Verglichen mit dem Vorjahr war die Reise dieses Mal richtig behaglich. Als sich Verwaltungsrat und Konzernleitung der UBS im September 2011 nach dem Londoner Zwei-Milliarden-Debakel in Singapur trafen, wurden die Lenker der grössten Schweizer Bank von den Journalisten noch in den Lift verfolgt, und der damalige Konzernchef Oswald Grübel konnte kaum mehr einen Schritt tun, ohne nach seinem Rücktritt gefragt zu werden.
Dieses Mal war zwar die Anreise zeitraubender. Ende September traf sich der Verwaltungsrat zu seiner Herbsttagung in Sydney, und auch die Konzernleitung war wieder einbestellt. Doch der Medienrummel blieb aus: Kein Journalist hatte von dem Treffen am anderen Ende der Welt erfahren. Der neue Verwaltungsratspräsident Axel Weber, noch immer auf Erkundungstour im weltumspannenden UBS-Reich, hatte seine zweiwöchige Asienreise mit der so wichtigen Sitzung in der australischen Hafenstadt verbunden und dürfte erstaunt gewesen sein über die Dimensionen des UBS-Geschäfts auf dem fünften Kontinent: 1600 Mitarbeiter, Standorte in Sydney, Melbourne, Auckland, Brisbane – und die Krise in weiter Ferne. Die «UBS dominiert die Finanzmärkte Australiens und Neuseelands», brüstet sich die Bank dort unschweizerisch unbescheiden.
Besonders für einen Mann war die Reise von entscheidender Bedeutung: Konzernchef Sergio Ermotti. Ein Jahr zuvor hatte der Verwaltungsrat den Tessiner in Singapur vom wenig einflussreichen Europa-Chef zum Interims-CEO befördert, eine halbherzige Nominierung des Kontrollgremiums, die die sechs Wochen bis zu seiner definitiven Bestellung eher spassfrei machten. Jetzt war er nach Sydney gekommen, um vom Verwaltungsrat grünes Licht zu bekommen für das aggressivste Sparpaket, das je ein Chef einer Schweizer Grossbank seinen Mitarbeitern präsentiert hatte: mindestens zehntausend Arbeitsplätze weg, davon mindestens ein Viertel in der Schweiz, verbunden mit einer brutalen Schrumpfkur für die Investmentbank.
Bereits im Juni hatte das Kontrollgremium über verschiedene Umbaupläne beraten, und schon dort hatte Ermotti für die aggressivste Variante geworben. Die Konzernleitung hatte er in Sydney geschlossen hinter sich: Sie hatte die scharfe Schrumpfkur ausführlich diskutiert und abgesegnet. Ermotti, deutlich kooperativer im Führungstil als sein Vorgänger Grübel, hatte die neun Kollegen ausführlich zu Wort kommen lassen. Auch von Wealth-Management-Chef Jürg Zeltner und Schweiz-Chef Lukas Gähwiler, in der Presse später als Kritiker von Ermottis Radikalkur gehandelt, waren bei den Sitzungen keine Widerworte zu vernehmen. «Es waren alle zu hundert Prozent dafür», heisst es aus dem Führungszirkel.
Jetzt ging es in Sydney darum, den Verwaltungsrat hinter sich zu scharen – und das gelang Ermotti vollständig. Nicht nur Präsident Weber unterstützte die von Ermotti favorisierte radikalste Variante der Schrumpfkur ausdrücklich. Auch von jedem anderen der elf VR-Mitglieder liess sich Ermotti explizit die Unterstützung zusichern. Es folgten in der letzten Oktoberwoche Sitzungen mit Verwaltungsrat und Konzernleitung in New York und dann am Montag, dem 29. Oktober, einen Tag vor Bekanntgabe, die definitive Absegnung durch den Verwaltungsrat. Doch da ging es nur noch um Details und Formalien. «Den Durchbruch erzielte Ermotti in Sydney», betont ein Teilnehmer.
