Die Schweizer Uhrenindustrie steht vor dem vierten Jahr mit geringem oder gar keinem Wachstum. Grosse Hersteller wie Richemont mit der Marke Cartier reagieren darauf mit weniger Investitionen in die Produktion. Einige kleinere Uhrenhersteller halten nach einem Käufer Ausschau oder laufen sogar Gefahr, unterzugehen.
Im Land mit der weltgrössten Uhrenproduktion werden die Exporte der Zeitmesser im kommenden Jahr im Median um zwei Prozent zulegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage von Bloomberg unter elf Analysten. Das ist die gleiche Rate wie 2013 und 2014 und liegt meilenweit entfernt von den etwa 20 Prozent Wachstum in früheren Jahren.
«Die Schubkräfte fehlen»
«Die Schubkräfte fehlen», sagt André Bernheim, Chef von Mondaine, einem konzernunabhängigen Hersteller, dessen Zeitmesser den Schweizer Bahnhofsuhren nachempfunden sind. «Die wichtigsten Regionen der Welt haben alle Probleme - von den USA über Europa bis nach China.»
Die Geschäftsabschwächung hat dazu geführt, dass kleinere Hersteller wie Parmigiani und Ulysse Nardin Stellen streichen, und Maurice Lacroix, mit einer Jahresproduktion von 90’000 Uhren, seit Juli nach einem Käufer sucht. Die Flaute zieht wohl auch die Trennlinie zwischen Unternehmen, die sich auf eine Abschwächung nicht vorbereitet haben, und grösseren Herstellern wie Swatch und Richemont, die Berge von Bargeld angehäuft haben, um sich abzusichern. Marken wie Omega von Swatch versuchen jüngere Käufer anzusprechen, während TAG Heuer eine Smartwatch entwickelt hat.
Nur die Starken werden überleben
«Nur die starken Marken werden überleben», sagt Zuzanna Pusz, Analystin bei Berenberg. «Gute Marken mit finanziellen Problemen dürften aufgekauft werden.»
Der Markt hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt, getrieben vom Wachstum in China. Nach Schätzungen von Citigroup entfielen auf Chinesen die Hälfte aller Ausgaben für Schweizer Uhren. Doch mit der Abschwächung des Wirtschaftswachstums in China auf ein Sechsjahrestief lief es auch für die Uhrenbranche nicht mehr so gut. In den ersten zehn Monaten 2015 sanken die Uhrenausfuhren um 3,2 Prozent; im November betrug das Minus 5,6 Prozent.
Absatzschwund in Hong Kong
Swatch, zum Konzern zählen unter anderem die Marken Tissot und Longines, sass Ende Juni auf liquiden Mitteln von 1,2 Milliarden Franken. Bei Richemont summierte sich die Kriegskasse auf 4,8 Milliarden Franken. Richemont, der auch die Marken Jaeger-LeCoultre und Vacheron Constantin gehören, hat angekündigt, dass die Investitionen in die Produktionskapazität im nächsten Geschäftsjahr verringert werden. Stattdessen sollen die Ausgaben für Vertrieb und das Verkaufsnetzwerk erhöht werden.
Der Absatz in China hatte bereits unter der seit drei Jahren währenden Kampagne der Regierung gegen Korruption und extravagante Geschenke an Staatsbedienstete gelitten. Die Exporte Schweizer Uhren nach China, Hongkong, Macao und Taiwan (Greater China) sind in den ersten zehn Monaten dieses Jahres um 19 Prozent gesunken und liegen um rund 1 Milliarden Franken unter dem Jahreswert aus der Zeit vor der Kampagne.
‘Auf Steroiden’
«Der Schweizer Uhrenmarkt war auf Steroiden, getrieben von der Geschenke-Politik in China zu der damaligen Zeit», sagt Brian Buchwald, Chef der Marktforschungsgesellschaft Bomoda.
Die Branche, auf die zehn Prozent der gesamten Schweizer Ausfuhren entfallen, ist auch vom steigenden Frankenkurs getroffen worden. Viele Marken reagierten auf die Frankenstärke mit Preissenkungen in den Exportmärkten. Hinzu kommt, dass die neue Smartwatch von Apple die Nachfrage nach Uhren der unteren Preissegmente zu beeinträchtigen beginnt.
Boom wird nicht wiederkehren
Als Antwort darauf brachte Omega zwei James-Bond-Kollektionen auf den Markt, um jüngere Kunden zu gewinnen. Zudem drohen nach den Terrorattacken in Paris am 13. November weniger Touristen nach Europa zu kommen.
«Wir werden nicht mehr ein so enormes Wachstum wie in den vergangenen 20 Jahren haben», sagt Edouard Meylan, CEO von H. Moser & Cie. aus Neuhausen am Rheinfall. Die Wurzeln des Uhrenherstellers reichen 200 Jahre zurück. 2016 ein Wachstum von zwei Prozent zu erreichen, wäre «ziemlich gut».
Richemont wächst wohl überdurchschnittlich
Nach Einschätzung von Paul Swinand, Analyst bei Morningstar Inc., besteht jedoch langfristiges Wachstumspotenzial in China und den USA, da die Konsumenten wohlhabender werden. «Niemand hat angenommen, dass die Schweizer Uhrenexporte für immer um 20 Prozent wachsen können», sagt er.
Analysten erwarten laut Daten von Bloomberg für Movado ein Umsatzwachstum von einem Prozent im kommenden und von fünf Prozent für Swatch. Bei Richemont, deren Geschäftsjahr im April beginnt, wird mit einem Plus von zehn Prozent gerechnet.
«Was wir sehen, ist eine Normalisierung», sagt Réné Weber, Analyst bei Bank Vontobel AG. «Solche Boom-Jahre, wie wir sie hatten, wird es nie wieder geben.»
(bloomberg/mbü)