ein Ball verloren, setzt der Spieler einen neuen unter Anrechnung eines Strafpunktes. Pro Bahn können maximal zehn Schläge gespielt werden. Spezialschlag: Drop-your-pants-joke alles oder gar nichts. Ist einmal pro Spiel erlaubt und wird nicht angerechnet. Taktisches und humoristisches Einsatzmittel.
- Spielorte
Gespielt wird bei der ehemaligen Häuserkampf-Militäranlage auf der Luzerner Allmend, in Kiesgruben («Neuenkirch ist top!»), auf Baustellen, in Parks («Auf der Luzerner Aufschütti im Winter morgens um 10 Uhr»), auf stillgelegten Fabrikarealen und in brachliegendem Gelände.
- Ausrüstung
Schläger: Alles Secondhand-Material aus verschiedenen Quellen (Flohmarkt, ausgediente Schläger von normalen Golfern usw.). Bälle: Das Stück kostet rund 2 Fr. Tenu: Der Stil muss stimmen. Converse statt Lacoste. Getränke: Das günstigste Dosenbier. Dosen zerbrechen nicht und lassen sich hin und wieder auch zum Abschlag gebrauchen. Die Turbogolfer legen Wert darauf, zu erwähnen, dass sie auch Nicht-Biertrinker in ihren Reihen haben.(jema)
Golf und Liebe
«Meine Begeisterung für das Spiel hat abgenommen, seit ich etwas Interessanteres als Golf gefunden habe meine Frau.»
Bruce Leitzke