Dem Tourbillon gebührt der Ehrenplatz auf dem Zifferblatt einer edlen Uhr. Wenn schon ein Zeitmesser mit diesem teuren, mysteriösen Drehgestell ausgerüstet wird, so soll es der Uhrenträger auch jederzeit durch einen verglasten Ausschnitt im Zifferblatt bewundern können. Denn der Anblick der vibrierenden, gangbestimmenden Teile der Uhr, die in einem filigranen Käfig innerhalb einer Minute um die eigene Achse rotieren, gehört zweifellos zum Faszinierendsten, was ein kostbarer Zeitmesser zu bieten hat.
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Erfunden wurde dieser Gangregler-Mechanismus vor über zweihundert Jahren vom legendären Uhrmacher Abraham-Louis Breguet, um den Einfluss der Schwerkraft auf die Ganggenauigkeit zu kompensieren. Seither gilt diese Bravourleistung der Uhrmacherei als Krönung aller Komplikationen, mit denen eine Uhr ausgestattet werden kann. Kurz, ein Tourbillon gehört in der Horlogerie zum Feinsten, und der Besitzer ist entsprechend stolz darauf.
Es verwundert deshalb nicht, dass gegen Ende der Neunzigerjahre eine wahre Tourbillon-Euphorie ausgebrochen ist. Dank dem Einsatz neuer Techniken ist es möglich geworden, Tourbillons zu Preisen herzustellen und zu verkaufen, die deutlich unter denen der klassisch gefertigten liegen, sodass sich heute auch Uhrenhersteller mit diesem mechanischen Kleinod eindecken können, die – wie böse Zungen genüsslich verbreiten – zehn Jahre zuvor noch nicht einmal gewusst haben, wie man Tourbillon schreibt. Es droht also das Ungeheuerliche: eine Demokratisierung der Uhr mit dem Drehkäfig und damit der Verlust ihrer Aura des Aussergewöhnlichen. Die etablierte Uhrenwelt ringt die Hände.
Ein Haus schert das allerdings wenig. Bei der Genfer Traditionsmarke Patek Philippe, wo man sowohl das Understatement wie auch den Bau von Uhren seit l65 Jahren meisterhaft beherrscht, hatten Tourbillons seit jeher nichts auf dem Zifferblatt einer Armbanduhr verloren und dienten nie als Lockvogel, um Käufer zu verführen. Das hat einerseits mit dem sprichwörtlichen Hang des Hauses zu tun, in jeder Lage so dezent wie nur irgendwie möglich aufzutreten. Andererseits argumentiert der noble Uhrenhersteller einleuchtend, dass es sich beim Tourbillon nicht um eine Anzeige handelt und es deshalb – will man nicht einen klassischen Stilbruch begehen – nichts auf einem Zifferblatt zu suchen hat. Ausserdem wird ein technischer Grund angeführt. Das zur Schmierung des Tourbillons verwendete Öl reagiert empfindlich auf Ultraviolettstrahlen. Wenn es ständig dem Tageslicht ausgesetzt wird, könne es schon nach wenigen Monaten an Wirksamkeit einbüssen. Dadurch nehmen die Reibungs- und Abnützungserscheinungen zu, was sich wiederum negativ auf die Ganggenauigkeit auswirkt. Und dies ist natürlich absurd bei einem Mechanismus, der ja gerade zum Ziel hat, die Präzision der Uhr zu erhöhen. Keine Frage also für Patek Philippe – der Kunde muss auf den Genuss versprechenden Anblick des Tourbillons verzichten.
