Keine Frage: Wer viel Geld ausgibt für eine Uhr der Spitzenklasse, der erwartet einen adäquaten Gegenwert. Entweder in Form kostbarer Metalle und Steine oder herausragender Qualität. Zur Beurteilung genügen Kennern meist das Wissen um die Provenienz und eine Lupe zur kritischen Begutachtung. Elegante Streifenschliffe Typ «Côte de Genève», perlierte Platinen oder gebläute Schrauben stechen rasch ins Auge, repräsentieren für sich genommen aber noch lange kein Top-Erzeugnis.

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Dinge, auf die es wirklich ankommt, also konstruktive oder handwerkliche Details, verbergen sich oftmals hinter zierenden Fassaden. Aber es gibt Erkennungsmerkmale, die auf genau definierte Standards hinweisen. Gemeint sind zwei Gütesiegel. Ein altbewährtes und ein erst 2004 aus der Taufe gehobenes.

Poincon de Genève

Die Punze mit dem Genfer Stadtwappen datiert auf den 6. Dezember 1886. Später wurde das Gesetz über die freiwillige Qualitätskontrolle von Taschenuhren am Genfer Observatorium mehrfach überarbeitet. Es definiert die Bedingungen für den Gebrauch des Poincon de Genève auf Uhrwerken. Eine deutliche Verschärfung erfuhr das Regelwerk mit Wirkung ab 5. April 1957. Fortan mussten Uhren nicht weniger als elf Qualitätsforderungen erfüllen. Die Ganggenauigkeit inbegriffen. Armbanduhren mit einem Werkdurchmesser von maximal 30 mm mussten vor der Zuerkennung des Genfer Siegels ein strenges, 18-tägiges Prüfprogramm über sich ergehen.

Kontrolleure müssen Schweizer Bürger sein

Die bislang letzte Fassung dieser Verordnung datiert auf den 22. Dezember 1994. Sie verlangt eine Vorlage der individuell nummerierten Werke bei der Genfer Uhrmacherschule, wo das «Büro zur freiwilligen Kontrolle Genfer Uhren» per Dekret residiert. Dort sind nur amtlich vereidigte Kontrolleure tätig, die Schweizer Staatsbürger sein müssen und weder durch die Fertigstellung eigener Werke noch durch Uhrenhandel in Interessenkonflikte geraten dürfen.

Die Uhr muss komplett in Genf gebaut worden sein

Wie in früheren Zeiten werden nur solche Uhrwerke zur Überprüfung angenommen, deren Zusammenbau und Reglage im Kanton Genf erfolgten. Speziell über dieses Faktum ist genaues Zeugnis abzulegen.

Zum festgelegten Qualitätsniveau der Komponenten gehören beispielsweise Stahlteile mit polierten Kanten und satinierten Vorderseiten. Schraubenköpfe müssen poliert oder kreisgeschliffen, die Schlitze angliert, also in einem Winkel von 45 Grad abgeschrägt sein. Weitere Festlegungen gelten den Steinen, Zahnrädern, Wellen und Zapfen, der Befestigung der Unruhspirale am Unruhkloben, der technischen Ausführung des wichtigen Schwing- und Hemmungssystems, der handwerklichen Sorgfalt bei der Ausführung der Aufzugs- und Zeigerstellpartie sowie dem Aufwand, welcher bei anderen Werksteilen zu betreiben ist. Sperrfedern aus gebogenem Draht sind unzulässig, ebenso die vergleichsweise billigen und daher verbreiteten Begrenzungsstifte für die Ankerschwingungen. Gefordert sind spezielle Ausfräsungen in der Platine.

Nur bei Erfüllung aller Kriterien erhalten die Platine und eine Brücke die Prägung. Sie bringt zum Ausdruck, dass nach allen Regeln der Handwerkskunst gearbeitet und nichts dem Zufall überlassen wurde.

Qualité Fleurier

Das Logo mit quadratischem Rahmen, der einen Kreis mit den Buchstaben F und Q einschliesst, debütierte im Oktober 2004. Hinter ihm steht die Stiftung Qualité Fleurier. Im Val-de-Travers, das gute und schlechte Zeiten kennt, ist die Uhrmacherei seit 1730 zu Hause. Bekannt sind vor allem die farbenfrohen Taschenuhren für den chinesischen Markt. Die Quarz-Revolution zog eine tiefe Strukturkrise und Arbeitslosigkeit nach sich. Erst die Ansiedlung von Parmigiani, Bovet, Chopard Manufacture und Vaucher brachte wieder Leben nach Fleurier. Dieses Quartett initiierte ein Zertifizierungsverfahren mit Namen Qualité Fleurier, welches eine vierstufige Prüfung umfasst.

Optische Kontrolle der Teile aus 30 cm Abstand

Zur Beurteilung der technischen und ästhetischen Kriterien ist ein Werk in Form eines Teilesatzes bei der Stiftung einzureichen. Platine, Brücken, Federhaus, Rotor, Räder, die durchbrochenen und/oder ausgeschnittenen Komponenten sowie sämtliche Formteile werden einer Sichtprüfung aus 30 cm Abstand unterzogen.