Harter Gang. Die volle Unterstützung des Verwaltungsrats war für ihn so wichtig, weil er von dem harten Gang wusste, der ihm bevorstand. Einen Abbau dieser Dimension auf einen Schlag hat es in der Schweiz noch nicht gegeben. Eine Kostprobe des Widerstands bekam er bereits zehn Tage nach seiner Rückkehr aus Australien zu spüren. Am 13. Oktober, zweieinhalb Wochen vor Bekanntgabe des Abbauprogramms, berichtete der «Tages-Anzeiger» in seiner Samstagsausgabe von einem Abbauprogramm von bis zu 10 000 Stellen, davon ein Drittel im 8500 Mitarbeiter starken IT-Bereich. Ermotti meldete sich noch am selben Abend zu Wort und zeigte sich «persönlich enttäuscht, weil es Leute in der Bank gibt, die unverantwortlich oder lediglich in ihrem eigenen Interesse handeln, indem sie zu diesen Spekulationen beitragen». Die «SonntagsZeitung» ortete einen Machtkampf zwischen Ermotti und den angeblichen Abbaugegnern Zeltner und Gähwiler und titelte: «Ermotti kämpft ums Überleben». So ist das eben, wenn man sich mit den Besitzstandswahrern im Heimmarkt anlegt: Selbst der hartgesottene Oswald Grübel, etwaiger Sentimentalitäten unverdächtig, wusste um den politischen Sprengstoff und die Reputationsgefahr eines Radikalabbaus in der Schweiz und widerstand der Versuchung.
Doch der 52-jährige Tessiner, nicht sozialisiert im engen und medial überhitzten Zürich, hat eine andere Optik. Bankchefs haben in diesen Tagen nur eine kurze Halbwertszeit, das weiss er als vierter CEO in fünf Jahren nur zu gut. Deswegen handelt er schnell und entschlossen – gerade drei Jahre gibt er sich für den Radikalumbau Zeit, eines ist davon schon vorbei. Bis 2015 will er sein Programm durchgezogen haben.
Intern geht man sogar von noch härteren Schnitten aus: So könnte die UBS dann statt der angekündigten Reduktion von 64 000 auf 54 000 Mitarbeiter nur noch 50 000 Arbeitsplätze haben, und die neue Investmentbank, die gemäss den Umbauplänen nur noch 30 statt 60 Prozent des Eigenkapitals binden soll, würde nur mit 20 Prozent des Kapitals arbeiten. Der Zeitpunkt ist günstig: Die Bank kann sich die Schrumpfkur mit Restrukturierungskosten von 3,3 Milliarden Franken leisten. Sie ist nach den neuen Basel-III-Regeln die höchstkapitalisierte Grossbank der Welt (siehe Grafik unter 'Downloads'), und diese komfortable Situation verdankt Ermotti seinem Vorgänger Grübel, daran lässt er intern keinen Zweifel, auch wenn er manche Spitzen seines Vorgängers kaum goutiert: «Ossi hat die Bank gerettet.»
Jetzt will er die nächste Stufe zünden. Dass er unsentimental handeln kann, hat er schon bei Merrill Lynch bewiesen. In den neunziger Jahren musste er das mühsam aufgebaute Kapitalmarktgeschäft von Merrill Lynch in der Schweiz schliessen, und vor zehn Jahren baute er als Co-Chef des globalen Aktienhandels bei der US-Investmentbank 2000 der 6000 Mitarbeiter seines Bereichs ab.
Dabei geht es nicht nur um den Abbau des Investment Bankings und die Auslagerung der nicht zukunftsträchtigen Geschäfte in eine Bad Bank. Im Investment Banking lassen sich viele Geschäfte schon durch die neuen Basel-III-Kapitalvorschriften nur noch schwierig profitabel betreiben. Bisher reden die Banken zwar viel von der Reduzierung ihrer Bilanzen, doch passiert ist herzlich wenig: In den letzten drei Jahren haben nur die UBS, Morgan Stanley und die Bank of America ihre Geschäfte nennenswert reduziert (siehe Grafik unter 'Downloads'). Bei der CS ist die Bilanz sogar gewachsen – obwohl die im internationalen Vergleich deutlich schärferen Schweizer Regeln vor allem das kapitalintensive Zinsengeschäft in die roten Zahlen drängen.
