Tempi passati sind es für Thomas Bechtler. «Ich sehe darin kein Problem, das heute von irgendwelcher Relevanz ist», sagt der Unternehmer und Mäzen. Er schreitet über die schwimmende Brücke des japanischen Bildhauers Tadashi Kawamata, die gewollt wie eine Schwemmholzansammlung aussieht und über den Weiher im Zellweger-Park in Uster führt, wo Bechtler sein Büro hat.

Die Vergangenheit hat den 61-Jährigen unverhofft eingeholt. In einem Filmbeitrag zeigte der Fernsehsender Al Jazeera kürzlich einen Luftschutzbunker unter der Ferienresidenz der Familie Gaddafi. Gut sichtbar prangte an einem Schaltkasten der Anlage ein Schild mit der Aufschrift «Luwa». In den frühen 80er-Jahren ist sie gebaut worden – vom inzwischen auseinandergebrochenen Schweizer Industriekonzern Zellweger Luwa. Der gehörte zu jener Zeit noch der Familie Bechtler.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Als Schweizer Firma haben wir Bunkerausrüstungen, Filter und sogenannte Explosionstüren sowie Panzertüren gebaut. Über deutsche Generalunternehmen haben wir ein paar Geschäfte im Ausland gemacht», erklärt Bechtler. Auch mit Saddam Hussein. Am Atombunker unter dem Regierungspalast des ehemaligen irakischen Diktators war Zellweger Luwa ebenfalls beteiligt. «Wir waren nur ein kleiner Unterlieferant», sagt Bechtler.

Statt über tempi passati spricht der ehemalige Industrielle lieber über Kunst und führt durch den Zellweger-Park. Hier sind auf Schritt und Tritt Kunstwerke der internationalen Spitzenklasse zu entdecken. Etwa der Moosfelsen des Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss, von dem man auf den ersten Blick nicht weiss, ob der Felsen nicht schon seit Ewigkeiten da stand. Oder die vier Meter hohe und mehrere Tonnen schwere Bronzefigur Helvetia, die Richard Kissling 1899 schuf. Die pompöse Frauenfigur empfing früher Kunden des Schweizerischen Bankvereins am Zürcher Paradeplatz. Bechtlers Vater wollte sie erhalten und kaufte sie dem Geldinstitut zum Kilopreis ab.

Kunst statt Unternehmergunst
Den Grundstein für die opulente Kunstsammlung hat Thomas Bechtlers Vater gelegt, der die Walter A. Bechtler-Stiftung für moderne Skulptur gründete. Sie ermöglicht die Präsentation von Werken an öffentlichen Plätzen, etwa die «Heureka» von Tinguely oder «Sheep» von Henry Moore, die in Zürich am Seeufer stehen. Nicht nur im Zellweger-Park, auch in den Büros und Fluren von Bechtlers Beteiligungsfirma Hesta in Uster sind erstklassige Fotos aus der firmeneigenen Sammlung ausgestellt. Im Juni sollen die gesammelten Werke im Kunstmuseum in Bonn ausgestellt werden. Sie reichen von Sigmar Polke über Roman Signer bis zu Hiroshi Sugimoto. Bechtler freut sich auf die Ausstellung wie ein Kind.

Just hier in Uster arbeiteten einst mehrere tausend Arbeiter für die Bechtlers und ihre Zellweger Luwa. Heute sind es nur noch rund 30. 2005 entschied Thomas Bechtler mit seinem älteren Bruder, das Unternehmen Stück um Stück zu verkaufen. Es war ein Ausstieg auch aus Mangel an Perspektiven. Denn zuvor hegte Bechtler noch ehrgeizige Pläne mit seiner Industriegruppe – geworden ist daraus nichts. «Der Verkauf hatte strategische und familiäre Gründe. Wir fanden, es sei besser, der nächsten Generation kein Industrieunternehmen zu übergeben, sondern die Mittel diversifiziert anzulegen», erklärt der Jurist, der in Zürich und Harvard studierte. Bechtler hat sieben Kinder im Alter zwischen 11 und 33 Jahren und ist sechsfacher Grossvater. «Heute sind wir ein diversifizierter Investor und Immobilienentwickler.» Wo genau er mit seiner Hesta investiert ist, verrät er nicht. «Wir funktionieren wie eine Pensionskasse mit Aktien, Obligationen, Private Equity und eben auch Immobilienanlagen.»

