Er macht einen Mitleid erregenden Eindruck: A’Bajazzo. Das Fell des Schimmels ist mit Hunderten Pusteln übersät und schaut aus wie eine Kraterlandschaft. Welch ein Kontrast zu seiner momentanen Umgebung, einer kuppelförmigen Therapiehalle mit Sandboden, hellen Holzträgern und eleganten Lichtdurchlässen. Der Araberhengst hat die Pracht an diesem Vormittag ganz für sich. A’Bajazzo soll hier «aufgeweicht werden und seine Mitte wiederfinden», wie sich sein Therapeut ausdrückt – nicht mit irgendeiner Tinktur, sondern allein durch die natürlichen stehenden Wellen im Rund.
Der Therapeut ist Urs Bühler, Besitzer des im Mai 2004 eröffneten Tiergesundheitszentrums HealthBalance in Uzwil. Er ist aber auch Inhaber und Verwaltungsratspräsident des grössten Ostschweizer Industriekonzerns, der seinen Namen trägt. Der ungläubige Blick des Journalisten über die Bande der Therapiehalle amüsiert den 61-Jährigen sichtlich. Das Fragezeichen wird noch grösser, als Bühler aus der Jackentasche eine Kupferfeder zieht, mit diesem so genannten Biotensor wippt und so seinen Patienten fragt, ob der Fotograf mit in die Halle treten dürfe. Das Ding sagt Ja.
Bühler stellt sich mitten in die Halle, direkt unter das Oberlicht. Er streckt die Hand aus und ruft das Tier leise zu sich. Minutenlang stehen dann beide fast bewegungslos da, nur die Rute vibriert. Sie hätten miteinander geredet, wird der Pferdeflüsterer später erklären. Dann trabt A’Bajazzo los, wobei er von Minute zu Minute die Gangart verschärft. Nur sein Schnauben ist zu hören. Es hört sich für einen Nicht-Rösseler wie Asthma an. Ein «Brrr» des gross gewachsenen Tierheilers mit der hohen Stirn genügt, und das Pferd drosselt sein Tempo. Die Therapiesitzung ist beendet. In drei Wochen soll der Patient wieder so weit hergestellt sein, dass er zurück in den heimischen Stall kann.
Und das alles dank ein wenig Hokuspokus mit dem Kupferpendel in einer verschwenderisch grosszügigen Umgebung? Sinnigerweise ist das halbe Dutzend präsentabler Therapiehallen und Stallungen auf den «stärksten Kraftpunkt» im Gelände, den Säntis, ausgerichtet. Viel alternatives Brimborium also. Auf das Attribut Geistheiler reagiert der Rutenwedler indes bestimmt: «Was wir hier praktizieren, entspricht physikalischen Erkenntnissen.» Gesundbeterei und Esoterik sei absolut nicht sein Ding.
Bühler, studierter Maschineningenieur, braucht die wissenschaftliche Klammer für sein eigenes Selbstverständnis. HealthBalance basiere auf den Prinzipien des Global Scaling, eines neuen Zweigs der Naturwissenschaften. Demnach haben sich «im gesamten Universum stehende Wellen ausgebildet. Diese bewirken, dass viele physikalische, chemische, biologische und auch soziale Prozesse entsprechend ablaufen.» Sozusagen das universelle Elixier – zumindest steht es so in den Unterlagen. Oder andersherum: Es geht darum, Dissonanzen und Asynchronisches auszugleichen, und alles ist im Wellenlot.
Bühler ist nicht nur in Sachen lädierte Fauna von der Wellenlehre überzeugt. Ende 2003 hat er eine Global Scaling Technologies AG ins Handelsregister eintragen lassen. Ihr Zweck: praktische Umsetzung der Forschungsergebnisse in den Bereichen Prozess- und Verfahrensoptimierung. Was Lebewesen gut tut, soll auch Maschinen und Systeme optimieren. Noch beschäftigt die Jungfirma erst einen Geschäftsführer. Mit im Verwaltungsrat der Tech-Firma sitzt Hartmut Müller, der vor 20 Jahren die Global-Scaling-Theorie begründete. Über Müller, der den Titel Dr. rer. nat einer russischen Universität führt und im deutschen Wolfratshausen ein Institut für Raumenergie-Forschung leitet, scheiden sich die Geister. So nützte Müller Anfang 2004 den akademischen Rahmen der TU in Berlin, um sein Verfahren der drahtlosen Datenübertragung über «das überall nachweisbare kosmische Hintergrundrauschen» auf Laptops zu demonstrieren. Ohne Kabel, Sender und Provider sollen in Zukunft Daten abhörsicher und elektrosmogfrei übertragen werden. Das Biohandy, das sich selbst genügt. Am Vakuumresonanzverfahren zur Teleportation arbeiten mehrere Universitätsinstitute. Noch steckt das Ganze tief im Experimentierstadium.