Die jüngste Tourbillon-Uhr von Patek Philippe macht deutlich, wie konsequent der Purist unter den Edelmanufakturen seine Prinzipien vertritt. Denn wer vermutet schon hinter dem unscheinbaren Zifferblatt der Referenz 5101P ein Meisterwerk? Da, wo eigentlich das vibrierende Herzstück prangen müsste, steht im Rund der kleinen Sekunde mit schnörkellosen Lettern bloss das Wort «TOURBILLON». Und höchstens ein aufmerksamer Kenner identifiziert die Ziffern der Uhrzeit als Breguet-Zahlen und kommt auf die Idee, darin einen zarten Hinweis auf den Erfinder und seinen versteckten komplexen Mechanismus zu erkennen. Das schlichte «10 DAYS» bei der Zwölf verrät ausserdem diskret, dass wir es hier mit dem weltweit einzigartigen Zehn-Tage-Werk zu tun haben, das heisst, diese Uhr braucht nur alle 240 Stunden aufgezogen zu werden. Immerhin ringt sich der edle Hersteller dann doch noch dazu durch, wenigstens auf dem Boden der Uhr durch ein Saphirglas einen Blick auf das dekorierte Handaufzugswerk und das Tourbillon zu gestatten.
Angesichts von so viel vornehmer Zurückhaltung tut es gut, eine kleine Schwäche von Patek Philippe zu kennen: Man weiss in diesem Haus durchaus zwischen nobel und ganz nobel zu unterscheiden. Die Platin-Herrenuhren sind nämlich mit einem winzigen Diamanten am Gehäuserand zwischen den Bandanstössen gekennzeichnet und heben sich so, wenigstens für die Eingeweihten, von den Stahl- und Weissgoldversionen ab.
Einen fast schon snobistisch anmutenden Umgang mit dem Tourbillon pflegt Patek Philippe bei der Sky Moon, Referenz 5002, der kompliziertesten Armbanduhr, welche die Manufaktur je serienmässig gebaut hat. Hier bleibt die besagte uhrmacherische Kostbarkeit total verborgen. Dass man uns den Anblick des Drehkäfigs vorenthält, könnte der Hersteller, hätte er nicht seine eigene bekannte Philosophie, damit begründen, dass bei dieser Uhr der Superlative schlichtweg nirgends mehr Platz war. Auf dem vorderen Zifferblatt lassen sich neben den Stunden und Minuten nach mittlerer Sonnenzeit sechs von den insgesamt zwölf Komplikationen ablesen: der ewige Kalender, das Datum mit retrograder Anzeige, der Wochentag, der Schaltjahrzyklus, der Monat sowie das Mondalter. Auch auf der Rückseite dieser ultrakomplizierten Uhr gäbe es – so man wollte – nirgends eine Möglichkeit, den Blick auf den Wirbelwind zu gestatten. Dort wird der Platz benötigt, um den (auf unserem Bild nördlichen) Nachthimmel abzubilden und neben den Stunden und Minuten nach Sternzeit die Zeiten des Meridiandurchgangs des Sirius und des Mondes sowie die Winkelbewegung des Mondes und die Mondphasen anzuzeigen.
Das Vorhandensein einer Minutenrepetition erkennt man am diskreten Schieber am Gehäuserand links auf der Höhe der Acht, mit dem der wohlklingende Stunden-, Viertelstunden- und Minutenschlag auf zwei Kathedralen-Tonfedern ausgelöst wird. Über das geheimnisvolle, verborgene Tourbillon sickert durch, dass es aus 69 Bauteilen besteht und lediglich 0,3 Gramm wiegt, und es wird verraten, dass die Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres (COSC) die exakte Ganggenauigkeit der Uhr mit dem offiziellen Chronometer-Zertifikat attestiert, wie dies übrigens bei ausnahmslos allen Patek-Philippe-Armbanduhren mit Tourbillon üblich ist.
Tourbillon-Kunden von Patek Philippe müssen den schmerzhaften Verzicht auf den Anblick des schönsten Mechanismus, den eine Uhr zu bieten hat, nicht nur gelassen erdulden, er kostet sie auch noch viel Geld. Verpackt in die Platinversion der 10 Days, beträgt der Preis für das Tourbillon rund 300 000 Franken, als zwölfte Komplikation der Sky Moon sogar bis gegen eine Million Franken. Bleibt den Besitzern immerhin die Genugtuung, zu den wenigen zu gehören, die wirklich wissen, was wahres Understatement ist.