Das Drama mit Schiesser
Bei der Familie verblieb damals Schiesser. Doch die Lust an Unterhosen ist Bechtler vergangen. Die Familienholding pumpte über 100 Millionen Franken in den Wäschehersteller. Vorübergehend leitete er die Firma gar selbst. Ein Sanierungsplan folgte dem anderen. 2009 drehte die Familie den Geldhahn zu und beantragte Insolvenz.

Grund für den Abstieg von Schiesser war weniger die Globalisierung als Fehlbesetzungen in der Chefetage und massive strategische Fehler. So habe man Lizenzverträge mit Marken wie Hugo Boss, Puma oder Tommy Hilfiger geschlossen, die sich als Verlustbringer entpuppten. «Dabei wurde die eigene Marke Schiesser vernachlässigt», sagt Insolvenzverwalter Volker Grub.

Ausgerechnet unter dem Insolvenzverwalter konnte sich der Konzern rasch erholen. Lizenzverträge wurden gekündigt, der Umsatz legte zu. Aus dem Verlustgeschäft wurde ein Gewinnbringer. Ende 2010 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. «Für dieses Jahr ist der Börsengang geplant», sagt Grub, der in den Aufsichtsrat von Schiesser gewechselt ist. Er ist zuversichtlich, dass der Börsengang klappen wird – auch wenn Modemacher Wolfgang Joop letzte Woche aus der geplanten Zusammenarbeit ausgestiegen ist.

«Thomas Bechtler ist ein ehrenhafter Mann», sagt Grub. «Er hat mich während des Insolvenzverfahrens stets unterstützt.» Aber, und das wiederholt er mehrmals: «Nicht jedem ist es gegeben, Unternehmer zu sein. Nicht jeder ist zum Unternehmer geboren.» Die meisten Verluste habe aber die Familie Bechtler selbst getragen, fügt er an. Was nur ein Teil der Wahrheit ist: Bei Schiesser mussten Arbeiter und Angestellte die Zeche mitbezahlen. Die Beschäftigtenzahl, die Ende 2008 bei 2465 lag, beträgt heute noch 1900.
Bechtler verweist auf strukturelle Schwierigkeiten, die zu seinem Scheitern führten. «Sicher wurden auch Fehler gemacht. Wir haben Schiesser vernachlässigt und falsche Personalentscheide gefällt. Jeder, der etwas tut, macht Fehler. Das muss man gelassen tragen.»

Auch wenn er heute vor allem als Mäzen auffällt, ist Bechtler mit der Schweizer Wirtschaft noch immer eng verflochten. Er sitzt in den Verwaltungsräten von Sika, Conzzeta und Bucher. Aus jenen von Credit Suisse und Swiss Re ist er ausgestiegen – wegen Amtszeitbeschränkung. Am Herzen liegt Bechtler seine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender von Human Rights Watch. Die Organisation, die von George Soros mitgetragen wird, setzt sich weltweit für Menschenrechte ein. «Das ist mein derzeitiger Dienst an der Gesellschaft: Wir sind sehr aktiv, machen öffentliche Veranstaltungen und sammeln auch Geld.»

Zurzeit engagiert sich Human Rights Watch etwa in Libyen und warnt alle Waffenträger, dass die Gewaltorgie im Land nicht ohne Folgen bleiben wird. «Es gibt keine Immunität, selbst wenn Ihr auf Befehl handelt», appelliert die Organisation an die loyal zu Gaddafi stehenden Einheiten. So schliesst sich der Kreis. Aus dem Bunkerbauer für Gaddafi wurde ein Menschenrechtsschützer für dessen Volk.