Müller, der kosmische Tausendsassa, will nicht nur Daten übertragen und Heilprozesse beschleunigen, sondern «dank sensationeller Wahrscheinlichkeitsberechnung» auch die bessere Vorhersage richtiger Lottozahlen ermöglichen. Also alles Schwindel, oder was? «Eine positiv kritische Auseinandersetzung mit dem, was wir hier tun, finde ich gut für die Sache. Unsere Therapien funktionieren», zeigt sich Bühler unbeirrt. Schliesslich gilt: Wer hilft, der hat Recht. Das Wort «heilt» vermeidet er tunlichst.
Auf www.healthbalance.ch präsentiert das Tiergesundheitszentrum diverse Erfolgsmeldungen – von der mentalen Genesung eines kränkelnden Araberschimmels über die schnellere Wundheilung bis zur abgespeckten, wieder fitten Freiberger-Stute. Und die Misserfolge? Die geschmeidige Antwort des Uzwiler Doktor Doolittle: «Nicht alles kommt hundertprozentig gut. Meist liegt der Fehler bei uns, weil wir die Fragen nicht richtig gestellt oder die Antworten missverstanden haben.» Die Lösungen seien nie besser als die Aufgabenstellung. Na ja.
Bühler ist überzeugt von dem, was er tut. An diesem Vormittag kommt er direkt aus dem Stall von A’Bajazzo. Vier Pferde sind dort untergebracht, zwei weitere sind potenzielle Kunden für Bühler. Viel Elektrosmog aus Leitungen und von einer nahen Bahnlinie hat er ausgependelt und entstört. Die nötigen Hilfsmittel dazu liefert HealthBalance gleich selber. Zu stolzen Preisen: Der Optimizer 25 «unterstützt den Selbstheilungsprozess präventiv oder als Therapie» und kostet 989 Franken, die Calminizer gegen «physikalische Stressreaktionen» bei Pferd, Mensch, Hund und Katze sind für jeweils 324 Franken zu haben. Der Tarif für eine Erstkonsultation im Zentrum liegt bei rund 300 Franken.
Geholfen werden soll allem, was da kreucht und fleucht. Um eine erste Diagnose via Biotensor auszupendeln, genügt Bühler ein Foto, ein Stück Fell oder sonst ein Teilchen des Patienten. Es kommt gelegentlich vor, dass sich die Tiere samt ihren Besitzern auf die richtige Wellenlänge einschwingen lassen. Bühler erzählt von Ross und Reiter, die sich zusammen den elektrisch erzeugten Wellen der Bioformation aussetzten und selig wegdösten: «Wir können da von den Russen lernen, die früher kein Geld für teure Chemie hatten und die Selbstheilungskräfte auf natürliche Weise stärkten.» Bühlers Seitenhieb gegen die Pharma-Gläubigkeit trifft den Zeitgeist. Man müsse auch in der Humanmedizin analoge Therapien, basierend auf Global Scaling, finden, um effektiver zu helfen, sagt er.
Gerne erzählt Bühler die Geschichte vom schief gewickelten Goldfisch: Im Sitzungsraum des Zentrums steht ein Aquarium. Bald fiel dem Tiertherapeuten auf, dass einer der drei Glitzerlinge ständig schräg im Wasser lag. Der Biotensor enttarnte die elektrische Umwälzpumpe als Störfaktor. Nun befindet sich ein Entstörer neben der Vitrine, und der Fisch flitzt wieder, wie es sich gehört, durchs Wasser.
So interessant sich das anhört: Was bringt den langjährigen operativen Chef und millionenschweren Besitzer des Weltmarktführers im Mühlenbau mit 6000 Mitarbeitenden und rund 1,5 Milliarden Jahresumsatz dazu, sich auf den schmalen Grat der komplementären Tiermedizin zu wagen? Bühler ist von Kindsbeinen an Reiter («Nicht sonderlich gut, aber mit Begeisterung») und besitzt drei Pferde. 1992 qualifizierte er sich mit einem davon für die Schweizer Military-Meisterschaft. Doch statt eines sportlichen Höhenflugs erfuhr Bühler einen Tiefschlag: Das Ross hinkte kurz vor dem Wettkampf. Der Tierarzt diagnostizierte Arthrose, was in der Regel die Schlachtbank bedeutet. Noch im Wettkampfgelände lernte der geschockte Pferdenarr eine Schweizer Homöopathin kennen. Sie testete den Fuchswallach aus und verordnete ihm eine andere Ernährung. Innert kurzer Zeit erholte sich das Pferd. Bühler wurde Stammkunde. Nach der Pensionierung der Homöopathin fand er keinen Ersatz. Er liess sich daher selber zum Tierkinesiologen und Lebensenergie-Berater ausbilden.
