Solche Anlässe sehen die Unia-Funktionäre gerne. Zu Tausenden marschierten Bauarbeiter am sonnigen Septembersamstag in den Gewerkschaftsfarben durch Bern. Alles war rot-weiss an der Bau-Demo – die Mützen und Helme, T-Shirts, Trillerpfeifen, sogar auf den Megafonen prangerte das Logo. Die Unia- Männer gaben sich kämpferisch. Sie forderten besseren Schutz und 100 Franken mehr Lohn pro Monat. «In der boomenden Baubranche sind 100 Franken mehr Lohn pro Monat ein absolutes Minimum », sagt Nico Lutz, Unia-Sprecher, der dieses Jahr selbst an den Verhandlungen teilnimmt. Die Produktivität sei um 7 Prozent gestiegen, die Bauarbeiter sollen von diesem guten Resultat profitieren.
Die Worte sind kämpferisch. Die Verhandlungsposition der grössten Gewerkschaft der Schweiz ist allerdings nicht so stark. Vielen Unternehmen stehen schwierige Zeiten bevor. Die Konjunkturauguren malen düstere Wachstumsszenarien. Der Billig-Euro frisst die Margen auf.
Kein Wunder gibt man sich auch Uniaintern in einigen Sektoren zurückhaltend. Ein langjähriger Gewerkschafter sagt: «In Finanzkrisen sind die Verhandlungen immer besonders schwierig.» In den Sektoren Industrie und Detailhandel macht man sich auf zahlreichere Verhandlungsrunden als üblich und dünne Abschlüsse gefasst. «Die Situation birgt schon auch Frust-Potenzial », sagt ein anderer Gewerkschafter.
Ungünstiger Zeitpunkt
Die schwierige Situation kommt für die Unia im ungünstigsten Zeitpunkt. Der Verein befindet sich mitten in einem konfliktträchtigen Umbauprozess und ist stark mit sich selbst beschäftigt. «Es herrscht ein grosser interner Machtkampf», sagt Jörg Studer, bis vor kurzem Präsident der Region Nordwest-Schweiz. Nächstes Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an. Die beiden Co-Präsidenten Andi Rieger und Renzo Ambrosetti treten nicht mehr an. Drei weitere Geschäftsleitungsmitglieder scheiden aus, auch aus Altersgründen. Unia-Angestellte gehen mit 62 in Pension.
Damit muss über die Hälfte der Posten in der neunköpfigen Geschäftsleitung vom Kongress im Dezember 2012 neu gewählt werden. Das sorgt jetzt schon für Nebengeräusche. «Man merkt, dass die Wahlen bevorstehen», sagt ein Sekretär, «man kämpft jetzt schon.»
In Position bringen sich laut Insidern vor allem Corrado Pardini, Leiter Sektor Industrie, und Rita Schiavi, die für den Sektor Bau zuständig ist. Pardini sei vermehrt an Verhandlungen an der Front zu treffen, sagen Gewerkschafter. Intern werden auch Vania Alleva grosse Chancen zugerechnet. Für die Verantwortliche der Dienstleistungsbranche sprechen der Frauenbonus und die Tatsache, dass sie am letzten Kongress mit dem besten Resultat in die Geschäftsleitung gewählt wurde. Alleva kann sich vorstellen, Präsidentin zu werden. Pardini und Schiavi wollen sich noch nicht äussern.
Verdammt zum Erfolg
Für erhitzte Gemüter sorgen auch Struktur und Organisation der Unia. Kritiker reden von einem verbürokratisierten Apparat mit rigider Führung. «Die Unia ist verdammt zum Erfolg, gibt in Konflikten aber immer schneller klein bei», sagt ein Insider. Die Sektionen würden teilweise von der Leitung zurückgebunden. Verschiedene Sektionen hatten schon mehr Freiheit gefordert, bisher ohne Erfolg. Kein Wunder sind Konflikte offen ausgebrochen. In der Region Bern hatten Unia- Mitarbeiter die Gewerkschaft Anfang Jahr bestreikt. «Die Basismitglieder haben nicht den Einfluss, den sie in einer Gewerkschaft haben müssten», sagt auch Hanspeter Gysin, der zehn Jahre lang Präsident der Unia-Personalkommission war. So ist der Zentralvorstand, das oberste Exekutivorgan der Unia, hauptsächlich aus Funktionären zusammengesetzt.
