Die Wettbewerbskommission (Weko) hat sich im Kartellstreit gegen die Swatch-Tochter ETA durchgesetzt. Die ETA muss ihre Kunden bis Ende 2008 weiter mit Rohwerken für mechanische Uhren beliefern. Die vornehmlich im Jura domizilierten Uhrenhersteller atmen auf. Denn als im Juli 2002 die ETA ihren Kunden erklärte, die Lieferung mit Ebauches (Rohwerke oder Werke-Kits) sukzessive einstellen zu wollen und ab 2006 gänzlich zu beenden, schien für viele Abnehmer der ETA-Rohwerke die letzte Stunde geschlagen zu haben. Historisch gewachsene Strukturen der Schweizer Uhrenindustrie sollten plötzlich keine Relevanz mehr haben.

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Würde der Verkauf, so wie von ETA gewollt, bereits 2006 beendet werden, dann würden etliche Unternehmen in Ermangelung eines Ersatzes für die Rohwerke der ETA in arge Schwierigkeiten geraten sein. Primär jene, die nur die «nackten» Rohwerke beziehen und diese im Auftrag ihrer Kunden zu fertigen mechanischen Uhrwerken (Mouvements) montieren, sie auf Wunsch modifizieren und anschliessend weiterverkaufen.

Das Verfahren gegen die ETA bei der Weko wurde deshalb mitunter auch von zwei Betroffenen in La Chaux-de-Fonds losgetreten: Der Jaquet S.A. und der Sellita Watch Co. S.A. Nach eingehender Prüfung während zweier Jahre hat man sich nun auf eine Verlängerung der Übergangsfrist geeinigt, damit alle Betroffenen die Chance besitzen, ihre eigene Rohwerkfabrikation aufzubauen. Bis 2008 liefert ETA 85% der in den Jahren 1999 bis 2001 von den Kunden durchschnittlich gekauften Rohwerke. 2009 wird die Lieferverpflichtung auf 50% und 2010 auf 25% reduziert. Die Differenz zur 100% abgenommenen Menge einer Kaliberfamilie wird dem Kunden 2011 als fertig montierte Uhrwerke, also Mouvements, geliefert.

Höchstleistungen sind gefragt

Selbst wenn aus heutiger Sicht das Jahr 2011 noch in weiter Ferne liegt, ist dies aus Optik derer, die später ihre eigenen Rohwerke im Stile der ETA bauen und verkaufen möchten, bereits morgen. Rasch sind jetzt also Höchstleistungen gefragt. Denn wer bis dahin auch nur annähernd die untadelige Qualität und das makellose Image eines ETA-Kalibers fertigen will, muss ordentlich Gas geben. Das ist eine gehörige Portion Arbeit, weil es nicht um ein paar hundert, mehr oder minder von Hand «zusammengeschnitzte» Mouvements geht. Realisiert werden muss die Grossserienfertigung mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Fachleute jeder Couleur sind sich deshalb einig, dass vollmundige Ankündigungen der zukünftigen ETA-Konkurrenten alleine nicht reichen werden. Bis dato konnte zumindest noch keiner der Herausforderer auch nur ein einziges, unabhängig homologiertes Automatikwerk mit den Eigenschaften eines ETA 2892 oder ETA 2824 vorlegen.

Zurzeit bemühen sich die Société Holding Finances & Technologie SA (SFT) in Sitten, die Jaquet S.A. und die TechnoTime Holding S.A., beide beheimatet in La Chaux-de-Fonds, sowie die STT Complication S.A. in Tramelan (Auffanggesellschaft der Progress, Biel) um den grossen Wurf. Alle offiziellen und inoffiziellen Statements dieser Firmen zum Stand der Entwicklungen müssen allerdings stets unter dem Aspekt gesehen werden, dass einige dieser Unternehmen ihr Geld ausschliesslich von Anlegern beschaffen, die an diese Projekte glauben. Wer will da schon etwas Negatives hören oder lesen? Einzig Jaquet finanziert seine Entwicklungen aus dem laufenden Cashflow.

SFT-Mitbegründer und Geschäftsführer Victor Bruzzo hingegen hat 60% aller Firmenaktien an die Léman Capital Private Equity Investors verkauft, um genug Geld für die nötigen Investitionen zu haben. Die SFT-Gruppe selbst agiert mit dem Stammwerk Indtec in Sitten seit Jahren erfolgreich in der Herstellung von Quarz-Kaliber-Bestandteilen; in dieser Sparte sind die Walliser weltweit der drittgrösste Hersteller.