Der Abbau des Investment Bankings betrifft die UBS in der Schweiz massiv: In Opfikon, nördlich von Zürich, ihrem Schweizer Investment-Banking-Sitz, beschäftigt sie fast 2500 Mitarbeiter und war dort in guten Jahren mit grossem Abstand grösster Steuerzahler. Jetzt droht auch dort in grossem Stil die Axt, genauso wie in der Abwicklung und der Informatik in Zürich Altstetten. Interessanterweise beklagen vor allem die Kreise, die nach scharfer Regulierung riefen, den heftigen Abbau. So forderte etwa SP-Chef Christian Levrat, dessen Partei als Regulierungsturbo auftrat: «Wenn Tausende Stellen gestrichen werden sollen, muss dies über natürliche Fluktuation erfolgen und nicht über Entlassungen.»
Viel Fett. Doch was den Umbau einschneidender macht, ist der zweite Strang. Die UBS hat wie alle Grossbanken in den Jahren vor der Finanzkrise sehr viel Fett angesetzt. «Wenn wir eines Tages herausfinden, dass wir bei der UBS 6000 Leute zu viel haben, müssten Sie mich umgehend entlassen», kommentierte Grübels Vorvorgänger Peter Wuffli vor seinem jähen Fall im Jahr 2007 noch süffisant den Stellenabbau der Konkurrenz. Doch schon damals war die Bank von schlanken Strukturen meilenweit entfernt – im Gegenteil: Es wurde üppig aufgestockt. Und dann nie Gegensteuer gegeben: Trotz Beinahe-Kollaps im Jahr 2008 sind die harten Schnitte bisher ausgeblieben.
«Industralisierung des Bankgeschäfts», lautet der Modebegriff, der schon seit einigen Jahren durch die Führungsetagen geistert. Doch bisher reden alle nur davon. Von den 64 000 Mitarbeitern der UBS arbeiten nicht einmal die Hälfte direkt mit Kunden, auf jeden Angestellten an der Front kommen 1,2 Mitarbeiter in Back Office und Support-Funktionen – und das zu üppigen Salären: Die Cost-Income-Ratio, mit der die Banken die Kosten im Vergleich zum Ertrag berechnen, beträgt über 80 Prozent. Mehr als 90 Prozent der Verarbeitungskette liegen noch immer in der Hand der Banken, bei einem Autohersteller wie Porsche liegt die Fertigungstiefe dagegen bei nur noch etwa 40 Prozent. Allein in der IT gilt nur ein Drittel der mehr als 8000 Mitarbeiter als wirklich zentral für die Sicherheit, die Tätigkeiten des Rests liessen sich deutlich billiger auslagern. Gleiches gilt für die Abwicklung der Kundenaufträge, das Controlling oder sogar den Personalbereich.
Ermotti will der Erste sein, der diese Industrialisierung umsetzt, weil er nur so die Erosion des Kerngeschäfts stoppen kann: Das Private Banking nach altem Schwarzgeldmuster ist tot, die Margen sind im freien Fall, die Käufer von Anlageprodukten sind ins Koma gefallen. Dadurch wird aus der Radikalkur eben auch ein Angriff auf die gut verteilten Pfründen innerhalb der Bank. Dass Ermotti als Tessiner nicht in den Deutschschweizer Netzwerken verhängt ist und den Grossteil seiner Bankerjahre in London, New York und Mailand verbrachte, ist da sicher ein Vorteil.
Er will etwas bewegen, und das hat er mit dem zweiten entscheidenden Mann des Umbaus gemein: Axel Weber. Einmal die Woche trifft sich Ermotti mit dem Präsidenten zum Jour fixe und sucht seine Wellenlänge – offensichtlich erfolgreich: «Es muss bei Mitarbeiterzahl und Entlöhnung zu deutlichen Anpassungen kommen», sagte Weber Anfang Oktober direkt nach seiner Rückkehr aus Australien bei der KOF-Prognose-Tagung. Der 55-jährige Deutsche, als früherer Bundesbank-Chef an die ruhigeren Abläufe einer Behörde gewöhnt, findet vor allem Gefallen an der Zähmung der Investmentbank. Die nächsten zehn Berufsjahre wolle er als UBS-Präsident verbringen, betont er gern – und die Hauptbedrohung dafür sind Unfälle wie die des Londoner Crashhändlers Kweku Adoboli. Die sind jetzt sehr viel unwahrscheinlicher geworden.