Dass er seine Passion nun auch noch zum Beruf gemacht hat, hängt mit seiner Lebensplanung zusammen: Mache nichts kürzer als fünf und nichts länger als rund fünfzehn Jahre. 2001 hatte er in seiner angestammten Firma diese Schwelle erreicht. Mit 58 fühlte er sich aber zu jung fürs Nichtstun. Kam dazu, dass er in seiner neuen Lebenspartnerin, Marisa Polanec (47), eine Seelenverwandte fand. Die gebürtige Vorarlbergerin und ehemalige Parlamentarierin für die Sozialdemokraten ist wie Bühler pferdeverrückt und hundeverliebt. Polanec lässt sich ebenfalls zur Tierkinesiologin ausbilden und arbeitet als Marketingfachfrau im Tiergesundheitszentrum. Tröstlich für alle Tierhalter, dass es auch hier menschelt: Als beim Rundgang durch die weitläufige Anlage der Hund der beiden zu heftig an Pferdekot schnuppert, schubst ihn sein Herrchen unsanft zur Seite. «Das war keine feinstoffliche Reaktion», merkt Frauchen sogleich an.
Rund acht Millionen Franken hat Bühler in sein Zentrum investiert, das auf 78 000 Quadratmeter familieneigenem Gelände am Ortsrand von Uzwil errichtet wurde. Was Kritiker als Spleen eines Superreichen abtun, sieht Bühler als normalen Business-Case: 400 000 Franken wollte er im ersten halben Geschäftsjahr umsetzen, bis 2007 sollen es zwei Millionen sein und das Zentrum operativ kostendeckend sein. Ab dem fünften Betriebsjahr erwartet er einen Beitrag an die Amortisation: «Sonst machen wir was falsch.» Mit ambulanten Behandlungen ist das Zentrum bereits gut ausgelastet, Kapazitäten gibt es noch für stationäre Patienten. Derzeit beschäftigt HealthBalance ein halbes Dutzend Mitarbeitende, darunter auch einen Homöopathen und Tierarzt. Mit weiteren Tierärzten arbeitet man fallweise zusammen. Bühler will sein Zentrum zudem als Forschungsplatz und Schulungsort etablieren. Delegationen aus dem In- und Ausland geben sich bereits die Klinke in die Hand.
Einen approbierten Veterinär braucht es, damit der Kanton den amtlichen Segen für ein Tiergesundheitszentrum gibt. Keine gesetzlichen Auflagen kennt der Kanton St. Gallen für die Tätigkeit des Tierheilpraktikers. Jeder kann sich am Tier versuchen. «Behördlich einschreiten müssten wir dann, wenn den Tieren durch alternative Heilmethoden ein Schaden entstehen sollte», erklärt Kantonstierarzt Thomas Giger. Unüberhörbar auf Distanz geht Tobias Fritsche, Präsident der kantonalen Tierärztegesellschaft. Was hält er von HealthBalance? Seine Antwort: «Ich bin Schulmediziner. Und Punkt.»
Auch sonst tun sich einige offensichtlich schwer, Bühlers Stellenwechsel einzuordnen. Uzwils Gemeindepräsident Werner Walser rettet sich mit einem geografischen Spagat. Er sei nicht zuständig, denn das Tiergesundheitszentrum stehe in Oberuzwil. Und die Mitarbeiterkommission der Bühler AG will «in dieser Angelegenheit keine Stellungnahmen mehr abgeben». Gross ist die Neugier in der Bevölkerung. Am Tag der HealtBalance-Eröffnung wälzten sich über 10 000 Leute durch Bühlers Lebenstraum.
Wer Bühler schon mehrere Jahre begegnet, dem fällt seine grössere Gelassenheit auf. Seit er die operative Verantwortung im familieneigenen Konzern an CEO Calvin Grieder abgegeben hat, scheint ihm eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen. Kritik an Strategie und personellen Entscheiden in seinem Technologiekonzern hat er in der Vergangenheit schlecht ertragen und Journalisten auch schon mal mit Bann belegt. Sein Blick zurück ist dennoch ein Blick ohne Zorn: «Ich will meine Industriezeit nicht missen. Dort habe ich gelernt, Leute zu managen und auf ein Ziel auszurichten. Das hilft mir auch jetzt.» Zwei Tage pro Woche arbeitet er als VR-Präsident und in Projekten für die Bühler AG, die anderen fünf Tage investiert er in HealthBalance: «Tiere kennen keinen Kalender.»