Am meisten in Optimismus macht Victor Bruzzo, der versichert, «dass SFT mit der Lieferung seines Indtec-Kalibers Alternance 10 mehr oder minder still und heimlich begonnen hätte». Es handle sich um ein Werk, «das», so Bruzzo, «in seinen Abmessungen und Leistungen mit dem ETA 2892 vergleichbar ist». Auf die Frage, ob denn das Automatik-Kaliber bereits offiziell homologiert sei, antwortet Bruzzo: «Ja, nach den individuellen Spezifikationen unserer drei Kunden. Wir möchten bis Ende des Jahres noch mehr als 30000 fertige Werke ausliefern; 2005 planen wir bereits eine Produktion von 80000 Stück.»

Know-how ins Haus geholt

Bruzzos mechanische Uhrwerke werden im französischen Maîche und in Sitten gefertigt, einige der notwendigen 170 Einzelteile werden zugekauft. Der Verkaufspreis liegt bei 100 bis 140 Fr., je nach gewünschter Ausführung. Einer der ersten Grosskunden soll die Franck-Muller-Gruppe aus Genf sein.

Viele namhafte Hersteller haben indes selbst Anstrengungen unternommen, um eine grössere Unabhängigkeit von ETA zu erlangen. Rolex hatte schon immer eine eigene Produktion, ist aber zum Teil noch von Zulieferungen von Swatch und anderen Firmen abhängig. Richemont hat nicht umsonst die Holding Les Manufactures Horlogères mit den Marken IWC, Jaeger-LeCoultre und A. Lange & Söhne um viel teures Geld (3,2 Mrd Fr.) gekauft, wenn damit nicht auch Know-how mit in die Gruppe gelangt wäre. Hersteller wie Chopard, Eterna, Girard-Perregaux oder Ulysse Nardin haben schon oder werden ebenfalls demnächst durch eigene Konstruktionen unabhängiger von ETA sein.

Wenn letztlich alle ihre eigenen Uhrwerke fertigen, führt dies zuerst einmal dazu: Konsumenten können aus dem Vollen schöpfen. Doch à la longue könnte es sein, dass, so ein Insider der Branche, «die ganze Weko-Geschichte nur ein Sturm im Wasserglas war und man ab 2011 oder schon davor? wieder ETA-Werke in jeder Ausführung beziehen kann».

Rohwerke für mechanische Uhren: Wie die Swatch-Gruppe zum Monopol kam

Der Blick zurück: Bereits in den 1930er Jahren in Zeiten einer Überproduktion und zur Sicherung ihres Fortbestandes schlossen sich die drei massgeblichen Hersteller von Rohwerken zur Ebauche SA zusammen. Durch die Übernahme weiterer Hersteller erlangte die Ebauche SA schnell internationale Bedeutung. Zur Überwindung der grossen Krise in der Uhrenindustrie wurde 1931 basierend auf der Ebauche SA und unter Mitwirkung des Bundes die Allgemeine Schweizerische Uhren AG (Asuag) gegründet. Sie wurde durch Statuten verpflichtet, die gesamte Uhrenindustrie mit ihren Rohwerken und Bestandteilen zu beliefern. Die Schweizer Uhrenindustrie war somit geprägt von einem staatlichen Uhrenstatut.

Nach und nach wurden immer mehr Ebauches-Produzenten unter diesem Dach vereint. Aus ebenso wirtschaftlichen Zwängen heraus erfolgte 1983 der Zusammenschluss der Asuag mit der Société Suisse de l'Industrie Horlogère (SSHI) zur Asuag-SSHI, welche wenig später zur SMH mutierte und von Nicolas G. Hayek übernommen wurde. Mitte der 80er Jahre waren damit plötzlich alle grossen Roh-werk-Lieferanten in einer einzigen Gesellschaft, der damaligen ETA SA Fabriques d'Ebauches und heutigen ETA SA Manufacture Horlogère Suisse, vereint.

Auch wenn dieses Statut nicht mehr gilt, basiert die gesamte Schweizer Uhrenindustrie auf diesen langjährigen Strukturen, und sämtliche Marktteilnehmer verlassen sich darauf. ETA ist der Hauptlieferant für mechanische Rohwerke bis zu einem Stückpreis von etwa 300 Fr. In acht von zehn mechanischen Uhren schweizerischer Marken ticken Werke aus dem Hayek-Imperium. Die Wettbewerbskommission (Weko) kommt in ihrer Untersuchung denn auch zum Schluss, dass «die ETA in diesem Segment eine marktbeherrschende Stellung hat». (al)