Weber ist noch stärker in der Einarbeitungsphase als Ermotti. Zwar staunt die Führungscrew über sein Beziehungsnetz auf internationaler Ebene, in das er zwölf Jahre investiert hat, und die Rolle des globalen Finanzgranden gefällt ihm sichtlich. Nach seiner fast zweiwöchigen Asien-Pazifik-Tour kam er Anfang Oktober kurz zurück nach Zürich, um dann wieder zur IWF-Jahrestagung nach Tokio und zum anschliessenden Treffen der Group of Thirty, einem hochkarätigen Think Tank von Notenbankern, Regulatoren und Wissenschaftlern, abzufliegen.
Eine Art Chefökonom. In der Bank ist Weber noch nicht stark sichtbar – die Mitarbeiter nehmen den früheren Professor eher als eine Art Chefökonomen wahr. Als er etwa bei der KOF-Jahrestagung über den «Finanzplatz Schweiz – Chancen und Herausforderungen» referierte, widmete er sich ausführlich den Konjukturaussichten in Asien und den USA. Zur UBS blieb er eher vage.
Natürlich beäugen sich die zwei UBS-Lenker genau. Dass das Schweizer Bankengesetz dem Präsidenten jegliches operatives Eingreifen verbietet, ist beiden bewusst. Vereinbart haben sie, dass Weber freien Zugang zur gesamten Konzernleitung hat, aber keinen direkten Kontakt zur nächsten Hierarchieebene aufnimmt. Ermotti darf sich im Gegenzug auch bilateral mit dem gesamten Verwaltungsrat austauschen.
Sein Vorteil: Zu den zwei starken Männern des Kontrollgremiums hat er einen guten Draht. Durch seine 17 Jahre bei Merrill Lynch spricht er die Sprache der Investment Banker und pflegt so zum Vizepräsidenten und Lead Director David Sidwell, dem früheren Morgan-Stanley-Finanzchef, ein deutlich besseres Verhältnis als sein Vorgänger Grübel, der mit Sidwell des Öfteren aneinandergeriet.
Noch enger ist die Verbindung zum Hedge-Fund-Pionier und heutigen Investor Rainer-Marc Frey: Ihn kennt er seit mehr als zwanzig Jahren, als er im damals kleinen Team von Merrill Lynch Schweiz sein Chef war. Frey war schon unter Webers Vorgänger Kaspar Villiger sehr einflussreich: Ihn entsandte der Verwaltungsrat im Sommer 2011, noch vor dem Adoboli-Debakel, zu einem Gespräch mit dem damaligen Konzernchef Grübel über dessen Amtsdauer und die Wahl eines Headhunters für einen möglichen Nachfolger. Der Austausch war der Beziehung nicht förderlich. Nach dem Abgang von Villiger und Bruno Gehrig ist Frey neben «Zürich»-Konzernleitungsmitglied Axel Lehmann in dem bunt zusammengewürfelten Gremium der einzige echte Vertreter aus dem UBS-Stammland. Gegen ihn geht nichts.
Weber dagegen muss noch seine Macht im Verwaltungsrat festigen und kennt zudem niemand in der Konzernleitung wirklich gut. Weil Weber wie Ermotti aber über keine langjährigen Seilschaften verfügen und der Bank ihren Stempel aufdrücken wollen, ist der Drang zur Veränderug grösser als etwa bei der Credit Suisse, bei der sich Bankchef Brady Dougan durch seine Seilschaften im Investment Banking erfolgreich gegen harte Schnitte stemmt (siehe «Ungleiche Flughöhe»). Fakt ist: Aus dem Verwaltungsrat droht Ermotti derzeit kein Ungemach. Dass er ums Überleben kämpfe, sind Fantasien seiner Gegner.
Und da gibt es vor allem einen, und der wirkt mit dem Abspecken des Investment Bankings und nach dem Ausscheiden des früheren Kronprinzen Carsten Kengeter aus der Konzernleitung auf dem Papier sogar noch mächtiger: Jürg Zeltner, seit dreieinhalb Jahren Chef des Wealth Managements und damit wichtigster Spartenchef der Bank. In seinem Fahrwasser folgt Schweiz-Chef Gähwiler. Auch wenn beide den Radikalumbau in den Sitzungen der Konzernleitungen voll abgesegnet haben, gilt ihr Bereich doch als Quelle der Querschüsse gegen Ermotti. Wenn mindestens 2500 Jobs in der Schweiz verloren gehen, kann es nicht schaden, sich als Gegner positioniert zu haben, könnte das Kalkül lauten.
