Bringt die Zeit nach Corona ein Umdenken bezüglich Reisetätigkeit? Weniger häufig, dafür bewusster verreisen? Nicht mehr auf Billigflugschnäppchen, sondern mehr auf Nachhaltigkeit bedacht? Trendforscher glauben, dass mindestens ein Teil der Reisefreudigen so ticken könnte. Dass die Ära der europäischen Nachtzüge wieder auflebt, deutet ebenso darauf hin.
Ebenfalls in diese Richtung denkt Luca Bortolani. Der studierte Volkswirt HSG und ehemalige Ikea-Mann plant nichts weniger als den «Nachtbus der Zukunft». Mit seinem Zürcher Unternehmen Twiliner will Bortolani Bus-Nachtreisen in Europa «emissionsarm, flexibel einsetzbar und ausgestattet mit innovativen Komfortsitzen» anbieten.
Migros an Bord
Was der touristische Quereinsteiger vorhat, klingt kühn. Aber Bortolani hat prominente Partner. Zum einen Engagement Migros. Der Förderfonds der Migros-Gruppe wird unter anderen von den Unternehmen Denner, Migros Bank und Migrolino getragen. Jährlich stehen 15 Millionen Franken an Grants (Beiträge à fonds perdu) zur Verfügung. Corinne Grässle, Projektleiterin Kreislaufwirtschaft und Mobilität bei Engagement Migros, sagt: «Twiliner schliesst im Bereich der nachhaltigen Mobilität eine Lücke: Der Nachtbus der Zukunft ergänzt das Nachtzugnetz in Europa und bietet somit eine weitere ökologische Alternative zu Flugreisen.»
Zusätzlich hat Bortolani zwei prominente Köpfe in seinem Advisory Board: Heinrich Marti vom gleichnamigen Bus- und Gruppentouristikunternehmen sowie Urs Rickenbacher, Chef von Lantal, einem Schweizer Unternehmen für Innenausstattungen für Flugzeuge, Busse, Bahnen. Rickenbacher glaubt, dass Twiliner von der Renaissance der Nachtzüge profitieren und dies auf die Strasse bringen könnte. Was es nun brauche, sei «ein idealer, interessierter Partner für die Entwicklung eines nachhaltigen, intelligenten Sitzes».
Stellen sich Passagiere längere Fahrten im Komfortnachtbus vor, denken sie wohl an eine bequeme Schlafposition. Doch hier stellt sich Twiliner eine Hürde auf: Es wurden bis dato keine Rückhaltesysteme entwickelt und zugelassen, die den sicheren und komfortablen Transport liegender Passagiere ermöglichen.
Beim Astra auf taube Ohren gestossen
Bortolani hat viel Arbeit vor sich. Er gibt sich optimistisch: «Wir haben unsere Lösung dem Bundesamt für Strassen (Astra) vorgestellt, sind dort aber auf taube Ohren gestossen. Wir bleiben dran.» Busreisen in bequemer Liegeposition sind in einigen Ländern Asiens und Südamerikas verbreitet. Und das US-amerikanische Startup Ridecabin fährt an der US-Westküste mit Bussen mit «First class lay-flat seats» (erstklassigen Sitzen, die sich flach auslegen lassen). Die Konfiguration von Ridecabin erinnert an Schlafkapseln.
Bortolani sagt: «Wir bieten eine ähnliche Lösung wie Ridecabin, aber mit einem anderen Ansatz.» Was wohl heissen soll: ausruhen ja. Aber nicht im Kaninchenstallinterieur. Grundsätzlich plant Bortolani 16 bis 18 Sitze pro Bus. Bezüglich Antriebsart setzt er «primär auf künstlich hergestelltes Gas, in einer zweiten Priorität auf E-Diesel oder Biodiesel, hergestellt aus erneuerbaren Energien».
Skeptische Mobilitätsprofis
Fachleute beurteilen das Projekt skeptisch: «Ich sehe in Europa keine Nische für ein solches Angebot», sagt der Schweizer Mobilitätskommunikationsberater Kurt Metz. «Twiliner müsste gegenüber bestehenden Verkehrsmitteln wie Bahn, Bus und Flug wenigstens einen entscheidenden Vorteil bieten. Einen solchen Nutzen kann ich bisher nicht ausmachen.»
Etwas offener gibt sich Thomas Sauter-Servaes, Leiter des Studiengangs Verkehrssysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW): «Spannende Sache, aber schwierig umzusetzen. Um ein junges Publikum anzuziehen, müssten die Preise mit jenen der Billigflieger konkurrieren können. Das wird aber kaum möglich sein. Das Komfortniveau der Nachtzüge, deren Kabinen teils mit Duschen ausgerüstet sind, wird Twiliner nicht bieten können.» Und: «Twiliner müsste Destinationen anbieten, die bisher nicht vom Nachtzug bedient werden.»
Preise auf Niveau von Nachtzügen
Hier hakt Bortolani ein. «Wir möchten Nachtzüge nicht konkurrieren, sondern ergänzen.» Grundsätzlich sei angedacht, auf Strecken aktiv zu werden, auf denen noch keine Nachtzüge aktiv seien, in Ausnahmefällen, etwa zu Ferienzeiten, könnten auch einmal gleiche Strecken bedient werden. Bezüglich Pricing wolle man sich nicht mit Billigfliegern messen, sondern sich am Niveau der Nachtzüge orientieren. Attraktive Routen könnten Zürich–London (pro Fahrt 14 Stunden) oder Genf–Brüssel (10 Stunden) sein.
Bis es so weit sei, werde es aber noch dauern, sagt Bortolani: «Wir rechnen mit einer ersten Version im Sommer 2022.»