Dabei achten die Prüfer auf die Erfüllung folgender Kriterien: Zierschliffe müssen überall dort sichtbar sein, wo die Platine ihre maximale Dicke hat, darüber hinaus auf den sichtbaren Teilen der Brücken und in den wichtigsten Vertiefungen. Ferner dürfen die einzelnen Elemente keinerlei scharfe, unbearbeitete Kanten aufweisen. Polierte Ölsenkungen für die Lagersteine sind Vorschrift. Die Dekors dürfen keine sichtbaren Fehler aufweisen, und die funktionalen Bereiche der Stahlteile müssen poliert sein. Schraubenköpfe haben flach und poliert, die Schlitze und die Aussenkante angliert zu sein. Schliesslich wird bei den Formteilen eine Anglierung, Politur und falls möglich eine Satinierung verlangt.

Zu der handwerklichen Seite kommt eine mehrstufige Chronofiable-Zuverlässigkeitsprüfung. Sie umfasst einen Testzyklus zur Alterung des Werks, einen bezüglich der Wirkung von Zug- und Schubkräften auf die Aufzugswelle sowie falls vorhanden die Drücker und Drehlünette, ferner Magnettests, einen Schlagtest mit dem Fallpendel, von dem nur Uhren mit Komplikationen ausgenommen sind, und mehrere Tests auf Wasserdichtheit. Die Kommission begnügt sich nicht mit einzelnen Exemplaren. Bei Editionen bis zu 100 Uhren müssen fünf den Chronofiable-Test bestehen, bei Serien zwischen 101 und 200 deren zehn, und bei über 200 sind es insgesamt 20. Überdies verlangt die Zertifizierungsstelle das ausnahmslose Bestehen der offiziellen Chronometerprüfung.

Erst dann geht es in den eigens entwickelten «Fleuritest», eine komplexe Maschine, welche die Ganggenauigkeit der fertigen Uhr innerhalb eines 24-stündigen-Zyklus abfragt. Mit Hilfe eines Computers simuliert der Apparat reale Tragesituationen, das Bewegungsprofil von Männern oder Frauen. Phasen stärkerer oder geringerer Aktivität wechseln mit solchen der Ruhe ab. Dazu gehören das An- und Ausziehen einer Jacke, das Trinken einer Tasse Kaffee, das Spazieren gehen im Park oder ein Workout im Fitnessstudio. Ein optisches System ermittelt akribisch alle Gangabweichungen. Täglich dürfen so nicht mehr als plus fünf Sekunden zusammenkommen. Bei negativen Werten, also einem Nachgehen der Uhr, verweigert die Stiftung das Zertifikat.

Ging alles gut, bekommt der Einreicher das Plazet zur Verwendung des Logos Qualité Fleurier, dazu ein Zertifikat mit der Nummer von Uhr und Uhrwerk.

Im Gegensatz zum Genfer Siegel steht die Fleurier-Punze allen schweizerischen und europäischen Uhrenmarken offen. Zuvor müssen die Gesuchsteller ein 10000 Fr. teures Jahresabonnement erwerben. Pro Qualitätscheck samt Zertifikat kommen 45 Fr. hinzu.



Poincon de Genève: Ganggenauigkeit ist kein Thema mehr

So detailliert das Genfer Siegel die Herstellung und die Qualität der mit ihm ausgezeichneten Uhren vorschreibt, so wenig ist der Stempel Poincon de Genève eine Auszeichnung für die Ganggenauigkeit der überprüften Uhr. Die Ganggenauigkeit ist in Genf kein Thema mehr. Es steht im Ermessen von Poincon-Klienten, wie Patek Philippe, Vacheron Constantin, L.U.C. Chopard oder Roger Dubuis, ihre Zeitmesser bei einer Offiziellen Chronometer-Prüfstelle, so der COSC, checken zu lassen.

Präzisionszweifel sind gleichwohl nicht angebracht, denn Manufakturen der Top-Liga regulieren ihre Zeitmesser ohnehin nach strengen Kriterien in fünf verschiedenen Lagen und bei mehreren Temperaturen. (glb)



Qualité Fleurier: Das Zertifikat garantiert Präzision, Solidität, Langlebigkeit und exklusive Qualität

Erstmals wird ein für alle Hersteller von Produkten der mechanischen Haute Horlogerie in der Schweiz und in Europa offenes Zertifikat ausgestellt, das eine Reihe von Kriterien aufweist, um dem Endkunden Präzision, geprüfte Solidität und Langlebigkeit sowie eine exklusive Qualität der ästhetischen Finissierung zu garantieren. Denn die Stiftung Qualité Fleurier hat zum Ziel, technische und ästhetische Qualitätskriterien in der Uhrenfertigung zu etablieren. Sie will einen Qualitätsnachweis bieten in Form eines schriftlichen Zeugnisses sowie eines Logos auf der Uhr selbst, und sie will im Rahmen ihrer Möglichkeiten beitragen zur Aus- und Weiterbildung in der Haute Horlogerie.

Das Zertifizierungsverfahren, das vom unabhängigen technischen Ausschuss der beteiligten Marken nach objektiven Grundsätzen durchgeführt wird, sieht klare Bedingungen für die Erteilung eines solchen Zertifikates vor:

- Das Werk muss den Chronofiable-Test bestanden haben.

- Das Werk muss eine exklusive Qualität der ästhetischen Finissierung aufweisen.

- Die Ganggenauigkeit der Uhr muss in einem Test mit der «Fleuritest»-Maschine nachgewiesen werden.

Die nach heutigen Anforderungen von Rentabilität und Effizienz ausgerichteten Tests werden in Fleurier durchgeführt, in den Räumen der Stiftung selbst; der geografische Ort des Tests ist aber kein Kriterium bei der Erteilung des Zertifikats. (mk)