Nicht vergessene Intrigen. Doch Zeltner muss aufpassen. Der Berner begann als 20-Jähriger beim damaligen Bankverein und soll schon in jungen Jahren lautstark verkündet haben, er wolle eines Tages Chef werden. Der heute 45-Jährige, vor seinem Eintritt in die Konzernleitung Deutschland-Chef, gilt als ehrgeizig bis zur Ruchlosigkeit. Als Wackelkandidat angetreten, hat er seine Macht gefestigt. Er ist sicherlich das Konzernleitungsmitglied, das die Autorität Ermottis am ehesten in Frage stellt. Das Misstrauen war schon vor dessen Wechsel zur UBS im April 2011 gross: Als Europa-Chef war Ermotti ein Herrscher ohne Reich, und Grübel, dem Zeltner nahestand, wunderte sich zuweilen über die ausgeprägte Reisetätigkeit Ermottis und die mangelnde Präsenz in der Zentrale.
Dass der Tessiner in der Presse mit der Bekanntgabe seines Wechsels zur UBS sofort als künftiger Chef gehandelt wurde, befeuerte den Argwohn Zeltners. In den heissen Tagen in Singapur vor einem Jahr soll Zeltner sogar zusammen mit dem damaligen Asien-Chef Alex Wilmot-Sitwell ein Komplott geschmiedet und sich als Doppelspitze ins Spiel gebracht haben, um Ermotti zu verhindern. Die Attacke verpuffte. Der Engländer Wilmot-Sitwell, immer für eine Intrige gut, musste die Bank verlassen.
Jetzt erhöht Ermotti den Druck auch auf Zeltner. Das Ziel ist klar: die Abflüsse aus der Krisenzeit von mehr als 150 Milliarden zurückzugewinnen. Und natürlich sind auch die Kosten im Wealth Management zu hoch. Dem Bereich sind 15 000 Mitarbeiter zugeordnet, doch davon sind nur gut 4000 Kundenberater (siehe «Einzigartig»). Ein «Weiter so!» kann es nicht geben. Auch soll der Draufgänger Zeltner zur Selbstüberschätzung neigen. Ihm fehlt die internationale Erfahrung in den globalen Finanzzentren London und New York, zudem beklagen Bankkenner, dass er sich zu sehr mit zu schwachen Leuten umgebe. Dass sich Ermotti mit seiner radikalen Abbauvariante im Verwaltungsrat durchgesetzt hat, isoliert Zeltner. Schweiz-Chef Gähwiler gilt zwar als sein Verbündeter, doch der 47-Jährige, zuvor als Risikomanager im CS-Private-Banking ohne prägenden Einfluss, fällt eher durch Pedanterie als durch Innovation auf und gilt nicht als wirklicher Machtfaktor innerhalb der Bank. Die internationale Flanke hat Ermotti mit dem neuerdings alleinigen Investment-Banking-Chef Andrea Orcel und dessen langjährigem Merrill-Lynch-Weggefährten Bob McCann abgesichert. Und auch der für den Umbau wichtigste Mann stehe «zu 120 Prozent hinter Ermotti», heisst es aus der Konzernleitung: Ermottis Stellvertreter und Chief Operating Officer Ulrich Körner. Ihm hatte der Verwaltungsrat in Singapur die interimistische Leitung angeboten, doch er schlug sie aus, weil er sich die ungewisse Interimszeit mit ungewissen Aussichten auf den Chefposten nicht antun wollte. Ermotti dagegen ging das Risiko ein und übertrug Körner nach dessen definitiver Nominierung auch dessen bisherige Pflichten des Europa-Chefs. Jetzt werden zusätzlich die nicht weitergeführten Positionen der Investmentbank in Höhe von 90 Milliarden Franken ins Corporate Center verlagert.