Unia-intern ist jetzt ein Demokratisierungsprozess im Gang. Eine Kommission hat Vorschläge ausgearbeitet, die das Mitspracherecht der Basis erweitern sollen. Diese sollen an einem ausserordentlichen Kongress im nächsten Frühling zur Anpassung der Statuten führen. Zur Diskussion stehen Themen wie eine breite Zusammensetzung des Zentralvorstandes, die Bildung von mehr Ausschüssen, mehr Mitspracherecht für den Kongress bei der Wahl der Geschäftsleitung und eine Verkleinerung der Geschäftsleitung. Ob der Demokratisierungsprozess viel Änderung bringt, ist allerdings unsicher. Laut Sprecher Lutz ist die Vernehmlassung in den Regionen derzeit im Gang. Die Rückmeldungen seien breit gestreut. Zumindest beim Wahlverfahren für die Geschäftsleitung zeichnet sich derzeit aber keine Mehrheit für eine grundlegende Änderung ab. Unia-Mitglieder wie Gysin nennen diesen Demokratisierungansatz denn auch eine Farce, von oben gesteuert.
Die Unia-Führung weist die Vorwürfe zurück. «Wir sind daran, die heute schon demokratischen Prozesse weiter zu öffnen. Die Basis bestimmt in den Delegiertenversammlungen die Ziele.» Aber eine Organisation müsse auch funktionieren. «Nicht jeder kann machen was er will», sagt Co-Präsident Ambrosetti.
Die Gewerkschaft steckt im Dilemma. Der Kritik von unten steht der wirtschaftliche Professionalisierungsdruck entgegen. Die Betriebsrechnung ist seit Bestehen 2005 rot. Dank Finanz- und Immobilienerfolg resultiert unter dem Strich seit drei Jahren ein Plus. Keine Besserung verzeichnet die Gewerkschaft bei den Mitgliederzahlen. Die sind in den letzten fünf Jahren um fast 10000 auf 193000 geschrumpft. Die Mitglieder sind mit ihren Beiträgen die wichtigste Einnahmequelle für die Gewerkschaft. Zwar kann Unia im Dienstleistungsbereich einen Zuwachs ausweisen. Der Aderlass in den Traditionsbranchen Industrie, Gewerbe und Bau ist aber viel stärker. Deshalb startet die Unia im November eine langfristige Kampagne, mit der sie die Werbung von Neumitgliedern durch Mitglieder intensivieren will. Das alleine wird kaum reichen. Auch gute Verhandlungsresultate müssen her. Doch das wird schwierig. Auch die demonstrierenden Bauarbeiter haben ihre Lohnforderungen noch lange nicht im Trockenen. Die Baufirmen weisen diese zurück.
immobilien: Hotels zum Verkauf
Hotels
Mitglieder wollen keine günstigen Ferien mehr in der Schweiz. Die Unia verkauft deshalb fünf ihrer sieben Hotels. Das Haus im Tessin hat bereits der bisherige Hotelier übernommen. Für das Hotel in der Lenk wurde jüngst ein Vorverkaufsvertrag unterzeichnet. Das Hotel in Gersau soll Anfang 2012 von einem ehemaligen Hero-Manager übernommen werden. Bei den zwei weiteren Hotels laufen Verkaufsgespräche.
Wohnungen
Ausbauen will die Unia dagegen bei den Wohnungen. Sie besitzt fast 3300 Mietobjekte, davon 1640 Wohnungen. Die werden von der Unia-T ochter Zivag verwaltet.