Auch für die von Ermotti eingeleitete Industrialisierung der Bank spielt Körner eine entscheidende Rolle. Er sparte bei seinem Amtsantrtt vor zweieinhalb Jahren schon einmal eine Milliarde ein, als er die Informatik der einzelnen Bereiche im Corporate Center zusammenführte. Jetzt ist er mit Ermotti die treibende Kraft des «Industrial Steering Committee», das sich einmal im Monat trifft. Den Vorsitz hat Ermotti, andere Mitglieder sind neben Körner Finanzchef Tom Naratil und Risikochef Phil Lofts. Operativ geleitet wird das Team von dem früheren Swisscom-IT-Chef Eros Fregonas, der seit Mai mit seinen 20 Mitarbeitern alle Geschäftsbereiche nach Effizienzsteigerung durchforstet und direkt an Körner rapportiert.
Vor allem ist der nicht als Empathiker verdächtige frühere McKinsey-Mann der beste Zeuge, dass die Italo-Connection, die gewisse Zürcher Medien Ermotti ständig anzudichten versuchen, nicht besteht. Denn es war Körner, der sich nach eingehenden Tests für den Italo-Schweizer Fregonas entschieden hatte. Dass dieser dabei jedoch einen Startvorteil hatte, ist unbestritten. Denn er war Mitglied des sogenannten «IT-Advisory Boards», das wiederum ein anderer Italo-Schweizer, Claudio Cisullo, ab Sommer 2010 im Mandatsverhältnis für die UBS geleitet hatte. Cisullo hatte seine IT-Firma 2010 der Swisscom verkauft und so Fregonas kennen gelernt. Auch hier witterten manche eine Italo-Verschwörung. Doch nicht Ermotti brachte den umtriebigen Cisullo in die Bank, sondern Grübel.
Überraschende Emotionen. Cisullo ist eine schillernde Figur. Den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder postierte er 2007 neben seine Erfindung am Flughafen Zürich, einen Verkaufsautomaten für Luxusprodukte namens Boxin. 2000 Automaten wollte er in der Schweiz aufstellen. Die Idee floppte. Als letztes Jahr im Aargau der Italo-Luxus-Autoleasing-Zar Ricci Santoro von der Polizei wegen Vermögensdelikten durchsucht wurde, wurde auch ein Aston Martin von Cisullo im Wert von 370 000 Franken konfisziert.
Grübel war ernüchtert wegen Cisullo. Zu mehr als zwei Sitzungen des IT-Advisory Boards kam es im ersten Jahr nicht – Cisullo bekam die Mitglieder nicht zusammen. Der Sohn eines italienischen Plättlilegers liess sich im Frühjahr gross in der «Schweizer Illustrierten» porträtieren und brüstete sich dort freimütig seiner exzellenten Beziehungen zu Ermotti. Als der Bankchef das las, gab es Ärger. Doch noch hat er Cisullo nicht geschasst. Das IT-Advisory Board wurde zwar gestrichen, neu betraute Ermotti Cisullo aber wieder auf Mandatsbasis mit der Leitung eines «Industrie-Advisory Boards». Jetzt ist Cisullo am Zug: Er soll hochkarätige Industriekapitäne gewinnen. Doch er weiss nur zu gut: Wenn er nicht liefert, muss er gehen. Für Sentimentalitäten ist bei Ermotti wenig Platz.
Doch manchmal zeigt auch der Mann, der den Umbau kühlen Kopfes orchestriert hat, überraschende Emotionen. Als die Zürcher Wirtschaftsprofessoren Urs Birchler und Alexander Wagner in dem Wirtschaftsblog Batz gewisse Aussagen eines Ermotti-Interviews als falsch und irreführend taxierten, widersprach Ermotti mit einer ausführlichen Stellungnahme. Die Professoren durften sich geehrt fühlen – so viel Prominenz hatte sich noch nie auf ihrer Webseite getummelt.
Was sie kaum gewusst haben dürften: Es war Ermotti, der kurz nach seinem Amtsantritt zum 150-Jahre-Jubiläum der Bank die UBS-Spende von 100 Millionen Franken für das Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich abgesegnet hatte. Ursprünglich waren nur 50 Millionen geplant, doch die sah Grübel als Verschwendung an. Ermotti segnete die Zahlung ab und verdoppelte den Betrag sogar. Das teilte er den Professoren aber nicht mit. Die Unabhängigkeit der Lehre sollte gewahrt bleiben. Doch wenn er sich unberechtigt angegriffen fühlt, schlägt er zurück. Das werden auch seine internen Gegenspieler zu spüren bekommen.